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Der Kampf um Gleichstellung in Schweizer Kunstinstitutionen

Alte Mauern, neues Kunstmekka, und alles fest in Frauenhand

Muzeum Susch
Bringt vieles im Dorf in Fluss: Das Museum der polnischen Investorin und Kunstmäzenin Grazyna Kulczyk in Susch im Engadin. Carlo Pisani

Susch am Fuss des Flüelapasses in den Bündner Bergen war früher ein verschlafenes Durchgangsdorf zwischen Ober- und Unterengadin. Heute beherbergt der Ort einen der beeindruckendsten Kunsträume der Schweiz: das Muzeum Susch für zeitgenössische KunstExterner Link.

Gründerin des seit Januar geöffneten Hauses ist die Polin Grażyna KulczykExterner Link. Die Unternehmerin, Milliardärin und Sammlerin legt den Fokus auf die Rolle der Frau in Kunst und Wissenschaft.

Rund zwei Stunden von Zürich entfernt, ist das Dorf SuschExterner Link mit seinen nur gut 200 Einwohnern (Stand 2014) zum neuen Hotspot auf der Karte der Tourismus- und Kulturdestinationen des Kantons Graubünden im Südosten der Schweiz avanciert.

Neben der Clinica Holistica Engiadina (seit 2010), einer Klinik für Patienten mit Burnout und Erschöpfungs-Depressionen, bietet das Muzeum Susch eine Art der Therapie für die Sinne.

Bier und Beten

Das Zentrum besteht aus vier Gebäuden, darunter  ein altes Kloster und eine alte Brauerei. Die ältesten Teile stammen aus dem 12. Jahrhundert. Ein alter, unterirdischer und bunkerähnlicher Gang dient als Verbindungsweg.

Das Museum bringt pulsierendes Leben in das bis anhin verschlafene Dorf. «Alles hat sich verändert», sagt ein Einheimischer, als wir die Brücke über den Inn hin zum Museum überschreiten. «Sehen Sie die schnelle Strömung? Vor dem Bau floss der Fluss aufwärts», scherzt der Mann.

2000 Besucher in den zwei ersten Wochen, über 8000 in den ersten drei Monaten, dazu ein grosses Echo in den internationalen Medien: Direktorin Mareike Dittmers ist überrascht vom grossen Anklang, den das Museum seit seiner Eröffnung Anfang Januar findet. «Ich denke, das Publikum hat rasch gemerkt, dass dies etwas Besonderes ist, nicht nur etwas Exotisches», sagt sie.

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Das Muzeum Susch entspricht dem Trend hin zu Privatmuseen. Sie schiessen auf der ganzen Welt wie Pilze aus dem Boden, insbesondere aber in China und den USA. 

Kernanliegen statt Klotzen

«Die meisten dieser von Milliardären gegründeten Privatmuseen sind einfach nur Prahlerei», sagt Chus MartínezExterner Link, Leiterin des Instituto Susch, einer Art Denkfabrik, die Teil des Museums-Konzepts ist. «Das Muzeum Susch hingegen ist ein forschungsbasiertes Privatmuseum, was sehr selten ist», erklärt sie.

Martínez› Instituto trägt die Bezeichnung Women Centre for Excellence. Beteiligt ist auch das Institut Kunst der Akademie für Kunst und Design in Basel. Die Abteilung ist der Fachhochschule Nordwestschweiz angegliedert. Als Leiterin des Basler Instituts ist Martínez auch für den dortigen Ausstellungsraum «Der Tank» verantwortlich.

Die Kunsthistorikerin und Kuratorin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Geschlechterfragen, und ihre Position zum Feminismus geht weit über das simple Konzept des «Kriegs der Geschlechter» hinaus.

Omnipräsente Chefin

Grazyna Kulczyk war während aller Phasen der anspruchsvollen Renovation der Museumsbauten vor Ort präsent. Sie beaufsichtigte das Projekt und wählte ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eigenhändig aus.

Denn das neue Museum soll mehr sein als nur ein schönes Depot für ihre umfangreiche Kunstsammlung. Bei jeder Ausstellung stammen nur 40 bis 50% der ausgestellten Kunstwerke aus Kulczyks eigenen Beständen. Dies soll einen ständigen Austausch mit anderen Institutionen gewährleisten.

Die Durchmischung gilt nicht nur für die gezeigten Kunstwerke, sondern auch für das Personal. Das Museum hat keine fixe Chefkuratorin, keinen festangestellten Kurator. Vielmehr lädt Kulczyk internationale Expertinnen und Experten zu temporären Kooperationen ein. Die aktuelle Ausstellung «A Woman Looking at Men Looking Lots at Women»Externer Link hat Kasia RedziszExterner Link konzipiert, die leitende Kuratorin der Tate Liverpool.

Kritik liess nicht lange auf sich warten

Im Muzeum Susch sind praktisch alle wichtigen Stellen in Frauenhand. Es gibt nur einen einzigen Mann im Team: Es ist dies der koordinierende Kurator Krzysztof Kościuczuk.

Instituto-Leiterin Chus Martínez will den feministischen Ansatz aber nicht als Visitenkarte des Hauses verstanden wissen. «Es gibt viele andere wichtige Themen rund um das Thema Geschlecht: Kolonialismus, Rassismus, Armut und Ungleichheit.»

Hier aber setzten die ersten Kritiker der Konzeption des Museums ein. So setzte die Zürcher Kritikerin Aoife Rosenmeyer Fragezeichen hinter die Zugänglichkeit des Museums. Etwa jenes, ob das Haus nicht den elitären Touch der Kunst verstärke.

Der Klassizismus sei nach wie vor sehr ausgeprägt, schrieb Rosenmeyer. Vor allem der Kunstmarkt werde durch Hype, Exklusivität und Herkunft geschmiert – und das Muzeum Susch fördere dieses Ambiente.

Podcasts statt Kataloge

Die Frage dürfte noch einige Zeit im Raum stehen bleiben. Aber dem Programm konnte diese Debatte noch nichts anhaben. Dittmer hebt stolz hervor, dass die Dorfbewohner an jeder Phase des Projekts voll beteiligt gewesen seien.

Das Muzeum ist nicht nur Ausstellungs-, sondern auch Denk- und Experimentierraum. Auf der Agenda stehen Symposien, öffentliche Vorträge und Perfomances. Dazu werden Artists in Residence für Aufenthalte eingeladen.

Bei der Dokumentation der Aktivitäten geht das Muzeum neue Wege: Publikationen stehen der Öffentlichkeit nicht mehr in Buchform zur Verfügung, sondern als Podcasts.

Grażyna Kulczyk 

Die gebürtige Polin ist eine aktive, aber diskrete Förderin der zeitgenössischen Kunst. Eine Leidenschaft, die sie seit ihren Studienjahren Ende der 1960er-Jahre in bescheidenen Verhältnissen in Polen antreibt. Anfangs fehlte ihr das Geld für den Ankauf von Kunstwerken. Also begann Grażyna Kulczyk, Plakate zu sammeln. Und später, in den 1980er-Jahren, nutzte sie die Verkaufsräume im Autohaus ihres verstorbenen Mannes, um die Werke ihrer Lieblingskünstler auszustellen. Als sich das Familienvermögen mit dem Ende des kommunistischen Regimes exponentiell ausdehnte, wozu sie selber aktiv beitrug – beschloss Grażyna Kulczyk, ihre Sammlertätigkeit auf zeitgenössische Kunst zu konzentrieren, insbesondere aber auf polnische und osteuropäische Künstlerinnen.

Im Jahr 2003 kaufte sie in ihrer Heimatstadt Poznan eine zerstörte Brauerei. Sie gestaltete diese zu einem Zentrum für bildende und darstellende Kunst um. Einen Teil der Räume vermietete sie an Geschäfte und Restaurants.

Auf diese Weise konnte das Kulturzentrum zu einem grossen Teil durch die Einnahmen des Einkaufszentrums subventioniert werden.

Ehrgeizigere Pläne für den Standort aber musste Kulczyk bebraben. Der Grund war das ungünstige kulturelle Klima, seitdem 2005 die nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen die Macht übernommen hat. 2015 verkaufte sie den Komplex für 290 Mio. Euro an eine deutsche Investmentgesellschaft.

Nachdem sie mit ihrer Sammlung nach Graubünden gezogen war, war es eine Fügung des Schicksals, die am Anfang des Muzeum Susch stand: Eines Tages steckte Grażyna Kulczyk im Dorf im Stau fest. Sie stoppte ihren Wagen und besichtigte die alte, verfallene Anlage aus Kloster und Brauerei. Und hier nahm ihr Traum vom eigenen Kunstmuseum und -zentrum in der Schweiz Gestalt an.

Kulczyk ist Mitglied der Leitungsgremien der Tate Modern (Grossbritannien), des Museum of Modern Art Warschau und des Modern Women’s Fund Committee des Museum of Modern Art in New York (Moma).

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