Miró, Giacometti und Klee: eine surrealistische Beziehung
Der spanische Künstler Joan Miró ist für seine surrealistischen und farbenfrohen Traumwelten bekannt. Weniger bekannt ist, dass er eine Beziehung gegenseitiger Bewunderung mit zwei der grössten Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts unterhielt.
Joan Miró war in der surrealistischen Bewegung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand, einer der einflussreichsten und bekanntesten Künstler.
Der Mond, die Sonne, die Sterne und die Silhouetten von Frauen sind Figuren, die in seinem Werk immer wieder auftauchen – und die jetzt in der Ausstellung Neue HorizonteExterner Link besonders dicht vorkommen – zu sehen im Zentrum Paul Klee in Bern, noch bis am 7. Mai.
Der Einfluss, den Paul Klee auf Mirós Kunst ausübte, ist wenig bekannt. Obschon sie sich niemals persönlich begegnet sind, teilten sich die beiden Künstler im Laufe ihres Lebens 19 Ausstellungen. Und es verband sie eine einzigartige Bewunderung.
«Klee war die entscheidende Begegnung meines Lebens», sagte Miró einmal über den Schweizer. Auch Klee würdigte den katalanischen Künstler gelegentlich in der Öffentlichkeit.
Die bewusst «kindliche» Kunst, die Welt des Wahnsinns, des Zirkus und der Marionetten sind offensichtliche Elemente im Stil beider Künstler, die sich in gewisser weise immer naher standen und doch auch weit voneinander entfernt waren.
Neuanfang auf der Insel
Der katalanische Maler erlebte turbulente Zeiten, politisch wie sozial. Die Stadt Barcelona war Zeuge seiner ersten Schritte in der Welt der Kunst. Doch es waren die emotionalen Landschaften von Paris in den 1920er Jahren, die surrealistische Poesie, der abstrakte Expressionismus von New York und Japan und die Ruhe Mallorcas, die sein Werk schliesslich prägten.
Genau diese letzte Phase seiner Karriere bildet den Ausgangspunkt der Berner Ausstellung. Sie spiegelt jenen Moment der Selbstkritik und des Neuanfangs, den Joan Miró erlebte, als er sich 1956 endgültig in Palma de Mallorca niederliess. Es war der Moment, ab dem er alle seine früheren Arbeiten in Frage stellte und unvollendete Werke wieder aufnahm.
Zu dieser Zeit suchte Miró nach neuen Ausdrucksformen und beschloss, sich von den klassischen Malmethoden zu entfernen. Er ersetzte den Pinsel durch Scheren und andere Instrumente, verwendete Stoffe und schuf riesige Skulpturen. Das Ergebnis dieser Transformation ist in den 74 Werken der Ausstellung zu sehen, die hauptsächlich aus den späten 60er- bis frühen 80er-Jahren stammen.
Miró und Klee nähern sich an
Wenn man an Klee denkt, hat man die Farben seines berühmten Bildes «Insula Dulcamara» vor Augen, die Fischfiguren wie in «Fish Magic» oder die Augen, Gesichter und Linien, die auch an Miró erinnern.
Als die Mitglieder des renommierten Club 49 in Barcelona 1957 über die zehn besten Maler des Jahrhunderts abstimmten, hiessen die ersten drei: Picasso, Klee, Miró.
«Miró selbst erwähnt in seinen Interviews, wie André Masson ihm zum ersten Mal Klee-Reproduktionen zeigte und welchen Einfluss sie auf ihn hatten», sagt Teresa Montaner, die für die Sammlungen der Fundació Joan Miró zuständig ist. «Das war 1923, eine Zeit, in der seine Malerei eine andere Richtung einschlagen sollte.»
Nachdem Miró Klee entdeckt hatte, verschaffte er sich über Galerien Zugang zur Kunst des Schweizers. Auf einer Reise nach Berlin Ende 1935 zeigte ihm der deutsche Kunsthistoriker Will Grohmann ein Gemälde von Klee, in dem die disjunktive Kompositionsmethode bereits offensichtlich war. Miró liess sich von dieser Technik inspirieren, um seine einzigartigen ‹Constellations› zu schaffen.
Hieroglyphen und orientalische Zeichen
Jahre später, 1948, kehrte Miró nach Paris zurück, um an einer Retrospektive von Klees Werken im Musée national d’art moderne teilzunehmen, deren Wirkung sich in seinem Werk durch Hieroglyphen und orientalische Zeichen bemerkbar machte.
Dass Miró eine umfassende Kenntnis von Klees Werk erlangte, war auch seinen Surrealistenfreunden Louis Aragon, Paul Eluard und René Clevel zu verdanken. «Klee hat mir klar gemacht, dass ein Fleck, eine Spirale, selbst ein Punkt, genauso ein malerisches Thema sein kann wie ein Gesicht, eine Landschaft oder ein Denkmal», sagte Miró dem französisch-ungarischen Künstler Brassaï.
Heute treffen Joan Miró und Paul Klee erneut in einer Ausstellung aufeinander, in welcher die Besucher:innen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Malern entdecken können.
Eine Brieffreundschaft
Während seines Aufenthalts in Paris war Miró von einer Vielzahl von Künstler:innen, Schriftsteller:innen und einflussreichen Personen wie Pablo Picasso, André Masson, Paul Eluard, Ernest Hemingway, André Breton und Max Ernst umgeben.
Die französische Hauptstadt war auch Zeuge des ersten Treffens zwischen Miró und einem anderen Schweizer Künstler, Alberto Giacometti. Es war der Beginn einer intensiven persönlichen und beruflichen Beziehung, die von den 1930er Jahren bis zu Giacomettis Tod andauern sollte.
Seit dem Aufkommen des Surrealismus beeinflussten sich die beiden Künstler gegenseitig, jedoch mit einem wesentlichen Unterschied: Giacometti entschied sich hauptsächlich für Skulpturen, während Miró die Malerei präferierte. Sie stellten mehrfach gemeinsam aus und teilten zur selben Zeit renommierte Galeristen wie Bucher, Loeb, Matisse und Maeght.
«Miró war absolut perfekt»
Der Schweizer Künstler fand viele Worte der Bewunderung für seinen spanischen Freund: «Für mich war Miró die grosse Freiheit. Etwas, das luftiger, lockerer und leichter war als alles, was ich je gesehen hatte. In gewissem Sinne war er absolut perfekt».
Einige Expert:innen behaupten, dass Miró der erste Einfluss überhaupt auf die Technik des Schweizer Bildhauers war. Giacometti interessierte sich bereits in den 1930er Jahren für die poetischen Objekte der Kubist:innen und Surrealist:innen, Picasso, Dalí und eben Miró.
In einem seiner Brief schrieb Miró über seinen Schweizer Freund: «Es ist die Ausstrahlung des Menschen, die mich bei dir am meisten bewegt, und das Werk ist nur das logische Ergebnis, das sich daraus ergibt».
«Giacometti sagte über den katalanischen Künstler: «Er war ein so echter Maler, dass er nur drei Farbkleckse auf die Leinwand setzen musste, damit sie existierte und zu einem Bild wurde. Die Lobeshymnen reissen nicht ab in einer Freundschaft, die vor allem mit Briefen gelebt wurde.
Giacometti besuchte Miró auch gelegentlich in Palma. Schliesslich ist der Surrealismus, der Mirós Werk durchdringt, in Giacomettis Skulpturen sowie in der von Paul Klee entwickelten disjunktiven Sprache leicht zu erkennen und macht die drei Künstler zu Grossmeistern der Bewegung, die in besonderer Weise miteinander verbunden sind.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger
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