Montreux-Legenden durch die Linsen zweier Fotografen
In den letzten vierzig Jahren haben Schweizer Fotografen in Montreux Tausende von Bildern der weltbesten Musiker geschossen. Neue Technologien haben ihren Job entscheidend verändert.
Miles sass nackt in seiner Garderobe. Der Fotograf Edouard CurchodExterner Link trat durch die halb geöffnete Türe, erschrak und stammelte verlegen eine Entschuldigung. Zu seiner Verblüffung sagte ihm der grosse Trompeter, er solle rein kommen und er fragte ihn gar, wie ihm sein Konzert gefallen habe.
Curchod sagte, sein Englisch sei nicht gut genug, um seine Eindrücke in Worte zu fassen. Miles Davies dankte ihm und lud ihn ein, ein paar Fotos zu machen.
Curchod fotografierte 1988 zum achten Mal in Montreux. Der im nahen Vevey lebende Fotograf kannte das Festival in Montreux Externer Linkschon seit Jahren. 1980 hatte er noch keine Akkreditierung und er schlich sich jeden Abend durch einen Hintereingang des Casinos in die Küche und von dort in den Konzertsaal. Niemand stellte Fragen, es gab noch keinen Sicherheitsdienst.
Das erste Festival-Foto von Curchod wurde von einer regionalen Zeitung publiziert und zeigte am Boden sitzende Zuschauer der englischen Band Q-Tips.
Ära der Schwarzweiss-Bilder
Wie die meisten seiner Fotos aus dieser Zeit, war es ein Schwarz-Weiss-Bild. «Die Beleuchtung war zu wenig hell für Farbfotos, denn die Farbfilme waren zu wenig lichtempfindlich», sagt er. «Niemand wollte Farbfotos haben, ausser ein paar Magazine und die Plattenfirmen.»
Er entwickelte die Fotos in seinem Auto, brachte sie auf die Redaktionen und eilte mit dem Auto zurück ans nächste Konzert.
1981 wurde Curchod offiziell akkreditiert. Nun konnte er sich hinter der Bühne frei bewegen. Im gleichen Jahr fotografierte Philippe Dutoit für das Magazin L’Illustré das Konzert von James Brown. Dutoit kannte das Festival kaum. Er war eben erst nach Montreux gezogen. «Ich war nicht einmal ein grosser Musik-Fan», sagt er.
Das änderte sich, als er damit begann das ganze Festival zu fotografieren und eng mit den Künstlern zusammenarbeitete.
Per Bahn auf die Redaktion
Die Fotografen wurden immer mehr und bald durften sie nicht mehr ohne Bewilligung im Backstage-Bereich fotografieren. «Das Publikum sass vielfach am Boden, während wir herum gingen. Damit haben wir die Leute sicherlich oft geärgert. Das wäre heute nicht mehr möglich» sagt Dutoit.
Die Bilder, die am nächsten Tag in die Zeitungen kamen, mussten natürlich vor Redaktionsschluss auf den Redaktionen eintreffen. Die Fotografen entwickelten sie und brachten sie an den Bahnhof Montreux, wo sie per Post mit dem nächsten Zug an ihre Destination geschickt wurden. Der Fotograf rief danach die Redaktion an und sagte, wann der Zug in der entsprechenden Stadt eintreffen werde.
Wechselnde Künstler
Bis in die frühen 1990er-Jahre hinein war die Nachfrage internationer Medien nach Montreux-Fotos gross. Es gab noch weniger Festivals und die Musiker blieben länger in Montreux. «Dizzy Gillespie spielte am See Tennis. Heute kommen die Musiker am Nachmittag an und reisen bereits am nächsten Tag weiter nach Berlin oder London», erzählt Dutoit.
1993 dislozierte das Festival in das neue Kongress-Zentrum. Das Festival fand nun gleichzeitig in zwei Sälen statt. Den Fotografen war es nur noch während den ersten drei Stücken eines Konzertes erlaubt zu fotografieren. Auch mussten sie sich für einen der beiden Säle entscheiden.
Keine Filme mehr
Im Jahr 2000 kamen die ersten professionellen Digitalkameras auf den Markt. Dutoit erinnert sich, dass er damals für 30’000 Franken eine Nikon-Kodak DCS 760 gekauft hatte, die er dann nicht einmal zwei Jahre benutzte. Die Technologie entwickelte sich so schnell, dass er sich 2003 fragte, ob die hohe technische Qualität der Bilder «die Atmosphäre der Bilder zerstören» würde.
Doch bald realisierte er, dass die Digitalkameras den Fotografen die Arbeit erleichterte, weil sie sich weniger um technische Aspekte kümmern mussten und so ihre Aufmerksamkeit darauf konzentrieren konnten, die Atmosphäre der Konzerte einzufangen.
«Wir begannen damit, farbige Nahaufnahmen der Musiker zu machen», erzählt Curchod. «Vorher hatten wir Mühe, mit Teleobjektiven Nahaufnahmen zu machen. Wir gingen also wenig Risiken ein und machten Bilder von der Bühne mit mehreren Musikern drauf.»
Kontrolle wird wichtig
Seit Jahren umfasst das Montreux Jazzfestival nun drei Säle und acht Open-Air Bühnen. Laut Antoine Bal, dem PR-Chef des Festivals, variiert die Anzahl der akkreditierten Fotografen von Jahr zu Jahr stark. Die Liste der Fotografen muss mittlerweile den Managements der Musiker vorgelegt werden. Das jeweilige Management entscheidet anschliessend über die Zulassung. «Manchmal hat es lediglich einen Fotografen. Die Kontrolle über die Fotos ist heute wichtig», sagt Bal.
Curchod und Dutoit sind sich einig, dass bei ihrer Arbeit auch heute noch die positiven Aspekte überwiegen. «Die Atmosphäre begeistert mich immer noch. Ich fühle mich privilegiert, wenn ich die Musiker sehe, wie sie einander in die Arme fallen und sich gemeinsam über einen gelungenen Auftritt freuen», sagt Curchod.
Unter all seinen Fotos ist ein Bild von Gil Evans anlässlich seines Konzertes im Jahr 1986 in Montreux sein liebstes Bild. Evans spielte mit seinem Orchester, dem auch einige junge Musiker angehörten. Während des Konzerts lehnte sich der Arrangeur, Bandleader und Pianist zurück, schaute seinen Musikern zu und freute sich an ihrem Spiel.
«Als ich diese Bild machte, hatte ich Herzklopfen. Wenn ich es heute betrachte, kriege ich wieder Herzklopfen» sagt Curchod.
Die Festival-Sammlung des 64-jährigen Curchod umfasst heute 800’000 Fotos. Ans Aufhören denkt er immer noch nicht. Der 66-jährige Dutoit hingegen wird diesen Sommer zum letzten Mal in Montreux auf den Auslöser drücken. Zum 50. Geburtstag des Festivals 2016 plant er aber die Publikation eines Buches. Das Coverfoto ist schon heute vergeben: Es wird ein Finger von Miles Davis auf seiner Trompete sein.
(Übersetzung aus dem Englischen: Andreas Keiser)
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