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Yello oder die unglaubliche Geschichte der Schweizer Techno-Aliens

Zwei Männer in einem Tonstudio
Für das Bild posieren sie gemeinsam, doch Interviews geben sie getrennt: Boris Blank (links) und Dieter Meier in ihrem Tonstudio in Zürich. SWI swissinfo.ch/Carlo Pisani

Das Zürcher Duo Yello hat den Schweizer Grand Prix Musik 2022 gewonnen. Das Zweimann-Projekt gilt als Pionierin der Technomusik und füllt nach vier Jahrzehnten Bühnenpräsenz immer noch die Konzerthallen. Im Gespräch mit swissinfo.ch erklären die Yello-Musiker ihr Erfolgsgeheimnis: Nicht an den Erfolg zu denken.

Boris Blank ist der musikalische Kopf, aber er gesteht ein, keine Noten lesen zu können. Dieter Meier ist der Sänger. Er erzählt, dass er Singen «on the job» gelernt habe. Zusammen bilden die beiden das Duo Yello, wahrscheinlich die weltweit erfolgreichste und einflussreichste Schweizer Band.

Die beiden vermeintlichen Dilettanten könnten kaum unterschiedlicher sein: Blank ist das schüchterne Genie hinter den einzigartigen Samples und digitalen Klängen, Meier hingegen ist der Texter und Frontmann, der zugleich für das Visuelle verantwortlich zeichnet. Er ist zudem Geschäftsmann, Bohemien, Konzeptkünstler und Glücksspieler.

Yello hat etliche Widersprüche in seiner DNA. Es lässt sich daher nur schwer begreifen, wie Yello gleich zu Beginn der Karriere, in den frühen 1980er-Jahren und noch zu dritt, so rasch zu Weltruhm gelangen konnte. Vielleicht liegt es daran, dass sie immer ausserhalb aller Trends und Bewegungen Musik machten.

Blank und Meier empfingen swissinfo.ch zu einem Gespräch in ihrem Todstudio in einem vornehmen Quartier ob Zürich, bestanden aber darauf, nicht gemeinsam, sondern nacheinander interviewt zu werden.

Wir haben ihren Manager gefragt, ob sie sich nicht mehr verstehen, obwohl sie eigentlich brüderliche Zuneigung ausstrahlen und sich gegenseitig necken. «Es ist eine 40 Jahre alte Ehe», antwortete der Manager «Jeder von ihnen hat seinen eigenen Stil und seine eigene Persönlichkeit.»

Musik zum Anschauen

Der Werdegang von Yello ist vielschichtig und geht über Pop oder elektronische Musik hinaus. Ihre in den 1980er-Jahren produzierten Videos gehörten zu den kreativsten und witzigsten Clips, die auf dem noch jungen und frischen Musiksender MTV liefen, dem amerikanischen Kabelkanal, der Videoclips zu einer Kunstform machte.

Ihr Ansatz war so brilliant, dass ihr allererstes Video, das sie 1981 für den Song «Pinball Cha Cha» drehten, 1985 in einer Videokunstausstellung im Museum of Modern Art (MoMA) in New York gezeigt wurde.

Bunte, billig zusammengestellte Dekors, unsinnige Erzählungen und clowneske Darbietungen gaben ihren elektronischen Rhythmen Substanz. Und ihre Settings gingen hinaus über die exklusive und undurchdringliche Domäne der technisierten Musik der 1970er-Jahre von Musikern wie Brian EnoExterner Link, Robert FrippExterner Link oder Gruppen wie Pink Floyd oder Kraftwerk.

Die Yello-Musiker behaupten sogar, mit diesen Pionieren der elektronischen Musik nichts gemeinsam zu haben. Meier meint: «Kraftwerk ist das totale Gegenteil von Yello. Sie sind Minimalisten. Wir sind eher Wanderer durch den Dschungel der Klänge. Wir lassen uns von Situationen treiben.»

Dann nimmt er im Gespräch eine ausführliche Wertschätzung seines Kollegen Blank vor: «Er hat nie ein Konzept, wie er einen Song schreibt. Er fängt mit ein paar Klängen an, wie ein unfertiges Gemälde, und dann gehen wir nur mit einer Grundidee ins Studio und lassen die Dinge improvisiert weiterlaufen.»

Blanks Klänge kommen jedoch nicht aus dem Nichts. «Ich habe mich sehr für französische Experimentalmusik und die britische Musikszene der 1970er-Jahre im Techno-Bereich interessiert, zum Beispiel für das Stück ‘Warm Leatherette’Externer Link von The Normal», erzählt er über diese frühen Einflüsse.

Er war immer ein Klangforscher, der früh mit Synthesizern und OszillatorenExterner Link experimentierte und alle möglichen Effekte ausprobierte, «um die Musik menschlicher zu machen».

Boris Blank
Boris Blank: «Vom Konzept her finde ich Kraftwerk einfach brillant, aber sie wollten Maschinen sein. Ich wollte eine menschlichere Note, die ich in der Kombination von Jazz und elektronischer Musik fand.» SWI swissinfo.ch/Carlo Pisani

Blank war der Auffassung, dass elektronische Musik auch Spass machen und sich diese Freude nicht nur in Konzerten, sondern auch über Videos verbreiten sollte.

Die Yello-Clips waren das Ergebnis von Meiers jahrelanger Beschäftigung mit konzeptioneller Kunst und Experimentalfilmen. «Als MTV begann, waren wir tatsächlich gut vorbereitet, denn ich war zu diesem Zeitpunkt bereits ein unabhängiger Filmemacher und spielte mit meiner 16-Millimeter-Kamera herum», sagt Meier.

Es gab damals keine Marketingverantwortlichen, welche die Band steuerten. Meier war in Bezug auf Handlung, Produktion, Regie und Schnitt von Clips völlig frei. Diese Autonomie war und ist immer noch ein seltenes Privileg in der globalen Musikindustrie.

Chronische Aussenseiter

Yello, ab 1984 als Duo unterwegs, zeigte nie eine Schweizer Fahne, um auf die eigene Herkunft hinzuweisen. Umgekehrt stellte die Popwelt keine Fragen, woher diese kamen. Für das Publikum dieser Musikszene könnten Blank und Meier Aliens aus dem Weltall sein.

Einige Hits trafen den Nerv der Hip-Hop-Fans, die Yello für Rapper von der US-Westküste hielten, die Musik für People of Color machten. «Am Anfang schien es, als würden sich in den USA nur schwarze Kids für unsere Musik interessieren», erinnert sich Meier.

Dieses diskrete Auftreten spiegelt eine typisch schweizerische Haltung. Und sicherlich trug diese dazu bei, dass die beiden Yello-Musiker selbst auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs ihre Autonomie wahren konnten – auch dann noch, als sie mit bekannten Labels zusammenarbeiteten (Mercury in den Vereinigten Staaten und Elektra in Grossbritannien). Ein weiterer Faktor war sicherlich ihre «Aussenseiterrolle».

Zwei Familien posieren vor einem Yello -Transparent
Familienorientiert: Boris Blank und Partnerin (links); Dieter Meier mit Ehefrau und ihren vier Kindern anlässlich des Art Award Zürich, 1997. Keystone / Martin Ruetschi

Sowohl Blank als auch Meier waren weit über 30 Jahre alt, als Yello berühmt wurde – ein reifes Alter für neue Gesichter in der Popwelt. Sie stammten aus Zürich, einer Stadt, die bis zu diesem Zeitpunkt in der globalen Musikszene keine Tradition oder besondere Bedeutung hatte.

Die grösste Schweizer Stadt erlebte an der Wende von den 1970er- zu den 1980er-Jahren ihren ganz eigenen, verspäteten «1968er-Moment». Das heisst: Junge Leute in Auseinandersetzungen mit der Polizei, Besetzungen von leerstehenden Gebäuden, Kunstkollektive, illegale Treffpunkte und Partys, eine wütende Punkszene und ein intensiver Drogenkonsum, der sich auch im öffentlichen Raum zeigte.

Yello wurde zwar in diesem Umfeld geboren, war aber nicht direkt involviert. Auch in der Techno-Rave-Szene und ihren unzähligen Unterarten (House, Jungle, Trance, Drum&Bass usw.), die sie de facto mitbegründet hatten, tauchten sie nicht auf.

Etliche DJs kopierten und sampelten Blanks Sounds; einige der einflussreichsten, wie Carl Cox und Carl Craig, pilgerten nach Zürich, um ein wenig von Blanks zu profitieren, namentlich von seiner riesigen Sammlung an Samples.

Die frühen Jahre. «Lost Again» (1983) und «Oh Yeah» (1987):

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Wenn es um Geld geht, spielt Geld keine Rolle

Vor seinem Einstieg bei Yello hatte Dieter Meier ein Atelier in der Roten Fabrik, einem stillgelegten Fabrikareal in Zürich, das von einem anarchistischen Kollektiv genutzt wurde und heute ein institutionalisierter alternativer Kunstraum ist.

Der Konzeptkünstler war auch ein Habitué der kleinen Bohème der Stadt, ein wohlhabender, dandyhafter Lebemann und professioneller Glücksspieler («Ich war kein Spieler», korrigiert er im Gespräch, «ich war pokersüchtig»).

Sich nicht um den Erfolg kümmern zu müssen, war für Meier wohl einfacher als für andere, da er bereits dank seines Vaters reich war, bevor er durch seine zahlreichen geschäftlichen Unternehmungen zum Multimillionär wurde.

Schwieriger war es für Blank, der sich mit allen möglichen Jobs durchschlug, um zu überleben, etwa als Lastwagenfahrer («Wirklich schlimm – in sechs Monaten bin ich viermal verunglückt.»). Meier ist aber hoch anzurechnen, dass er sich nie davor scheute, Risiken einzugehen und das Beste aus seiner bequemen Situation zu machen.

Wenn er nicht gerade Musik machte oder Golf spielte (eine weitere Sucht, die er zugibt), investierte Meier Geld, etwa in ein riesiges Grundstück in Argentinien. Dort wurden Rinder gezüchtet oder Biowein angebaut.

Die Erzeugnisse verkaufte er in seinen Steak-Restaurants und Geschäften in der Schweiz. Aber ging er diese Art von Geschäften mit dem gleichen Freiheitsgeist an, der seine Musik bei Yello inspiriert?

Dieter Meier
Dieter Meier im Tonstudio von Yello. SWI swissinfo.ch/Carlo Pisani

«Nein, Geschäft ist Geschäft. Aber selbst wenn ich ein so genannter Geschäftsmann bin, werde ich von den Umständen getrieben. Als ich in Argentinien mit der Landwirtschaft begann, hatte ich eine einzige Idee, aber im Lauf der letzten 30 Jahre kamen immer mehr Dinge hinzu – ich ergriff einfach die Gelegenheiten und stolperte in etwas hinein, das ich nie erwartet hatte.»

Auf die Frage, was ihm der Gewinn des Schweizer Grand Prix Musik 2022 bedeutet, reagiert Meier überrascht. «Haben wir wirklich gewonnen? Müssen wir jetzt zu einer Preisverleihung gehen?», fragt er.

Wahrscheinlich wird dies unvermeidlich sein, denn es handelt sich um einen offiziellen Preis, der mit 100’000 Franken dotiert ist. Was er von der Ehrung hält, verschweigt er, und die Erwähnung des Geldbetrags lässt ihn nicht gerade erschauern.

Traum vom Konzert in Las Vegas

Meier und Blank haben keine grossen Pläne für die Zukunft von Yello, aber das bedeutet nicht, dass sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhen. «Mein grösster Traum ist, dass wir ein Konzert in Las Vegas veranstalten werden, um Dieters 90. Geburtstag zu feiern», sagt Blank.

Meier ist jetzt 77 Jahre alt. Das Duo hat in den letzten Jahren nur sporadisch Konzerte gegeben, denn jeder der beiden Musiker verfolgt momentan hauptsächlich eigene Projekte.

Blank ist nach wie vor aktiv mit der Produktion von Klanglandschaften. Derzeit komponiert er die Musik für eine Kunstinstallation, die im Oktober in der futuristischen Szenerie des Londoner Stadtteils Bishopsgate eröffnet werden soll. Und vor kurzem hat er eine App namens «Yellofier»Externer Link entwickelt, mit der man jede Art von Geräuschen aufnehmen, sampeln und in Musik verwandeln kann.

Meier seinerseits ist momentan nicht gerade begeistert vom Kunstbetrieb im Allgemeinen und noch weniger von der Zürcher Szene: «Es ist eine ziemlich traurige Zeit. Die letzten zehn, fünfzehn Jahre in Zürich waren nicht sehr inspirierend. Dazu kommt, dass wir hier leider sehr seltsame Leute an der Spitze des Kunsthauses haben, sehr mittelmässige Leute, die irgendwelchen langweiligen Trends folgen.»

(Anm. d. Red.: Das Zürcher Kunsthaus steht unter anderem wegen des umstrittenen Umgangs mit der Sammlung Bührle in der Kritik, die vom gleichnamigen Waffenhändler zusammengetragen worden war. Bührle wird bis heute verdächtigt, Kunstwerke von jüdischen Sammlerinnen und Sammlern gekauft zu haben, die ihrerseits vor den Nazis geflohen waren und diese unter Zwang veräussert hatten.)

Meier will wieder Filme machen, eine Tätigkeit, die er in den letzten 15 Jahren nicht mehr ausgeübt hat. «Ich bin ein Mann, der oft daran zweifelt, was er tut.» Wer Filme mache, müsse praktisch veranlagt sein, Platz für Zweifel dürfe es da nicht geben.

Genau diese Einstellung hätten sie am Anfang ihrer Yello-Karriere gehabt. «Wir hatten keine Wahl. Wir haben getan, was wir tun mussten und sind sehr originell geworden, besonders Boris. Wir haben nie versucht, die Leute zu beeindrucken. Der plötzliche Erfolg war eine Überraschung, aber wir haben uns ständig selbst mit unserer Arbeit überrascht, ohne jemals an den Erfolg zu denken», meint Meier.

Den Schweizer Grand Prix Musik 2022 erhalten Dieter Meier und Boris Blank «für ihre Originalität, ihre Ausstrahlung und ihren bedeutenden Einfluss auf die elektronische Musik», wie das Bundesamt für Kultur in einer Medienmitteilung erklärteExterner Link. Die Preisverleihung findet am 16. September 2022 im Theater l’Octogone in Pully in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset statt.

(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)

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(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)

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