Napalm aus den Alpen
Die Napalm-Variante "Opalm" wurde weltweit in kriegsführende Länder geliefert. Lange galt die tödliche Brandwaffe als Sowjet-Produkt. Heute ist klar: Sie wurde in der Schweiz entwickelt.
Ende der Siebzigerjahre drehte die indonesische Luftwaffe einen Propagandafilm. Er zeigt Soldaten, die unter dem Flügel eines amerikanischen «OV-10F Bronco» Bomben mit dem Schriftzug «BOM-OPALM» befestigen. Diese waren für Einsätze in Osttimor bestimmt, das seit 1975 für seine Unabhängigkeit kämpfte.
In der Fachliteratur galt der Brandkampfstoff «Opalm» als eine sowjetische Version des amerikanischen Napalms. Doch neu aufgetauchte Dokumente belegen, dass das nicht stimmt: «Opalm» ist ein Schweizer Produkt – entwickelt im Bündnerischen Domat/Ems, getestet von der Schweizer Luftwaffe, produziert in Deutschland im Auftrag einer Schweizer Firma.
Diese Geschichte beginnt in den frühen Fünfzigerjahren, als die U.S. Air Force 32‘000 Tonnen Napalm über der koreanischen Halbinsel abwarf. Militärische Experten waren begeistert: Napalm bot für wenig Geld grösstmögliche Zerstörung. «Eine Napalm-Bombe», konnte man damals in der Schweizer Presse lesen, «bedeckt eine Fläche von fast 2000 Metern im Quadrat mit ihren sengenden Flammen und vernichtet alles Lebende in ihrem Bereich.»
Auch die Schweizer Armee wollte die neue Waffe anschaffen. Sie hatte die Qual der Wahl: 1950 schickte eine US-Firma erste Napalm-Muster, kurz darauf folgten Muster von französischem «Octogel»und holländischem «Metavon». Im Sommer 1952 traf in Bern ein weiteres Angebot ein: Die Schweizer Firma Holzverzuckerungs AG (HOVAG), bot «ein verbessertes Napalm» namens «Opalm» an.
swissinfo.ch publiziert eine dreiteilige Serie der Historikerin Regula Bochsler über die Vorgeschichte der Ems-Chemie, die der Unternehmer Christoph Blocher 1983 vom 1979 verstorbenen HOVAG-Gründer Werner Oswald übernahm. Später wurde Blocher zum Chefstrategen der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die er auf rechtskonservativen Kurs trimmte und zur stärksten Partei der Schweiz machte, was sie bis heute ist.
Für die Recherche verwehrte seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher, die heutige Chefin der Ems-Chemie, Bochsler den Zutritt zum Firmenarchiv.
Die HOVAG mit Sitz in Domat/Ems im Kanton Graubünden war erst beim Versuch gescheitert, aus Holz einen Benzinersatz zu entwickeln.
In den 1950-Jahren dann entwickelte sie klandestin die Napalm-Version «Opalm», eine chemische Feuerbombe mit verheerender Wirkung. Um das Exportverbot des Bundes zu umgehen, verlagerte Oswald die Produktion nach Deutschland.
Opalm wurde erfolgreich an zahlreiche Länder und Organisationen verkauft, die in kriegerische Konflikte verwickelt waren.
Hier sind die anderen Teile der Serie:
Die treibende Kraft dahinter war Werner Oswald. Der HOVAG-Gründer betrieb seit 1941 in Domat/Ems ein von der öffentlichen Hand subventioniertes Ersatztreibstoff-Werk. Die Normalisierung des Benzin-Imports nach Kriegsende hatte seinen Treibstoff überflüssig gemacht, deshalb suchte er nach neuen Geschäftsideen. Napalm, das aus Benzin und einem Verdicker besteht, war eine davon.
Oswald liess «Opalm»entwickeln und patentieren. Als er es der Schweizer Armee zum Kauf anbot, argumentierte er, im Kriegsfall könne die HOVAG eine vom Ausland unabhängige Produktion garantieren. Der Bundesrat, der über den Kauf zu entscheiden hatte, war zwar überzeugt, «Opalm»sei den ausländischen Produkten «mindestens ebenbürtig». Entschied sich aber dagegen, weil es viermal teurer war als amerikanisches Napalm.
Ein klassisches Umgehungsgeschäft
Doch Oswald hatte bereits einen ausländischen Kunden an der Angel. Burma, wo seit der Unabhängigkeit 1948 bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, bestellte «Opalm» für tausend Bombenfüllungen, plus Hüllen und Zünder, die von Schweizer Partnerfirmen der HOVAG produziert werden sollten. Als der Bundesrat im Herbst 1954 die Ausfuhrbewilligung verweigerte, beschloss Oswald, die Produktion nach Deutschland zu verlegen.
Hier gab es Mitte der Fünfzigerjahre noch kein Waffenausfuhrgesetz, welches den Export von Brandkampfstoffen regelte. Also wurden die Produktionsanlagen in Ems ab – und in Karlsruhe wieder aufgebaut. Der neue deutsche Geschäftspartner, ein Waffenhändler namens Walter Heck, wurde vom eigens angereisten Schweizer Chemiker, der «Opalm» entwickelt hatte, in die Produktion nach HOVAG-«Geheimrezept» eingeweiht.
Es war ein klassisches Umgehungsgeschäft: Der Verkauf lief über die Schweiz, während der Brandkampfstoff im Ausland produziert und von dort direkt an die Kunden verschickt wurde. Das widersprach zwar dem Geist des Schweizer Rüstungsgesetzes, war seit einem Bundesgerichtsurteil von 1951 aber legal. Vorausgesetzt, dass die Waffen nie Schweizer Boden berührten.
Gleichzeitig übertrug Oswald die Abwicklung der «Opalm»-Geschäfte an die PATVAG, die ihm und seinen Brüdern gehörte. So landeten die Gewinne nicht bei der staatlich subventionierten HOVAG, welche die «Opalm»-Entwicklung finanziert hatte, sondern in den Taschen der Familie Oswald.
Der Bundesrat, der kurz vorher die Ausfuhr von «Opalm» abgelehnt hatte, bewilligte nun die Lieferung von 1000 in Basel hergestellten Bombenhüllen nach Burma. Was die Zünder anging, behalf sich PATVAG-Direktor Erwin Widmer mit einer in der Rüstungsindustrie weit verbreiteten Falschdeklaration: Er deklarierte sie als «Kunststoffbehälter» und wollte sie nach Pakistan schicken, wo ein Mitarbeiter eine «Opalm»-Vorführung für die Armee vorbereitete.
Der Schwindel flog dank einem misstrauischen Schweizer Zollbeamten auf. Doch Widmer, der beste Beziehungen zur Bundesverwaltung besass, reichte ein zweites, korrektes Ausfuhrgesuch ein, das umgehend bewilligt wurde.
Ein HOVAG-Angestellter war darüber so empört, dass er Erwin Jaeckle, den Chefredaktor der Tageszeitung «Die Tat» kontaktierte. Er informierte ihn nicht nur über die Falschdeklaration, er behauptete sogar, die Ursprungserklärung der Zünder sei gefälscht.
Doch Jaeckle, der auch Nationalrat des Landesrings der Unabhängigen war, wollte sich offenbar nicht mit Ems anlegen. In seinem Artikel verschwieg er sämtliche Namen und stellte nur ein paar Fragen zu falsch deklarierten «Zündern für Napalmbomben». Die anderen Zeitungen nahmen – abgesehen von zwei linken Blättern – keine Notiz davon, und die Behörden verschanzten sich hinter dem Amtsgeheimnis. Der PATVAG-Direktor wurde wegen der falsch deklarierten Zünder lediglich zu einer lächerlich kleinen Busse verurteilt.
In Ems tüftelte man weiterhin an der Optimierung von «Opalm» und an Zusätzen, welche die Brandwirkung noch verheerender machten. Gleichzeitig ging die HOVAG auf Kundensuche und schickte ab Sommer 1955 Warenmuster an die NATO sowie zahlreiche Länder in Europa und der arabischen Welt. Jordanien, Syrien und Ägypten kauften eine unbekannte Menge «Opalm». Die ägyptische Luftwaffe bombardierte damit im jemenitischen Bürgerkrieg (1962-1967) auch wehrlose Zivilpersonen. Polizeiakten und Briefe aus dem Umfeld der PATVAG deuten sogar darauf hin, dass diese der ägyptischen Armee eine Lizenz verkaufte und am Bau einer «Opalm»-Produktionsstätte in der Nähe von Kairo beteiligt war.
Ein anderer Kunde war die algerische Befreiungsbewegung FNL. Hier lieferte Walter Heck, der deutsche Partner der PATVAG, das «Opalm» zusammen mit Flammenwerfern, die er als «Schädlingsbekämpfungsgeräte» deklarierte. 1961 wurde Heck auf offener Strasse erschossen, so wie vor und nach ihm mehrere deutsche und Schweizer Waffenhändler, die den FNL beliefert hatten. Urheber dieser Attentate war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der französische Geheimdienst, der um jeden Preis die Bewaffnung der Aufständischen in der französischen Kolonie Algerien verhindern wollte.
Opalm in Indonesien
Ein weiterer Kunde war Indonesien. In diesem Fall ersuchte die HOVAG 1957 erneut um eine Schweizer Exportbewilligung. Vergebens. Deshalb wurde der Auftrag wohl über Deutschland abgewickelt, doch belegen lässt sich das nicht. Aktenkundig ist hingegen, dass 1960 eine indonesische Delegation die Produktionsanlagen in Karlsruhe besichtigte und 15 Tonnen «Opalm» samt Bombenhüllen kaufte.
Es war nicht die letzte Bestellung. In einem Schreiben der PATVAG heisst es, sie habe «wiederholte Male» an Indonesien geliefert. Belegen lassen sich Lieferungen, die für rund 3500 Bomben reichten. Über ihren Einsatz ist kaum etwas bekannt. Die Kommission für Aufarbeitung, Wahrheit und Versöhnung in Osttimor (CAVR), welche die Kriegsgreuel während der 24 Jahre dauernden indonesischen Besetzung Osttimors dokumentierte, fand jedoch nicht nur den bereits erwähnten Propaganda-Film, sondern auch ein Dokument der indonesischen Armee, das die Eigenschaften von «Opalm»auflistete – zum Beispiel das «Verbrennen von Zielen mit einer Hitze von +/– 1725 Grad Celsius für 15 Minuten in einem Radius von 600 Quadratmeter. Ein Augenzeuge berichtete: «Diese Bomben haben die Menschen einfach verbrannt und zu Asche gemacht.»
Als die Kommission 2006 ihren Schlussbericht veröffentlichte, bestritt der indonesische Verteidigungsminister, dass in Osttimor Napalm eingesetzt worden sei und behauptete: «Damals hatten wir nicht einmal die Kapazität, Napalm zu importieren, geschweige denn herzustellen.» Angesichts der Quellen aus deutschen und Schweizer Archiven, welche die «Opalm»-Verkäufe an Indonesien dokumentieren, lässt sich diese Behauptung nicht mehr aufrechterhalten. So oder so unbestritten ist, dass Indonesien die Konvention, die 1983 den Einsatz von Brandkampfstoffen gegen Zivilpersonen ächtete, bis heute nicht unterschrieben hat.
Regula Bochsler: Nylon und Napalm. Geschichte der Emser Werke und ihres Gründers Werner Oswald. Erschienen bei Hier & Jetzt 2022.Externer Link
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