Montreux: Seit Jahrzehnten ein musikalischer Supermarkt
Kalkül, Improvisation, Freundschaften und Legenden: Das sind die Zutaten, die das Montreux Jazz Festival, das am Freitag eröffnet wird, zu einem weltweit bekannten Familientreffen der Jazz-und Popstars machen.
Auch das Programm der 40. Jubiläums-Ausgabe trägt die Handschrift des charismatischen Festivalgründers Claude Nobs.
Claude Nobs ist eine Rarität. Er ist Romand und spricht dennoch Schweizerdeutsch. Gelernt hat er den Dialekt während der Kochlehre in Basel. Erfolgreich angewendet hat er ihn Ende der 60er-Jahre in New York.
Nobs war damals Buchhalter im Verkehrsbüro Montreux, und «Atlantic» war seine Lieblings-Plattenfirma. Sie hatte Stars wie Aretha Franklin, Ray Charles oder Charles Mingus unter Vertrag. «Unmöglich» antwortete die Dame am Empfang, als der Buchhalter unangemeldet da stand und den Direktor verlangte.
Nobs blieb hartnäckig und erzählte, er sei aus der Schweiz angereist. Das öffnete die Türe zu Nesuhi Ertegun, dem Boss von «Atlantic». Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch, auch dank dem Dialekt.
Ertegun verbrachte einen Teil seines Lebens in Bern. Sein Vater war türkischer Botschafter in der Schweiz. Claude Nobs wurde 1973 dank Ertegun Schweizer-Direktor des Plattenlabels WEA.
Mit «Hommage à Nesuhi Ertegun» ist der 2. Juli am 40. Montreux Jazz Festival betitelt. Programmiert sind zwei Pioniere, deren Musik nicht gegensätzlicher sein könnte: Ornette Coleman steht für Free-Jazz, Sergio Mendes für Bossa Nova.
Spagat zwischen Kommerz und Kunst
Das ist typisch für Montreux. Claude Nobs hat sich nie dadurch ausgezeichnet, dass er seine Festivals stringent und nach klaren künstlerischen Kriterien programmiert. Pop trifft auf Avantgarde, Belangloses auf Bedeutendes. Beliebigkeit ist Programm.
Typisch ist aber auch, dass Nobs sperrige, unbequeme Musik zulässt und durchaus prominent programmiert. Montreux, das war und ist der Spagat zwischen Kommerz und künstlerischem Anspruch.
Kritiker beanstanden regelmässig den Hang zum Kommerz. Nobs kontert seit jeher, bereits bei den ersten Ausgaben seines Jazzfestivals habe er auch Rock und Soul programmiert.
Der Wunsch, Montreux als Touristenort aus dem Schlaf zu wecken, war 1967 Anstoss für das 1. Festival. Das «Charles Lloyd Quartet» mit dem 22-jährigen Keith Jarrett war 1967 die einzige Gruppe aus den USA.
Trends und Jazzgeschichte
Partner waren das Westschweizer Fernsehen und die Union der europäischen Radiostationen. Diese schickten junge Musiker an den Genfersee und veranstalteten einen Wettbewerb. Das Fernsehen zeichnete die Konzerte auf. Die mediale Vermarktung brachte weltweites Ansehen, der Wettbewerb ein attraktives und relativ günstiges Programm.
Nach einigen Jahren liess Nobs den Wettbewerb einschlafen, obschon Preisträger wie Jan Garbarek (1968) oder Michal Urbaniak (1971) genauso zum Prestige des Festivals beitrugen wie zum Selbstbewusstsein der europäischen Szene.
Nobs konnte nun programmieren wie er wollte. 1973 dauerte das Festival 13 Tage und war eines der grössten in Europa. Die meisten Konzertabende endeten erst im Morgengrauen. Das Publikum störte sich weder an mehrstündigen Umbaupausen, noch an kurzfristigen Absagen.
Vieles in Montreux eignet sich zum Mitklatschen. Dennoch hat Nobs wiederholt Trends gesetzt und beispielsweise den New-Age-Sound von «Windham-Hill» programmiert, als dieser noch keine vollen Säle garantierte. Die Auftritte von Miles Davis, Gil Evans, Roland Kirk, Cecil Taylor oder Archie Shepp sind Jazzgeschichte.
Der Brand – das exzellente Branding
1971 brannte während einem Konzert von Frank Zappa das Casino nieder. «Smoke on the Water» – der Hit von «Deep Purple» verlieh der Marke Montreux endgültig Kultstatus.
Seit Beginn wurden praktisch alle Konzerte aufgezeichnet. «Live at Montreux» mit dem «Bill Evans Trios» war 1968 die 1. Plattenproduktion. Mittlerweile tragen Hunderte von CD- und einige DVD-Produktionen das Label «Live in Montreux». Der Fundus ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Ein Konzert jedoch wird nie auf einem Datenträger erscheinen: Der 1. Montreux-Auftritt von Bob Dylan im Jahr 1994. Nach dem Konzert ging Dylan zu Claude Nobs: «Ich hoffe, Du hast mein Konzert aufgenommen, das war mein bestes seit Jahren.» – Nobs trocken: «Nein, Du hast es ja verboten.»
swissinfo, Andreas Keiser
Das Montreux Jazz Festival findet vom 30. Juni bis zum 15. Juli zum 40. Mal statt.
Auf dem Programm sind u.a.: Les McCann, Paolo Conte, David Sanborn, Massive Attack, Bryan Adams, Sting, Herbie Hancock, Chick Corea, Taj Mahal und Charles Lloyd.
Das 1. Festival im Jahr 1967 dauerte 3 Tage und hatte ein Budget von 10’000 Franken.
2006 beträgt das Budget 18,2 Mio. Franken.
Claude Nobs hatte 1964 die «Rolling Stones» für ihren 1. Auftritt auf dem Kontinent nach Montreux geholt.
Das verhalf Claude Nobs, der nach eigenen Angaben keine besondere Affinität für Zahlen hat, zu einem Job als Buchalter im Tourismusbüro von Montreux.
Nobs konnte im Februar 2006 seinen 70. Geburtstag feiern.
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