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«Nanas» bannen die Macht der Männer

Keystone

Ihre "Nanas" sind weltbekannt: Grelle, üppige Frauenfiguren aus Polyester. Mit ihnen schaffte Niki de Saint Phalle in den 1960er Jahren den künstlerischen Durchbruch.

Die Pop-Artistin war zwar durch die Ehe mit Jean Tinguely mit der Schweiz verbunden. Sie hatte in der Schweiz als eigenständige Künstlerin aber lange einen schweren Stand.

Niki de Saint Phalle: Ein solcher Name konnte nur ein provokant gewähltes Pseudonym sein, glaubten viele, als die Künstlerin in den 50-er Jahren die europäische Kunstszene betrat. Aber er war echt, sogar alter französischer Adel.

Niki de Saint Phalle blieb zeitlebens eine französisch-amerikanische Künstlerin, obwohl sie vierzig Jahre lang mit dem Schweizer Jean Tinguely zusammen war, immer wieder mit ihm zusammen in Freiburg arbeitete und nach der Heirat mit ihm 1971 auch Schweizerin wurde.

Die Prophetin,…

Das mag daran liegen, dass das Künstlerpaar de Saint Phalle/Tinguely die meiste Zeit über in Frankreich lebte und arbeitete. In der Schweiz fielen ihre Werke allzu lange auf steinigen Boden.

Waren beispielsweise das schwedische Publikum und die ausländische Presse begeistert über die monumentale Frauenfigur «Hon», die 1966 im Moderna Museet in Stockholm installiert wurde, zeigten sich die Schweizer schockiert.

…die Schande über das Land bringt

Die 27 Meter lange, liegende Polyesterfigur, die das Publikum durch eine Öffnung an der Stelle der Vagina betritt, liess die Kritiker beben. In der Berner Zeitung «Der Bund» war von einer «obszönen Entgleisung «die Rede und von einer «monströsen Schweinerei»– Urteile, denen viele Leserbreifschreiber beipflichteten.

Nikis de Saint Phalles Werke waren zwar auch in der Schweiz ab 1964 vermehrt zu sehen, doch die Schweizer Presse betrachtete ihre Bilder und Skulpturen nicht als eigenständige Werke, sondern höchstens als Koproduktionen: Niki wurde nicht als eigenständige Künstlerin wahrgenommen, sondern als eine Art Assistentin Tinguelys.

Tinguely der Magier

Der Einfluss Tinguelys auf de Saint Phalle war zweifellos enorm, die erste Begegnung in Paris 1955 von weitreichender Bedeutung. Sie erinnerte sich später in einem Brief an ihren Geliebten noch genau an dieses Zusammentreffen:

«Ich verliebte mich sofort in Deine Arbeit. Dein Atelier sah aus wie ein riesiger Schrotthaufen voll wunderbarer verborgener Schätze. Jean, Du sahst sehr gut aus. Du gingst wie ein Panther und hattest diese magnetischen Augen, die Du sehr genau einzusetzen wusstest. Ein sehr schöner, dunkler, gefährlich aussehender Mann.»

Die Begegnung mit Jean Tinguely gab ihrem Leben als Künstlerin die Richtung und bestimmte es bis über dessen Tod 1991 hinaus. «Tinguely führte sie in die Kniffe und Tücken der Bildhauerarbeit ein, gab ihren ersten Gipsgebilden mit Drähten und Eisenstücken Halt und Struktur und bezauberte sie mit seinem kecken Wesen», schrieb die Kunsthistorikerin Margrit Hahnloser.

Erste Ausstellung in der Schweiz

Ein Jahr nach ihrem ersten Treffen mit Tinguely stellte Niki 1956 zum ersten Mal ihre Bilder und Gouachen in der Schweiz aus. Kurze Zeit später verlässt sie ihren ersten Mann und ihre zwei Kinder und zieht zu Jean Tinguely an die Seine.

In den 60-er Jahren wird Niki in der Pariser Aventgarde der Nouveaux Réalistes im Kreis um Yves Klein, Arman, César, Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Bob Rauschenberg und Pierre Restany zur kühnen Mitstreiterin und beginnt mit einer «Generalabrechnung», die sich in Assemblagen und vor allem dem «Schiessbildern» manifestierte.

Schöperische Amazone

Sie schiesst mit einem Gewehr auf Leinwände, in denen Plastikbeutel voller Farbe verborgen waren. «Es war ein erstaunliches Gefühl, auf ein Bild zu schiessen und zu sehen, wie sich dieses selbst in ein neues verwandelte. Das Blutbad in Rot, Gelb, Blau spritze auf das reine weisse Relief. Das Bild wurde zum Tabernakel für Tod und Auferstehung», sagte de Saint Phalle im Rückblick.

Mit ihren «Tirs» entfacht sie Skandale und Diskussionen; weltweit wird über sie berichtet.

«1961 schoss ich auf Papa, alle Männer, kleine Männer, grosse Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, Männer, meine Brüder, die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie, meine Mutter, alle Männer, Papa, auf mich selbst, auf Männer», meinte sie dazu.

Durchbruch mit den «Nanas»

Nach 1972 begann sie mit der Arbeit an ihren Monsterfrauen, den «Nanas». Diese sind überdimensionierte, bunte und üppige weibliche Figuren. Mit ihnen erobert sie nach 1965 die Welt.

Eine dieser massigen Matronen ist der riesige Engel am Firmament des Zürcher Hauptbahnhofs. Andere stehen, liegen oder hängen in Paris, New York, Brüssel, Tokio, Amsterdam, Los Angeles, Genf oder Luzern.

Mit ihnen schuf die Künstlerin vor Farben, Energie und Leben strotzende weibliche Figuren, welche die männlichen Einflüsse auf die Welt spielend überwinden.

«Männer waren sehr erfinderisch. Sie haben all diese Maschinen erfunden, das Industriezeitalter, aber keine Ahnung, wie man die Welt verbessert», sagt sie im Porträtfilm «Niki de Saint Phalle» von Peter Schamoni (1966).

Am 22. Mai 2002 stirbt Niki de Saint Phalle in Kalifornien an einer Lungenkrankheit, die sie sich aufgrund giftiger Dämpfe bei ihrer Arbeit an ihren Polyesterfiguren zugezogen hatte.

swissinfo, Katrin Holenstein

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