Nach dem Erfolg in New York kehrt Hodler zurück
In Zusammenarbeit mit der Neuen Galerie, New York, zeigt die Fondation Beyeler eine umfassende Ausstellung des Spätwerks des Schweizer Künstlers. Die Werke des international bekannten Künstlers zeigen ihn von einer sehr persönlichen Seite, was ihn dem Publikum zugänglicher macht.
«Hodler ist ein einzigartiger Maler. Es gelingt ihm auf wunderbare Weise, seine Gefühle durch die Schönheit der unberührten Natur auszudrücken, indem er das Leuchten des Augenblicks einfängt. Die Wahl der Farben und die Lichtführung vereinen sich in vollendeter Harmonie.»
Lechi Abaev ist in seinem Element. swissinfo.ch hat den Künstler aus Tschetschenien eingeladen, den grössten Schweizer Maler zu entdecken. Der Künstler aus Tschetschenien teilt mit Hodler die Faszination für das Unerbittliche in der Bergwelt wie auch im menschlichen Dasein.
Die Ausstellung konzentriert sich auf die Werke, die der Künstler in den letzten fünf Jahren seines Lebens geschaffen hat. Innerlich befreit und mit kühnem Strich nimmt er unermüdlich die grossen Themen seines Schaffens wieder auf: Alpen- und Seenlandschaften, Frauen, aber auch Krankheit, Tod und Ewigkeit.
1991 begann Christie’s, Auktionen mit Schweizer Kunst zu organisieren. Fast 100 Jahre nach dem Tod des Künstlers haben seine Bilder, nach Angaben von Hans Keller, Spitzenpreise erlangt.
«Vor zehn Jahren verkaufte sich ein guter Hodler für 3 Millionen Franken, heute kann er über 10 Millionen kosten.»
Auf internationaler Ebene sei Hodler der zweitteuerste Schweizer Künstler nach Alberto Giacometti, erklärt der Verantwortliche für Schweizer Kunst bei Christie’s.
Auch Stéphanie Schleining-Deschanel von Sotheby’s bekräftigt: «Zu Lebzeiten war der Künstler als Vertreter des Symbolismus an den grossen internationalen Ausstellungen dabei und als Wegbereiter der modernen Malerei des 20. Jahrhunderts über die Landesgrenzen hinaus prägend.»
Heute sei er praktisch bei jeder Auktion von Schweizer Kunst in Zürich präsent. «Im Moment stammt die Mehrheit der Käufer noch aus der Schweiz, doch das Interesse an den Symbolisten wächst auch im Ausland stetig.»
Ein typisch schweizerischer Künstler
Ferdinand Hodler war in Europa bereits berühmt, als er die Schweiz eroberte. Heute hat er sich – hier wie im Ausland – vom Bild des historischen und «offiziellen» Malers befreit, der die Massen nicht mehr zu begeistern vermochte, und seine persönlicheren Werke erfreuen sich auf dem internationalen Markt eines reissenden Absatzes.
Der Berner mit den «stämmigen Armen» wurde 1853 in ärmlichen Verhältnissen geboren und gehörte zur Generation des 1848 gegründeten schweizerischen Bundesstaates.
Es war daher nicht erstaunlich, dass er sich voll und ganz der historischen und allegorischen Malerei verschrieb, um den jungen Staat zu unterstützen, der mit zahlreichen Bundesbauten (Bundeshaus, Landesmuseum, Postgebäude, Bahnhöfe und Kasernen) seine Existenz sichtbar machte. Hodlers monumentale Historienbilder «Wilhelm Tell» oder der «Rütlischwur von 1291» prägten das Selbstbild der Schweiz.
Sein kräftiger Pinselstrich und die grosse Geste bilden einen Kontrast zur italienischen, französischen oder deutschen Gestaltungsform seiner Epoche.
Nach Ansicht des Hodler-Kenners Jura Brüschweiler «war Hodler der erste, dem es vorerst im Ausland und dann in der Schweiz gelang, einen Stil zu schaffen, der für alle als typisch schweizerisch zu erkennen war. Dieser Stil bezog sich nicht nur auf die Sujets und Themen, die er wählte, sondern auch auf die Gestaltung und Vermittlung seiner Kunst» («Ferdinand Hodler et les Suisses», Editions Pecel Art, 1991).
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Ferdinand Hodler
Das menschliche Antlitz
Der patriotische Heiligenschein verstellte jedoch für lange Zeit den Blick auf den andern Hodler, der einer der führenden Köpfe der europäischen Kunst an der Schwelle ins 20. Jahrhundert war. Obschon Hodler in Bern geboren wurde und bis zu seinem Tod 1918 in Genf lebte, war er ein Wegbereiter des grossen künstlerischen Umsturzes im Europa jener Zeit.
Die in Basel ausgestellten Werke kommen gerade aus New York zurück, wo «die Ausstellung in der Neuen Galerie einen grossen Erfolg bei Kritik und Publikum verzeichnen konnte», so die Co-Kuratorin Jill Lloyd.
Die zwei ersten Ausstellungssäle sind den Selbstporträts gewidmet. Dazwischen hängen auch einige der vielen Fotografien seiner Freundin und Gönnerin Getrud Müller, die ihn bis zu seinem Tod immer wieder fotografiert hatte.
Hodler malte sich sehr oft selber, allein 1916 sind acht Bilder entstanden. Die Variationen eines Gesichts mit dem direkten Blick sind beeindruckend. Er malte sie mit denselben kleinen, kraftvollen Pinselstrichen, die auch in seinen rauen Landschaftsbildern zur Anwendung kamen und seine grosse Sensibilität durchscheinen lassen.
Für Jill Lloyd sind sogar in den Landschaftsbildern die Selbstporträts interpretierbar: «Der einsame Gipfel kann als Lebenskraft des Individuums oder als Symbol für die Einsamkeit betrachtet werden.»
1853 wird Ferdinand Hodler in ärmlichen Verhältnissen in Bern geboren. Mit 14 Jahren ist er bereits Waise und beginnt in Thun eine Lehre beim Dekorations- und Vedutenmaler Ferdinand Sommer.
1872 lässt er sich in Genf nieder, wo er die Kunstschule besucht und auch den grössten Teil seines Lebens verbringt. Er wird durch seine historischen, mythischen und symbolistischen Bilder, aber auch durch die Landschafts- und Porträtmalerei bekannt.
1884 begegnet er Augustine Dupin, die ihm Modell steht und auch Mutter seines ersten Sohnes wird. 1909 malt er den Tod seiner Geliebten. Das Bild «Liebe» löst in Zürich einen Skandal aus.
1890 realisiert er sein erstes grossformatiges Bild, «die Nacht», das seinen Ruf als grossen symbolistischen Maler begründet.
1904 ist Hodler Ehrengast der Wiener Secession und stellt dort 31 Bilder aus. Der grosse Erfolg macht ihn international bekannt.
1915 malt er den Tod von Valentine Godé-Darel, der Mutter seines zweiten Kindes.
2007 wird das Ölgemälde «Lac Léman vu de Saint-Prex» an einer Auktion in Zürich für 10,9 Millionen Franken verkauft.
Die Landschaften
Hodler schuf rund 700 Landschaftsbilder, davon viele gegen Ende seines Lebens. Sie füllen mehrere Säle der Ausstellung, und die Kuratoren reihen viele Darstellungen der Jungfrau oder der Dents du Midi, des Thunersees oder des Genfersees aneinander.
Vorerst bevorzugte Hodler während langer Zeit die Zeichnung, entdeckte dann aber die Farbe und steigerte sich in eine Art Explosion, bis sich der Strich allmählich in der Oberfläche auflöste.
Lechi Abaev beeindrucken besonders die Landschaftsbilder. «Der Künstler kann in den Porträts, aber vor allem in den Landschaften, seine Gefühle genau vermitteln», stellt der tschetschenische Künstler fest. «Dank seines spielerischen Umgangs mit dem Licht kann er alles erfassen und alles ausdrücken. Das macht ihn einmalig.»
Valentine
Ungeschminkt und schonungslos dokumentierte Hodler das Leben und Sterben seiner Geliebten Valentine Godé-Darel, Mutter seiner Tochter Paulette, die 1913 geboren wurde. Valentine war damals bereits an Krebs erkrankt und starb fünfzehn Monate später. Auch Hodler war gesundheitlich angeschlagen und verfolgte in erschütternden Zeichnungen die Zeit zwischen Geburt, Krankheit und Tod.
Abaev hält vor einem Bild inne. Es zeigt Valentine mit Paulette auf den Knien. «Einzig der Kopf der Mutter ist in Öl gemalt, während die Gestalt des Mädchens nur in schemenhaften Umrissen angedeutet ist. Die Kombination der warmen Farben des Gesichts und der ruhigen Gestalt von Valentine schaffen eine innige Vertrautheit zwischen Mutter und Tochter.»
Der Künstler aus Tschetschenien ist besonders bewegt von der Art und Weise, wie Hodler es vermochte, «den letzten Atemzug der Sterbenden, den flüchtigen Augenblick des Kontaktes mit dem Tod so präzis darzustellen».
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
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