«Mit Rohani gab es keinen radikalen Umbruch»
Trotz den Öffnungs-Versprechungen des neuen iranischen Präsidenten bleiben Verstösse gegen die Menschenrechte alltäglich. swissinfo.ch hat anlässlich des Internationalen Filmfestivals Freiburg mit drei iranischen Filmemachern gesprochen.
Er präsentierte sich der Welt als «Mann der Weisheit und Mässigung». Der 65-jährige Hassan Rohani, ein Kind der Revolution von 1979, versuchte, dem Iran nach acht Jahren unter der radikalen und isolationistischen Politik seines Vorgängers Mahmud Ahmadinedschad ein neues Image zu verleihen.
Doch über die Atomverhandlungen hinaus scheint die versprochene Öffnung ins Stocken geraten zu sein. «In diesen ersten acht Monaten gab es keine radikale Veränderung für das Volk», sagen die 40-jährige Mania Akbari und der 33-jährige Ehsan Khoshbakht unisono. «Vielleicht hat er uns wenigstens wieder einen Hoffnungsschimmer gegeben», sagt Sharam Mokri, 37.
Wir trafen uns Anfang April am Rand des Internationalen Filmfestivals Freiburg, das vom 29. März bis 5. April über die Bühne ging und dieses Jahr dem iranischen Kino eine grosse Retrospektive widmete. Mania Akbari und Ehsan Khoshbakht, der heute als Musik- und Filmkritiker arbeitet, sind aus London angereist, wo sie im Exil leben.
Sharam Mokri hingegen ist direkt aus Teheran eingeflogen, um seinen letzten Film «Fish and Cat» zu präsentieren, der in Freiburg im Wettbewerb lief, in seinem Land aber zensuriert wurde.
Ehsan Khoshbakht
Der Iran ist ein militarisierter Staat in den Händen der Revolutionswächter und einiger religiöser Extremisten, die überzeugt sind, das Volk geniesse zu viele Freiheiten.
Das dunkle Spielbrett der Macht
Im Iran Rohanis ist die Zensur noch an der Tagesordnung, wie auch Verfolgung, willkürliche Inhaftierungen und Hinrichtungen ohne Prozess. Das sagt der jüngste UNO-Bericht vom letzten März, und er deckt sich mit den Einschätzungen der drei Cineasten über ihr Land.
Mohammad Rasoulof, Autor eines Films über die literarische Zensur («Manuskripte brennen nicht»), hat dies am eigenen Leib erfahren. 2010 wurde er zusammen mit Regisseur Jafar Panahi zu sechs Jahren Gefängnis und 20 Jahren Berufsverbot als Filmer verurteilt.
Im September 2013 «wagte» er es, angefacht durch den optimistischen Wind nach der Wahl Rohanis, wieder im Iran zu filmen. Doch die Behörden erwarteten ihn bereits am Flughafen und konfiszierten seine Reisedokumente.
«Präsident Rohani und Ali Khamenei [Oberster religiöser Führer] haben vermutlich keinen grossen Handlungsspielraum. Der Iran ist ein militarisierter Staat in den Händen der Revolutionswächter und einiger religiöser Extremisten, die überzeugt sind, das Volk geniesse zu viele Freiheiten. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass diese Leute den Taliban nahestehen», sagt Ehsan Khoshbakht.
Ali Khamenei: Oberster religiöser Führer
Nach dem Tod Ayatollah Khomeinis 1989 wurde der heute 74-Jährige zum obersten Führer Irans ernannt.
Innerhalb des theokratischen Systems der Islamischen Republik ist er ermächtigt, die Richtung in Aussenpolitik, Armee und Geheimdienst vorzugeben.
Bei allen heiklen Dossiers, zum Beispiel jenem der atomaren Aufrüstung, hat er das letzte Wort.
Hassan Rohani: Präsident der Republik
Der 65-jährige Rechtsgelehrte und religiöse Würdenträger blickt auf eine lange Karriere innerhalb der Islamischen Republik zurück.
Gemeinsam mit dem späteren Revolutionsführer Ayatollah Khomeini war er nach Frankreich geflüchtet. Nach dem Sturz des Schahs 1979 kehrte er in den Iran zurück, wo er ins Parlament gewählt wurde, die Islamisierung des Fernsehens leitete und im Iran-Irak-Krieg eine führende Rolle spielte.
1989 wurde er zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats ernannt, 2003 zum Chefunterhändler der Gespräche über das iranische Atomprogramm.
Im Juni 2013 wurde er als Nachfolger des Radikalen Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt. In dieser Funktion ist er zuständig für die Wirtschaftspolitik. Er steht dem Obersten Rat der nationalen Sicherheit vor.
Rat der Revolutionswächter
Dieser Rat besteht aus 12 Mitgliedern: 6 Vertreter der Religion und 6 islamische Rechtsgelehrte. Der Rat wacht über die Verfassungsmässigkeit der vom Parlament verabschiedeten Gesetze.
Diese Wächter wählen unter anderem auch die Kandidaten für die Präsidentschaft. Im Juni 2013 schmetterten sie alle weiblichen Kandidaturen ab.
In Ländern mit einer Diktatur und einer grossen religiösen Macht – wie im Iran – sei die Zensur ganz einfach ein Teil des Systems, sagt auch Mania Akbari.
Shahram Mokri äussert sich etwas moderater. «Die Reformisten können in zwei Kategorien eingeteilt werden: Die Radikaleren sind der Meinung, es gebe keine gute oder schlechte Zensur, sie müsse auf jeden Fall verurteilt werden. Die anderen, zu denen Rohani gehört, sind überzeugt, dass die Zensur nicht unterbunden werden sollte, sondern dass die Grenze zwischen Erlaubtem und nicht Erlaubtem einfach immer weiter hinausgeschoben werden sollte.»
Mokri gibt zu bedenken, dass Rohani in den letzten Monaten verschiedene moderatere Persönlichkeiten in Schlüsselfunktionen eingesetzt habe, diese bis heute aber die erwünschtem Reformen noch nicht durchsetzen konnten.
Die Zensurmaschine
Die Zensur im Iran durchkreuzte die Arbeit von Filmemachern seit den 1950er-Jahren, unter Schah Mohammad Reza Pahlavi, doch die Schraube wurde mit der Revolution von 1979 noch stärker angezogen. Das sei kein Zufall, sagt Khoshbakht: «Das Kino ist bei weitem die beliebteste Kunstform im Iran.»
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Das Regime wolle weiterhin alles auf eine fast schizophrene Art steuern: Ermittlungen, Drohungen, Unterdrückung. Es drängt zur Selbstzensur, die jedoch bei den Filmemachern die Suche nach jenen aussergewöhnlichen Erzählmustern beflügelt, die heute eine der Stärken des iranischen Kinos sind.
Shahram Mokri hat die Bewilligung für seinen Film sofort erhalten. Es ist eine Art Horrorgeschichte, gefilmt in einer einzigen Einstellung, die den Zeitbegriff und die Beziehungen zwischen den Generationen in Frage stellt.
Kaum war der Film hingegen fertiggestellt, verbot das Regime die Aufführung in Kinosälen und an Festivals. Der Grund? Den Behörden gefielen die als Kannibalen dargestellten Ex-Soldaten und der Bezug zu 1997 nicht. In jenem Jahr war es zu zahlreichen ideologisch motivierten Morden gekommen. Hier und dort einige Sätze abzuändern wäre einfach gewesen, doch für Mokri kam es nicht in Frage, dem Druck des Regimes und seines Produzenten nachzugeben.
Theoretisch wissen die iranischen Regisseure, was sie sagen oder zeigen dürfen: Keine Sexualität, keine Frauen ohne Schleier, keine politischen oder ideologischen Verweise. Religion und Krieg sind in Ordnung, aber nur in einem positiven Kontext.
«Wir navigieren an der Grenze zwischen Wahrheit und Lüge, Traum und Realität, um zu versuchen, etwas zu zeigen, ohne dies tatsächlich zu tun», erklärt Mania Akbari, die sich immer wieder an die Grenze des Erlaubten wagt und sich dadurch oft mit einem Bein im Gefängnis befindet.
Die Zensurbehörden, die der Armee angehören, würden ihre Entscheide oft rein zufällig fällen. «Du Ja, Du Nein. Und bis man eine Antwort erhält, muss man oft Monate warten, wenn nicht Jahre.» Viele Filmemacher haben sich daher – wie Mohammad Rasoulof und Jafar Panahi – für den Untergrund entschieden, oder sie haben ihr Land verlassen und sich ins Exil begeben.
Shahram Mokri
Die Intelligenzija wusste diese kulturelle Waffe zu nutzen, um der Bevölkerung Zugang zu Modernität und Freiheit zu verschaffen.
Kino als politisches Instrument
Dass die Zensur allgegenwärtig ist, hindert den Iran aber nicht daran, das Kino als ideologisches Instrument und für Propagandazwecke zu nutzen. Das Regime unterstützt viele Filme, die es als konform erachtet mit der «islamischen Moral» oder zumindest mit dem Bild, welches das Land sich geben möchte. Das Land scheint sogar stolz zu sein auf die internationalen Erfolge jener Filme, die es zu zerstören versucht hatte.
Dank seiner Filmtradition konnte der Iran der siebten Kunst eine wichtige politische und soziale Rolle zuordnenschanzen, besonders in den zehn Jahren vor und nach dem Sturz der Monarchie. «Die Intelligenzija wusste diese kulturelle Waffe zu nutzen, um der Bevölkerung Zugang zu Modernität und Freiheit zu verschaffen», sagt Shahram Mokri.
In anderen Worten: Das Kino war eine Kunst des kollektiven Widerstands. «Die Künstler haben die Revolution vorweggenommen, und ungeachtet der Repression durch die Islamische Republik haben sie es geschafft, diese Tradition bis heute am Leben zu erhalten», sagt Ehsan Khoshbakht.
Doch trotz des überwältigenden Erfolgs iranischer Filme an Festivals und in westlichen Kinosälen – nicht zuletzt dank dem Oscar 2012 für «A Separation» (Eine Trennung) von Asghar Farhadi – spielt das iranische Kino nicht mehr jene bahnbrechende sozialpolitische Rolle, die es in den 1970er- und 80er-Jahren innehatte, sagen die iranischen Cineasten, deren Filme in Freiburg gezeigt wurden.
Das iranische Volk habe inzwischen auch andere, vielleicht besser zugängliche Mittel, um sich auszudrücken, so Khoshbakht. Das betreffe besonders die sozialen Netzwerke, die trotz aller Kontrollen der Zensur immer wieder entgehen könnten.
«Trotz der Versprechen von Präsident Hassan Rohani während seiner Wahlkampagne muss ich leider feststellen, dass die Situation der Menschenrechte im Iran ein Thema grosser Besorgnis bleibt«, sagte der UNO-Sonderberichterstatter Ahmed Shaheed Ende März 2014 vor dem Menschenrechtsrat in Genf.
Freiheitsentzug: Laut diesem jüngsten Bericht befanden sich im Iran im Januar 2014 mindestens 895 Personen willkürlich in Haft, darunter 379 Oppositionelle, 292 religiöse Aktivisten (50 Christen), 92 Menschenrechts-Aktivisten, 71 Bürgerrechts-Aktivisten, 37 Journalisten und Blogger sowie 24 Studenten.
Hinrichtungen: Zwischen 2011 und 2013 hat der Iran 1539 Hinrichtungen vorgenommen, darunter befanden sich etwa 960 Personen wegen Drogenschmuggels. 2013 wurden 687 Personen getötet, darunter 57 durch öffentliches Erhängen. Seit Anfang 2014 wurden laut dem Bericht bereits 176 Personen öffentlich gehängt.
Der UNO-Bericht stützt sich auf Dokumente von Nichtregierungs-Organisationen, Augenzeugenberichte von Iranern über Skype und Erzählungen von Exilierten. Shaheed selber hatte keinen Zugang zum Land erhalten.
Die iranischen Behörden wiesen die Kritik im Bericht zurück und bezeichneten diesen als «haltlose Propaganda». Der iranische Botschafter am UNO-Menschenrechtsrat, Mohsen Naziri Asl bekräftigte, «das Dokument stützt sich auf westliche Standards und berücksichtigt die islamische Kultur und das iranische Rechtssystem nicht».
(Quelle: SDA und Bericht UNO-Menschenrechtsrat über Iran)
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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