Werwölfe in der Schweiz
Von der Westschweiz aus nahm der Wahn der Hexenverfolgung seinen Ausgang. Weniger bekannt ist, dass in der Schweiz bis ins 18. Jahrhundert auch Werwölfe gejagt wurden. Über die alpine Spezialität der Werwolf-Prozesse.
Die Westschweiz wurde im Mittelalter eines der frühen Zentren der Hexenverfolgung. Man hatte in der Region in Prozessen gegen Ketzer wie die Waldenser einiges an Wissen gesammelt, das nun gegen andere Teufelsbündler verwendet wurde.
Ab 1430 begann man im Wallis, um Lausanne, Fribourg und den Genfersee, aber auch in Basel, Frauen wie Männer vor Gericht zu zerren, weil man ihnen vorwarf, sie hätten sich mit teuflischem Schadenzauber gegen die christliche Gemeinschaft gewendet.
In den von den Inquisitoren erfolterten Protokollen schlich sich in jenen Jahren eine Figur ein, die unter Theologen und Dämonologen für Aufruhr sorgen sollte: Der Wolf.
Den Wolf geritten
Zunächst erschien er in mehreren Prozessen plötzlich als Reittier für Hexen. So wurde 1433 in Basel eine Frau hingerichtet, denunziert von ihrem Nachbarn: Schnell sei sie an ihm vorbei geritten, während er im Gebüsch versteckt lag.
Die Bilder, die man sich von Hexen machte, waren damals noch unbestimmter als heute: Sie reisten noch nicht auf dem Besen, diesem Attribut der putzenden Hausfrau, sondern auf mit Knabenfett eingesalbten Melkstühlen oder diversen wilden Tieren.
Das Reiten auf Wölfen allerdings war eine alpine Spezialität, wie die Quellen, die der dieses Jahr verstorbene Journalist und Werwolfspezialist Elmar LoreyExterner Link zusammengetragen hat, bezeugen.
Zur gleichen Zeit taucht in der Region der Vorwurf auf, dass Hexen und Zauberer nicht nur auf Wölfen ritten, sondern deren Form angenommen hätten, um das Vieh des Nachbarn zu reissen oder anderes Unheil anzustiften.
Oft trafen solche Vorwürfe Zugezogene, Verarmte oder solche, die sich von der Gesellschaft zurückgezogen hatten. An ihnen zeichnete die Gesellschaft ihre Ränder mit Blut und Feuer nach.
Insbesondere im Wallis herrschten damals bürgerkriegsähnliche Zustände. Hier diente die Denunziation als Werwolf dazu, missliebige Konkurrenz auszuschalten. So kam es zwischen 1428 und 1431 in Sion zur Hinrichtung von beinahe zweihundert Menschen.
Ihre Gegner hatten ihnen vorgeworfen, sie seien Teil einer Teufelssekte, die plante, ein eigenes Königreich zu errichten. Einer der Vorwürfe, berichtete der Chronist Johannes Fründ, war, dass sie sich in wilde Wölfe verwandelten: «Der böse Geist» höchstpersönlich habe Frauen und Männern beigebracht, wie sie sich in Wölfe verwandeln konnte – und wieder zurück.
Der volkstümliche Werwolf
Die Vorstellung, dass Menschen sich in Wölfe verwandeln können, findet sich bereits in der Antike. Doch in der damaligen Mythologie steht der wolfgewordenen Mensch gleichberechtigt neben Leidensgenossen, die zu Schweinen, Vögeln und Stieren geworden sind.
Der Wolf des Aberglaubens, der sich in den Hexenprozessen des späten Mittelalters in die Erzählungen der Denunzianten und in die Bekenntnisse der Angeklagten schleicht, ist ein volkstümlicher Wolf, der der rauen Welt der Berge entstammt, ein aus bäuerlicher Sicht vollkommen unnützes, bloss schädliches Tier.
Der Aberglaube ging um, bereits ein einziges Haar eines Wolfes bringe kaum schlichtbaren Streit in jedes Haus und sein Fleisch galt als giftig. Im wilden Wallis des frühen 15. Jahrhunderts versetzten Banden junger Männer die Bevölkerung, unter Tiermasken, in Schrecken – sie nannten sich nicht zufällig Werwölfe: Der Wolf galt als furchteinflössendes Tier.
Wie die Theologen langsam anfingen, an den Werwolf zu glauben
Auch wenn die Bibel den Wolf als Widersacher kennt, fehlte das Wort Wer-Wolf im Kirchenlatein. Denn es brauchte kein Wort für etwas, dass es nicht geben durfte: Die Formung wie Verwandlung von Lebewesen war Gott allein vorbehalten.
Die ersten Werwolfberichte aus der Westschweiz wurden am Kirchen-Konzil, das ab 1431 in Basel stattfand, von den versammelten Bischöfen eingehend besprochen. Die kriminologisch relevante Frage, die sie letztlich interessierte, war: Wurde jemand nur vom Teufel getäuscht, sich wie ein Wolf zu fühlen – oder hat da jemand sich tatsächlich unter satanischer Führung absichtlich in einen Wolf verwandelt?
Einige Theologen waren der Meinung, derartige Verwandlungen seien durchaus möglich: So wie der Schöpfer als Töpfer einen Krug fertige, sei es Hexern und Hexen möglich, sich einen neuen Körper zu formen. Der Inhalt, ihr Ich, blieb stabil – und konnte deswegen auch schuldig gesprochen werden.
Im Verlauf des 15. Jahrhundert fand man einen Mittelweg: Zwar konnte sich kein Mensch in einen Wolf verwandeln, doch er konnte mit dem Teufel einen Pakt eingehen, dass er ihn vor sich selbst und anderen Menschen als Wolf erscheinen lasse. Damit wurde auch die vermeintliche Verwandlung in einen Werwolf, auf Grund des Bundes mit dem Teufel, zu hexerischem Handeln.
Prozesse in der Schweiz
Der «Hexenhammer» von 1486, das zentrale europäischen Handbuch zur Bekämpfung der Hexerei, popularisierte diese Vorstellung in ganz Europa. Auch in der Schweiz kam es ab dem 16. Jahrhundert vermehrt zu Werwolfprozessen. So wird 1580 in Genf ein Mann hingerichtet, der sich mit «schwarzer Kunst» angeblich in einen Wolf verwandelt und dann 16 Kinder ermordet hat.
In Luzern gesteht ein Bauer 1664, er habe ein Ästlein in einem Topf von magischer Salbe dreimal umgedreht und sei so ein Wolf geworden und habe die Schafe seines Nachbarn gerissen. Wissen, wie man Werwölfe erkannte, kursierte in der Gesellschaft: Zusammengewachsene Augenbrauen waren ein Indiz für nächtliche Eskapaden, Werwölfe erkannte man am stumpfen oder gar fehlenden Schwanz.
Die Aufnahme der Werwolfverwandlung in den inquisitorischen Fragenkatalog machte sie zu einer hexerischen Schandtat unter vielen. Deswegen verlor sie sich zunehmend neben anderen Vorwürfen, wie dem Wetterzauber, in dem nicht nur einige Schafe, sondern ganze Regionen sich als Opfer sahen.
Eine der letzten bekannten hingerichteten Werwölfinnen war Christina Jungtso, eine Magd aus Sion. Doch der Hexenwahn sollte in der Schweiz erst hundert Jahre später zum Erliegen kommen.
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