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Mit allen Wassern und Worten gewaschen

Lesung in der Dalaschlucht oberhalb Leukerbad: die deutsche Autorin Anne Weber. swissinfo.ch

Autorenlesungen in Hotelbars und ausrangierten Thermalbädern, auf Kurhaus-Terrassen und in freier Natur. Das internationale Literaturfestival Leukerbad verbindet für drei Tage Geistiges mit Sinnlichem. Ein Augenschein.

Am Samstagmorgen versammeln sich rund 50 Leserinnen und Leser auf dem Dorfplatz von Leukerbad. Mit gutem Schuhwerk und in Begleitung zweier Autorinnen und einem Angestellten des lokalen Tourismus-Büros geht’s auf dem Thermalquellenweg Richtung Dalaschlucht.

«Schon Goethe verbrachte 1779 zwei Nächte in Leukerbad», sagt Hermann Allet von Leukerbad Tourismus, auf die literarische Tradition des Orts hinweisend. Die 20 warmen Quellen, aus denen Wasser mit einer Temperatur von 43 bis 51 Grad entspringen, sind ein Segen für das Dorf.

Bedroht sind sie nur durch die Gewalt der Natur. Das zentrale Wallis sei ein Erdbebengebiet, sagt Allet: «Das letzte grosse Erdbeben hat 1946 eine Quelle zum Versiegen gebracht.»

Mehrere hundert Meter der Wanderung führen über einen an die Felswand gebauten Metallsteg, der etwa vier Meter über dem Wasserspiegel durch die Schlucht führt. Wer nicht schwindelfrei ist, kehrt hier besser um.

Literaturhäppchen in saftigem Grün

Wenig später, oberhalb der Quelle des Hotels Regina Terme und der Blisch-Quelle, gibt es einen Lese-Halt. Vor dem saftigen Grün der Matten und Bäume stehend, liest die deutsche Autorin Anne Weber zwei Passagen aus ihrem Roman «Erste Person».

Zu hören bekommen wir eine literarische Erkundung von Träumen und Fantasien, die uns in einen surrealen Wald voller 1000-jähriger Geschlechtsteile führt: «Sie haben kein Geheimnis mehr für mich, sie sind eine Sorte Gemüse, zum Verzehr bestimmt», heisst es da lakonisch.

Auf 2350 Metern über Meer

Die ungewöhnlichen Lokalitäten der Lesungen machen den besonderen Reiz dieses Festivals aus. So lesen um Mitternacht auf dem Gemmipass auf 2350 Metern Höhe der österreichische Autor Werner Kofler und der Schweizer Dichter und Sprachperformer Pedro Lenz, der nach seinem glücklosen Auftritt am Klagenfurter Literatur-Wettbewerb als Überraschungsgast auftaucht.

Der international erfolgreiche Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss, der zur Zeit mit seinem Roman «Hundert Tage» Furore macht, liest in der Galerie St. Laurent. Und in der gediegenen Bar des Hotels Les Sources des Alpes stellt die Zürcherin Simona Ryser ihren Erstlingsroman «Maries Gespenster» vor.

Im gekachelten Pool

Für die israelische Bestsellerautorin Zeruya Shalev, die mit ihrer Familie nach Leukerbad gekommen ist, wirkt der Badeort wie ein unwirkliches Paradies des Friedens.

«Auch meine Kinder sind beeindruckt von der freundlichen und entspannten Atmosphäre hier. Wir sind anderes gewöhnt», sagt die Autorin nach ihrer Lesung im ehemaligen Thermalbad St. Laurent gegenüber swissinfo.

Zeruya Shalev liest in melodiösem Hebräisch vor den gekachelten Wänden des Bads aus ihrem Roman «Liebesleben». Die österreichische Schauspielerin Eva Mattes («Tatort»-Kommissarin) präsentiert die deutsche Übersetzung. Das Publikum sitzt auf dem Grund des leeren Pools und fröstelt.

Die Romane der israelischen Autorin sind radikal privat, schildern Paare und Familien in Krisen, gefangen in obsessiven und fatalen Abhängigkeitsbeziehungen. Die politische Situation im Nahen Osten sieht Zeruya Shalev äusserst pessimistisch: «Es ist wie ein ständiges Feuer, das mal aufflammt, mal zur Glut zusammenfällt.»

2004 wurde sie bei der Explosion eines Buses verletzt. Dennoch kann sich die studierte Bibelwissenschafterin nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben als in Jerusalem. «Ich bin wie ein Baum. Meine Wurzeln gehen tief hinunter in das Gestein von Jerusalem. Das ist mein Ort», sagt Shalev.

Auf Tuchfühlung mit Autoren

Das Literaturfestival der besonderen Art, zwischen Bergen und Thermalquellen gelegen, geht bereits in sein 13. Jahr. Gegründet wurde es von Ricco Bilger, Buchhändler und Verleger aus Leukerbad. Seit drei Jahren wird es vom Berner Literaturvermittler Hans Ruprecht geleitet.

Im wesentlichen habe er das Konzept von Bilger übernommen, sagt Ruprecht gegenüber swissinfo: «Es funktionierte so gut, dass kein Grund für Veränderungen gegeben war.» Einzige Neuerung ist die Übersetzerwerkstatt in Zusammenarbeit mit Pro Helvetia und dem Literarischen Kolloquium Berlin.

«Unser Zielpublikum sind an der Literatur Interessierte, die der Literatur einmal anders begegnen wollen. Hier trifft man sich auf dem Dorfplatz und in Beizen, da kommt man leicht auf Tuchfühlung mit den Autoren», sagt Ruprecht.

swissinfo, Susanne Schanda, Leukerbad

Das 13. Literaturfestival Leukerbad dauerte vom 4. bis 6. Juli.
23 Autorinnen und Autoren aus dem Ausland und der Schweiz stellten sich dem Publikum.
Laut Veranstalter besuchten rund 1300 Personen das Festival.
Finanziert wurde es zu zwei Dritteln aus öffentlichen Geldern (Loterie Romande, Kanton Wallis, Pro Helvetia, Tourismus Leukerbad) und zu einem Drittel von privaten Sponsoren.
Die 14. Ausgabe des Festivals findet vom 3. bis 5. Juli 2009 statt.

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