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Nun wirkt sich die reformierte Reform auf Noten aus

Die neue deutsche Rechtschreibung gilt ab 1. August. Keystone

Seit dem 1. August ist in der Schweiz die reformierte Rechtschreibung für die Schulnoten wirksam. Längst sind nicht alle Zweifel ausgeräumt, dass die Reform richtig war. Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) forderte vom Bundesrat ein Moratorium.

Im Jahr 1996 wurde die deutsche Rechtschreibung reformiert. Die Reformen, die 1996 eingeführt wurden, waren von vier Expertengruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erarbeitet worden.

Das Ziel der Reform war, eine Vereinfachung der Schreibweisen durch die Beseitigung von Ausnahmen und Sonderfällen zu erreichen.

«Bis zur Reform von 1996 wurde die deutsche Rechtschreibung vom Dudenverlag geregelt», sagt Rudolf Wachter, Professor für vergleichende Sprachwissenschaft an den Universitäten Basel und Lausanne. Er ist ein Kritiker der Reform, und nicht nur der Reform, auch der Reformen der Reform.

«Der Dudenverlag hat sich hundert Jahre lang ausserordentlich Mühe gegeben, die kleinen Veränderungen der Orthografie in den Texten des Alltags und den Druckerzeugnissen festzustellen und abzuwägen, ob diese Entwicklungen günstig oder weniger günstig sind.»

An der Tatsache, dass ein privater Verlag das Monopol über die deutsche Rechtschreibung innehatte, habe sich die Politik irgendwann gestossen.

Substantive als solche erkennen

Die Reformer hegten gute Absichten: Beispielsweise sollten Substantive wieder als solche erkennbar sein. In der Reformschreibung, die 1998 rechtswirksam wurde, schrieb man «es tut mir Leid» und «Not leidende Menschen», auch «im Folgenden».
Auch sollte man an der Schreibweise die Herkunft des Wortes wieder erkennen können, deshalb wurde die «Gemse» in «Gämse» (von «Gams») und «behende» in «behände» (von «Hand») umgeschrieben.
Fremdwörter sollten vereinfacht werden: Das italienische Wort «Spaghetti» wurde zu «Spagetti» eingedeutscht, der französische Begriff «Mayonnaise» wurde ab 1996 zu «Mayonäse».

«Gämse» stiess auf Widerstand

Diese und andere Änderungen in der Schreibweise stiessen bei den Sprachbenutzerinnen und – Benutzern auf Widerstand.

«Das Paradebeispiel ist die ‹Gämse›. ‹Gemse› hat man seit Jahrhunderten mit ‹e› geschrieben. Die Leute wollten einfach nicht einsehen, warum man das jetzt plötzlich mit ‹ä› schreiben sollte», erklärt Wachter.

Logischer seien die Schreibweisen durch die Reform jedenfalls nicht geworden, monierten die Kritiker, und Manches sei glattweg falsch. Es gebe zudem mehr Missverständnisse, zum Beispiel bei der Getrennt- und Zusammenschreibung der Verben.

«Eine Reform der Orthografie kann nicht von oben per Dekret verordnet werden. Das Problem ist, dass die Reform undemokratisch durchgeführt worden ist, nicht auf den gängigen Sprachgebrauch Rücksicht genommen hat und dass sie einige inhaltliche Fehler enthält. Und sie läuft der längerfristigen Tendenz, alles, was nicht ein richtiges Substantiv ist, klein zu schreiben, entgegen», sagt Sprachwissenschafter Wachter. «Einige Sprachwissenschafter wollten sich mit der Reform ein Denkmal setzen».

Als Folge öffentlichen Diskussion erarbeiteten sich einige Zeitungsverlagshäuser eigene Rechtschreibe-Reglemente. Diese beeinflussten die weiteren Reformen.

Reformen der Reform: 2000, 2004, 2006

Nach und nach wurden aufgrund der heftigen Kritik gewisse neue Schreibungen rückgängig gemacht. Anstatt «es tut mir Leid» muss nach der Reform der Reform wieder «es tut mir leid» geschrieben werden, «es tut mir Leid» gilt wieder als falsch und wird seit dem 1. August in den Schulen wieder als Fehler angerechnet.

In anderen Fällen wurde die ehemalige Schreibweise wieder erlaubt. Zum Begriff «Not leidend» wurde die Variante «notleidend» wieder eingeführt. «Spaghetti» darf man seit 2006 als «Spagetti» oder «Spaghetti» schreiben.

Auch mit den 2006 durchgeführten Korrekturen ist Wachter nicht zufrieden: «Es war ein Zurückkrebsen, aber nur ein halbherziges. Man hat die neuen, nicht akzeptierten Schreibungen nicht wieder zurückgenommen, sondern man hat dann einfach gesagt, ihr könnt schreiben wie ihr wollt.»

Nicht bei alle kritisierten Schreibungen wurden jedoch Varianten erlaubt. Gämse bleibt Gämse.

Bundesrat lehnte Moratorium ab

Wachter und seine Kollegen von der SOK haben im Juni ein Moratorium für die endgültige Einführung der Rechtschreibereform in der Schweiz gefordert. «Dass die Rechtschreibereform gescheitert ist, ist mittlerweile wohl klar.»

Das Ziel müsse sein, wieder eine einheitliche Rechtschreibung zu erreichen. Es sei nutzlos, eine Orthografie zu haben, die so viele Varianten beinhaltet. «Die Rechtschreibung muss auch sprachrichtig sein, in sich konsequent. Alle gleichartigen Fällen müssen gleich behandelt werden.»

Es brauche wieder eine Instanz, die den schriftlichen Sprachgebrauch beobachte und feststelle, welches die häufigste Schreibweise sei. Diese solle dann wieder als richtig gelten.

Von einem Moratorium wollen die kantonalen Erziehungsdirektoren aber nichts wissen. In der Schweiz liegt die Volks- und Mittelschulhoheit bei den Kantonen. Die Bildungskommission des Nationalrats will am 20. August ein Hearing mit der SOK durchführen und dem Bundesrat einen Bericht vorlegen. Dann könnte das Moratorium rückwirkend eingeführt werden, hofft die SOK.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

1. Kein Wegfall von Buchstaben bei zusammengesetzten Wörtern:
Schifffahrt

2. Die Schreibung folgt dem Wortstamm:
Stängel (anstatt Stengel), sich schnäuzen ( anstatt schneuzen), überschwänglich (anstatt überschwenglich)

3. Ph/f Schreibung in Fremdwörtern:
Geographie/Geografie
Mikrophon/Mikrofon
beides möglich

4. Getrenntschreibung von Verben:
gehen lassen oder gehenlassen
Verb und Verb darf immer getrennt geschrieben werden

5.Zusammensschreibung:
Verbindungen mit «irgend» werden immer zusammengeschrieben: irgendwann, irgendwelche, irgendwo

Verbindungen mit «jede» werden von Fall zu Fall zusammengeschrieben:
jedermann, jedenfalls, aber: jedes Mal und zu jeder Zeit

6.Kleinschreibung bei Anredepronomen erlaubt:
du, ihre, dein, euer

7.Grossschreibung:

Tageszeiten: gestern Abend
heute Morgen
aber: heute Früh und heute früh

bis heute
die Frau von heute

Substantive bei Getrenntschreibung:
in Bezug auf, Schuld haben, aber schuld sein

Substanitiverung nach Artikel:
das Einzelne, das Gleiche

8. Kommasetzung:
Es muss kein Komma vor «und» bzw. «oder» gesetzt worden:
Sie schreibt viel(,) und er liest viel

Es muss kein Komma bei Infinitiv-und Partizipgruppen gesetzt werden:
Er hofft jemandem zu gefallen

Es muss ein Komma bei Infinitiv- und Partzipgruppen mit Hinweiswörtern gesetzt werden:
Einen Baum zu pflanzen, das ist lustig
Musik zu machen, das ist schön

Es muss ein Komma bei Infinitiven mit «um zu» gesetzt werden:
Sie muss aufpassen, um nicht überfahren zu werden

Unübersichtliche Einzelfälle:
bis auf weiteres/bis auf Weiteres (beides möglich)
aber:des Weitern, im Weitern

etwas Anderes oder etwas anderes
aber: etwas Auffälliges, Schönes, Derartiges, usw. schreibt man immer gross

Die vor der Rechtschreibereform von 1996 gültige amtliche Rechtschreibung war auf der 2.Orthographischen Konferenz 1902 in Berlin beschlossen worden.

Die damaligen Beschlüsse wurden im «Duden» umgesetzt. Der «Duden» war schon damals die Instanz für die deutsche Rechtschreibung, auch in der Schweiz. Der Schweizer Bundesrat hatte ihn bereits 1892 zum amtlichen Referenzwerk in allen orthografischen Zweifelsfällen erklärt.

Der «Duden» glich in der Zwischenzeit die Rechtschreibung dem alltäglichen Sprachgebrauch an.

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