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New Bern – unsere brutal normale Kleinstadt

Bild Our Town Cheerleaders

New Bern in den USA ist kein spezieller Ort. Auch seine Schweizer Gründungsgeschichte ist kaum mehr sichtbar. Fotograf Michael von Graffenried dokumentierte das Leben von New Bern dennoch mit Akribie – oder gerade deshalb. 

New Bern wurde 1710 durch Auswanderer aus der Schweiz und Deutschland gegründet. Einer der Gründerväter war Christoph von Graffenried, ein Berner Patrizier, Landvogt von Yverdon.

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Er hatte Schulden, Krach mit der Familie und hoffte, in der Neuen Welt zu Geld zu kommen. 

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Dies war zu einer Zeit, als die Berner Behörden nach Wegen suchten, in einer der englischen Kolonien Land zu kaufen, um einige Hundert «unerwünschte Elemente» – Arme und religiöse Dissidenten, meist Täufer – loszuwerden und dort anzusiedeln.

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Doch schon drei Jahre nach der Gründung kehrte von Graffenried verarmt wieder nach Bern zurück. Indigene hatten seine Siedlung angegriffen. Er behielt sein Leben nur, weil er sich als König ausgab. Sein Sohn Christoph blieb.

Frau und Hunde

300 Jahre später bricht Michael von Graffenried, der zu den bekanntesten Schweizer Fotografen der Gegenwart zählt, erstmals nach New Bern auf, um sich der Stadt fotografisch anzunähern. Er ist ein Nachfahre des Stadtgründers, entfernt oder direkt, das ist schwer zu sagen: «Unsere Familie ist so riesig, da ist es schwierig, den Überblick zu behalten.» 


Our TownExterner Link ist Michael von Graffenrieds fotografisches Porträt von New Bern, einer kleinen Stadt in North Carolina an der Ostküste der USA mit 30.000 Einwohnern. 55 Prozent weiße und 33 Prozent schwarze Einwohnerinnen und Einwohner. Hier, am Zusammenfluss des Neuse und Trent River baute 1710 Christoph von Graffenried aus dem Schweizerischen Bern, ein Vorfahr des Autors, die ersten Häuser und gab dem Ort den Namen seiner Heimatstadt.  240 Seiten, 120 Abbildungen, Leineneinband, 30.5 x 24 cm


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Einen Namen als Fotograf hat er sich gemacht mit dokumentarischen Panoramafotos, die aus der Mitte des Geschehens berichten.

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Von Graffenried hält seine Kamera beim Fotografieren nicht vor die Augen und er schaut nicht durch den Sucher. Er drückt den Auslöser intuitiv auf Brusthöhe. So merken die Beteiligten selten, dass sie gerade fotografiert werden. «Sobald man eine Kamera auf Amerikaner richtet, werfen sich diese in Pose. Das wollte ich vermeiden», sagt er.

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Wie in vielen anderen kleinen Städtchen der amerikanischen Provinz herrscht in New Bern eine sehr gemächliche Gangart. Ab 20 Uhr gibt es in der historischen Altstadt kaum noch ein offenes Lokal. Dann ist auch kaum noch ein Mensch in den Strassen des Zentrums anzutreffen.

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Der Berner Bär auf gelb-rotem Grund zeigt sich oft. Meist weht eine Berner Bärenflagge neben einer amerikanischen. Auch auf den Stadt-Fahrzeugen und Polizeiautos steht «Proud to Wear The Bear».

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Michael von Graffenried schuf «geduldige Bilder des Alltags, die sich kein Urteil über die Bürgerinnen und Bürger der Stadt anmassen», heisst es in einem Pressetext zum Fotoband.

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Ausserhalb des  Zentrums ist New Bern eine typische US-Kleinstadt, weiträumig verstreut die Wohnquartiere: Wohnwagen-Siedlungen, Sozialwohnungen, kleinere und grössere Einfamilienhäuser und auch Villen. Dazu die Malls, die Einkaufszentren entlang den Hauptverkehrs-Adern.

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33’000 Einwohner und 100 Kirchen: Die Stadt liegt im sogenannten Bible Belt der USA. 55 Prozent weisse und 33 Prozent schwarze Einwohnerinnen und Einwohner leben hier.  «Es gibt zwei New Berns – ein weisses und ein schwarzes», sagt Michael von Graffenried. 

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«Alle meine Projekte brauchen Zeit, und ich kehre oft wie ein Verbrecher zurück an den Tatort», sagt der Fotograf. In den letzten 15 Jahren kehrte er immer wieder an den Ort im Bundesstaat North Carolina zurück. Es entwickelten sich Freundschaften, es gab aber auch Kontroversen.

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Die lokale Presse schrieb mehrere Artikel über die Arbeit des Schweizer Fotografen. Man warf ihm vor, er würde den Ort in ein negatives Licht rücken. 

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In North Carolina prallen der Norden und der Süden aufeinander. Die Spaltung der USA zieht sich mitten durch den Bundesstaat und durch diese Kleinstadt.

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Im Juni 2020 fand nach der Ermordung des Schwarzen George Floyd durch weisse Polizisten die grösste Demonstration statt, die New Bern je gesehen hat, parallel zu vielen Protesten der «Black Lives Matter»-Bewegung im ganzen Land. Damit wurde in der Stadt Rassismus zum ersten Mal öffentlich zum Thema gemacht.

Football

Im Bildband erscheinen die grossformatigen Panoramas aus New Bern ohne jeden Kommentar. Das sei Absicht, sagt der Fotograf, «so kann man sich ganz auf die Fotos einlassen.»

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«Es ist eine langweilige Stadt, oft habe ich mich gefragt, was ich eigentlich hier mache. Aber das hat mich gezwungen, genau hinzusehen.»

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Unter den Weissen hatte Michael von Graffenrieds Namen Türen geöffnet. Den Schwarzen jedoch war dieser geschichtliche Bezug egal.

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Durch einen Gottesdienst lernte Michael von Graffenried einen Sozialarbeiter kennen – einen gut vernetzten Mann. «Wir haben uns auf Anhieb verstanden, und er hat mir dann Zugang zum anderen New Bern verschafft», erzählt der Fotograf im Migros-MagazinExterner Link.

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«Die politische Polarisierung des Landes war auch in New Bern unübersehbar, aber mir schien, dass die Schwarzen im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung selbstbewusster geworden sind», erinnert sich der Fotograf an seinen letzten Besuch im November 2020.

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