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Neues Leben für Textil-Industrie dank Hightech

Kugeldicht und klimatisiert: Hightech-Schutzweste der neuesten Generation aus dem Labor der Empa. Empa

Schweizer Textil-Unternehmen verfügen über eine lange Tradition. Mit Neuentwicklungen im Hightech-Bereich verteidigen sie ihre Spitzenposition. Das Resultat ist eine Bekleidung, in der sich intelligente Technologien und Alltagstauglichkeit trifft.

Solar Impulse, das ultraleichte Solarflugzeuge des Schweizer Pioniers Bertrand Piccard, mit dem er in zwei Jahren die Welt als erster Solarpilot umfliegen will, erregt grosses Aufsehen. Aber wer denkt daran, welche Kleider der Pilot dabei tragen wird?

Genau das haben Textilingenieure der Empa, des Forschungszentrums für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung an der ETH Zürich, gemacht. Die Wissenschaftler entwickelten eigens für die Weltumrundung im Solarflieger ein System zur Kontrolle der Temperatur, das in den Piloten-Overall integriert ist.

«Weil das Flugzeug keine Energie für eine Klimaregulierung im Cockpit liefert, haben wir einen multifunktionalen Anzug entwickelt. Dieser erlaubt es dem Piloten, die Temperatur den herrschenden Bedingungen anzupassen», sagt Empa-Projektleiter Marcel Halbeisen gegenüber swissinfo.ch.

Der klimatisierte Piloten-Overall ist aber nur eine von vielen innovativen Hightech-Textilentwicklungen aus den Empa-Laboren.

Im Bereich angewandte Forschung arbeiten die Textil-Tüftler eng mit Herstellern zusammen. Ein Beispiel: Zusammen mit Unico Swiss Tex und weiteren Partnern aus der Privatwirtschaft entwickelte die Empa jüngst eine kugelsichere und gleichzeitig klimatisierte Weste. Die Firma aus Alpnachstad, die auf kühlende Kleidung spezialisiert ist, will diese Weste nun zur Marktreife bringen.

Das schützende Teil, das über auffüllbare Wasserbehälter verfügt, vermag die Körpertemperatur des Trägers tatsächlich abzukühlen. Dies haben Tests bei der Zürcher Stadtpolizei gezeigt.

Laut Unico Swiss Tex besteht bereits eine grosse Nachfrage, vor allem von Seiten von Sicherheitskräften aus Ländern wie Indien und Saudiarabien, wo es sehr heiss sein kann. Unico steht nun vor der Herausforderung, die Fertigung auf die Skala Massenproduktion heraufzufahren.

Investition in die Zukunft

Die Zukunft der Schweizer Textilindustrie liegt im Hightech-Bereich. Laut dem Textilverband Schweiz (TVS), der rund 200 Hersteller vereint, machen technische Textilien einen Fünftel aller Schweizer Textil-Ausfuhren aus.

«Weil die asiatischen Hersteller ins textile Massengeschäft eingestiegen sind, müssen sich europäische Fabrikanten auf technische Stoffe konzentrieren, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben», sagt Manfred Bickel, im Branchenverband Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung.

«Wir müssen neue Techniken, Technologien, Materialien und veredelte Produkte finden, damit wir in neue Marktbereiche wie Umwelt, Gesundheit, Gebäude oder sogar Hightech-Haute-Couture vorstossen können», so Bickel. Die Diversifikation bedinge aber erhebliche Investitionen, die insbesondere jüngere Unternehmen vor Probleme stellen könnten.  

Kleinkraftwerk im Luxus-Accessoire

In solche Diversifikation investiert hat das traditionelle St. Galler Stickerei-Unternehmen Forster Rohner. Weil der Schweizer Markt nicht mehr wächst, schuf das 100-jährige Familienunternehmen eine Abteilung für Forschung und Entwicklung, um neue Anwendungen für Stickerei zu erkunden.

Abteilungsleiter Jan Zimmermann hofft, dass technische Textilien in drei bis vier Jahren ein «relevanter Teil» der Produktion sein werden.

Ein erster Schritt auf dem neuen Weg ist eine luxuriöse, solargetriebene Handtasche. Forster Rohner spannte dabei mit sieben Forschungspartnern aus dem In- und Ausland zusammen, u.a. auch mit der Empa.

Die textile Oberfläche der Tasche ist nicht mit Stickereien verziert, sondern mit zahlreichen Mini-Solarzellen. Die gewonnene Energie speist im Innern der Tasche eine Lithium-Ionen-Batterie, die eine Innenbeleuchtung der Tasche im Dunkeln ermöglicht oder das Aufladen des Akkus eines Handys, das mit einem USB-Kabel angeschlossen wird.

Unverzichtbare Partnerschaften

Die Beispiele zeigen, dass in der Entwicklung von hochtechnischen Textilien kaum mehr etwas geht ohne Zusammenarbeit mit Partnern.

Im Projekt «Guardian Angels for a Smarter Life» (Schutzengel für ein klügeres Leben) haben sich über 24 Universitäten, Forschungsinstitute und –labors aus 13 europäischen Ländern zu einem potenten Forschungs-Konsortium vereint. Die Führung obliegt den Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich (ETHZ) und Lausanne (EPFL).

Das Schutzengel-Projekt ist einer von sechs Vorschlägen, die Forscher zur Teilnahme am Vorzeigeprogramm der Europäischen Union (EU) zur Entwicklung künftiger Technologien eingereicht haben.

Das Programm, von Brüssel mit einer Milliarde Euro dotiert, ist ein äusserst ambitioniertes Vorhaben. Ziel ist die Entwicklung neuer Konzepte für elektrische Geräte, die praktisch ohne Strom auskommen sollen und deshalb in alltägliche Objekte wie Kleider integriert werden könnten. Auch sollen sie Benutzerinnen und Benutzer mit allerlei Informationen versehen können.

Eine mögliche Anwendung aus dem Guardian-Angel-Programm sollen Nano-Sensoren sein. Eingebaut beispielsweise in einem T-Shirt, können sie Daten wie Pulsfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur messen und gleichzeitig dem Träger oder der Trägerin mitteilen, was diese Werte bedeuten.

Der Schlüssel zu solchen Systemen liegt laut Projekt-Koordinator Christofer Hierold von der ETH Zürich bei Nano-Sensoren mit minimstem Energieverbrauch. Sie sind Tausend Mal dünner als ein menschliches Haar und kommen mit der Energie aus, die sie aus der Umwelt beziehen.

Heutige Sensoren seien immer noch gross und aufdringlich. «Wir wollen die Grösse und den Energieverbrauch dieser Technologien auf ein Mass reduzieren, dass die Menschen sie gar nicht mehr wahrnehmen», sagt Hierold.

«Historische» Logik

Die führende Rolle der Schweiz im Bereich textiler Neuentwicklungen geht laut Michaela Reichel, der Direktorin des Textilmuseums St. Gallen, aus dem reichen textilen Erbe hervor, über welches das Land verfüge.

«Das Interesse an textilen Entwicklungen hat seinen Ursprung in der Geschichte. Es begann im 19. Jahrhundert mit der Erfindung zahlreicher Textilmaschinen. Zwar wurden die meisten dieser Maschinen nicht in der Schweiz entwickelt, aber sie wurden hier optimiert», so Reichel.

Damals sei es darum gegangen, Techniken wie die Stickerei effizienter und billiger zu machen. «Heute geht es für die Unternehmen darum, eine Nische auf dem Weltmarkt zu finden», sagt Michaela Reichel.

Die Ausstellung «Traum & Realisation», die gegenwärtig im Textilmuseum St. Gallen zu sehen ist, zeigt die Entwicklung der Textilindustrie in der Ostschweiz, die von der Stickerei über Baumwolle, Drucken und Leinen bis ins 16. Jahrhundert zurück reicht.

Nach der Verlegung der klassischen Textilfabrikation nach Asien spezialisierten sich viele Ostschweizer Textilbetriebe auf die Entwicklung von Hightech- und intelligenten Textilien.

Die Ausstellung stellt nicht nur eine Auswahl führender Betriebe und ihrer Produkte vor, sondern zeigt solche auch in ihrer Anwendung.

So etwa einen Stoff, der vor einem Fenster Licht filtert (Hersteller: Sefar, Heiden) oder einen Teppich von Tisca Tiara, einem Marktführer bei Heim- und Industrietextilien.

Die Schau Traum & Realisation in St. Gallen ist bis 2013 geöffnet.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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