Nicht einfach Wahnsinn: Edvard Munch in Basel
Die Fondation Beyeler widmet dem norwegischen Maler Edvard Munch eine Retrospektive. Es ist die umfangreichste Werkschau, die je ausserhalb Norwegens gezeigt wurde.
Auch die Königin von Norwegen kam zur Eröffnungsfeier. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Rolle von Munch als Vorläufer des Expressionismus und seinen Beitrag zur modernen Kunst.
Munch (1863-1944) hatte alle äusseren Eigenschaften eines leidvollen Künstlers: Eine unglückliche Jugend, die im Zeichen des frühen Todes seiner Mutter und seiner Schwester stand. Beide wurden von der Tuberkulose dahingerafft. Danach durchlief der Vater eine Depression. Munch selber war schwächlich, seine Gesundheit litt in einigen Lebensphasen noch unter Alkoholexzessen und Nervenkrisen.
«Er wollte nie heiraten: Einerseits, um seine Unabhängigkeit zu bewahren, andererseits, um seine Gebrechen nicht an nachkommende Generationen zu vererben», sagt Dieter Buchhart, der Kurator der Munch-Ausstellung in Riehen, im Gespräch mit swissinfo.
Dies bedeutet keineswegs, dass er mit Frauen nichts anfangen konnte. Ganz im Gegenteil: Er fühlte sich magisch angezogen von den Frauen, die er mal als Engel, mal als Vampire sah. Das Thema der Eifersucht zieht sich durch sein ganzes Werk.
Das Klischee des Krisenkünstlers
Die Ausstellung der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel versucht aber ganz bewusst, mit dem Klischee des nordisch-depressiven Künstlers zu brechen. Munch wird auch von einer unbekannten Seite gezeigt, in der es Platz für den Zauber der Natur und den Enthusiasmus für das Leben gibt.
«Die Sichtweise von Munch als depressivem Künstler stammt aus der Nachkriegszeit. Sie hat mehr mit einem Nachkriegstrauma zu tun denn mit Munch», behauptet Kurator Buchhart. Vielleicht sei Munch keine glückliche Person gewesen. Doch mit Sicherheit habe er nicht nur Schmerz und Tod gemalt.
Zu den glücklichen Momenten gehören sicherlich diejenigen, in denen er das warme Licht von Südfrankreich festgehalten hat oder die geheimnisvollen Sommerabende in Skandinavien.
Vieler dieser Bilder befinden sich in Privatbesitz und waren Jahrzehnte lang nicht zu sehen. Manche seit mehr als 80 Jahren. Wohl auch aus diesem Grund blieb von Munch einzig das Image eines finsteren Künstlers.
Natürlich ist die dunkle Kraft seiner Bilder beeindruckend. Aber es wäre falsch, diese Bilder nur in einem autobiografischen Kontext zu interpretieren, der sich mit dem Thema der Angst verbindet (Werke wie «Der Schrei», das wohl bekannteste Gemälde, und «Die Angst»)
«Zu seinen Lebzeiten war ‹Der Schrei› keineswegs das bekannteste Werk des Künstlers, sondern eher ‹Das kranke Kind›. Man sollte bei diesem Bild auch nicht nur an die kranke Schwester denken, denn die Kinder waren damals ein klassisches Sujet. Der Unterschied liegt darin, dass die meisten gemalten Bilder nie Züge von Krankheit aufwiesen», erklärt Dieter Buchhart.
Durch Skandale zum Ruhm
Krankheiten, Kinder im Todeskampf, nackte Heranwachsende, Küsse von Vampir-Frauen: All dies konnte zum Ende des 19. Jahrhunderts als skandalös erscheinen. Doch die Kunstkritik verachtete anfänglich diese Werke. Sie empfand die Gemälde schlicht und einfach als hässlich und unvollendet.
Munch experimentierte schon früh mit Materialien und der Idee des Zerbröckelns des jeweiligen Sujets. Um seine Emotionen besser darstellen zu können, schreckte er auch vor «Rosskuren» nicht zurück. Einige Bilder setzte er Schnee und Regen aus.
Aber gab es in diesem Verhalten nicht auch eine exhibitionistische Komponente? «Es gab sicherlich auch diesen Aspekt bei ihm», meint der Kurator. Er sei eben eine Art von Enfant terrible gewesen und habe darauf seinen Ruf aufgebaut.
Seine Ausstellungen wurden allmählich von Skandalen begleitet. Und genau aus diesem Grund begann man, in ganz Europa von Munch zu reden. Mit dem Interesse des Publikums stieg auch das Interesse der Kunstkritik.
Zeichen der Moderne
In der Ausstellung kann man den psychischen Druck und die emotionale Kraft als Zeichen der Moderne stark nachempfinden. «In den ersten Werken aus den 1880er-Jahren gibt es eine enorme Aggressivität: Stechende Farben, verkratze Oberflächen. Es ist wie ein Schrei», sagt Burchhart.
Apropos: Wo ist «Der Schrei»? Warum ist dieses weltberühmte Gemälde nicht ausgestellt? Die Fondation Beyeler hat ihre Besucher an die Präsenz solcher Bilder gewöhnt.
«Wir waren in Verhandlungen, als das Bild gestohlen wurde. Da es dann nicht vorhanden war, konnten wir uns von der Pflicht entziehen, es ausstellen zu müssen. Das gab uns auch die Freiheit, uns mehr auf den experimentellen, chromatischen und modernen Munch zu konzentrieren.»
In der Zwischenzeit ist «Der Schrei» zwar wieder aufgetaucht. Doch das Bild ist beschädigt und wird nicht mehr ausgeliehen. Die Besucher des Museums Beyeler können eine Lithographie von 1895 bewundern. Darunter steht: «Ich habe den grossen Schrei durch die Natur gehört».
Viele haben den Schrei gehört, doch kaum jemand konnte ihn so präzise darstellen wie Munch.
swissinfo, Raffaella Rossello, Riehen
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Die Ausstellung «Edvard Munch – Zeichen der Moderne» in der Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, läuft vom 18. März bis 15. Juli 2007.
Zu sehen sind 130 Gemälde, 80 Arbeiten auf Papier und Radierungen sowie einige Fotografien.
Die Fondation Beyeler hat Leihgaben von vielen amerikanischen und europäischen Museen erhalten.
Ausgestellt sind auch Werke von mehr als 50 Privatsammlern, die der Öffentlichkeit noch nie zugänglich waren.
Das erste Kapitel der Ausstellung thematisiert den frühen Bruch Munchs mit dem skandinavischen Naturalismus, mit Bildern wie «Das kranke Kind» (1880-1892).
Das zweite Kapitel (1892-1895) ist der expressionistischen Berliner Phase gewidmet, mit Bildern wie «Madonna», «Pubertät», «Kuss» und «Vampir»
Das dritte Kapitel verfolgt die während der Pariser Jahre entstandenen Arbeiten auf Papier (1896-1897).
«Stilwandel und Zusammenbruch» heisst das vierte Kapitel (1898-1909): Munchs Werke nehmen eine chromatische Intensität und einzigartige Ausdruckskraft an.
Das fünfte Kapitel (1909-1919) widmet sich der Auseinandersetzung mit Fotografie, Film und Bewegung.
Das sechste Kapitel (1920-1944) geht auf die Auflösungs-Erscheinungen von Material und Form in Munchs Spätwerk ein.
Das letzte Kapitel (1920-1944) widmet sich schliesslich der späten Druckgrafik und dem Verschwinden des Motivs.
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