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Obama könnte ein Auslandschweizer sein

Montage swissinfo/swisscastles.ch/AP

Ahnenforscher sind auf den Spuren des zukünftigen US-Präsidenten. Die Genealogie ist derzeit gross in Mode. Auch bei vielen Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern, die via Archive ihre Wurzeln in der Schweiz suchen.

«Als Barack Obama den Kampf ums Amt des Präsidenten der USA begann, fanden amerikanische Ahnenforscher heraus, dass seine Mutter von einem Freiburger Mann namens Gutknecht abstammte.»

Hans Ulrich Pfister vom kantonalen Archiv in Zürich ist amüsiert über die Tatsache, dass sich nun, sechs oder sieben Generationen später, mehrere Gemeinden um den zukünftigen Ehrenbürger Obama reissen.

Diese Anekdote belegt das steigende Interesse von Historikern und der Öffentlichkeit an der Auswanderungsgeschichte. «Seit 25 Jahren werden immer mehr Bücher publiziert», weiss Pfister.

«Immer mehr Ausländerinnen und Ausländer wenden sich auf der Suche nach ihren Vorfahren an uns. Dies auch dank der neuen Möglichkeiten, die das Internet bietet.»

Laut Pfister sind es bereits 500 Anfragen jährlich, davon ein Viertel aus dem Ausland. Ein Viertel der 1000 Nachforschungen im letzten Jahr betrafen die Ahnenforschung.

Ähnliche Verhältnisse finden sich in Bern, im Wallis oder in Freiburg – Kantone mit grossen Auswanderungswellen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert.

Kirchgemeinde-Register

«Die Erfassung ging über die Kirchgemeinde-Register, welche Taufe, Heirat und Beerdigung notierten, nicht aber Auswanderungen», erklärt Marie-Claire L’Homme von den Freiburger Archiven.

Später hätten die Gemeinden Register geführt, doch ein Reisepass ist erst seit dem 1. Weltkrieg obligatorisch. «Es gibt daher keine Spuren jener, die vor 1914 ausgewandert sind», so L’Homme.

Wer also auf der Suche nach seinen Ahnen ist, findet eher eine Antwort in den Kirchgemeinde-Registern, die in kantonalen Archiven gelagert sind, oder in Zivilstands-Registern.

Wie ein Puzzle

«Wir beantworten Anfragen sehr gerne», sagt Karin Hayoz, Mitarbeiterin im Berner Archiv. «Doch wenn Vornamen, Daten oder Heimatort fehlen, wird es zu einer schwierigen Arbeit.»

In den zehntausenden von Laufmetern von Dokumenten kann man in der Datenflut leicht verloren gehen. Zudem haben die Kantone nur limitiertes Budget und Personal.

«Der Anstieg an Anfragen zur Ahnenforschung steht in umgekehrtem Verhältnis zu unseren Möglichkeiten», bedauert Hayoz.

Weil die Register keine alphabetische Ordnung haben, müssen sie Seite für Seite durchsucht werden. «Sie sind auf Lateinisch oder in gotischer Schrift verfasst», erklärt L’Homme.

«In einem Dorf von 100 Einwohnern findet man sich noch zurecht. Aber stellen Sie sich einmal eine Stadt vor! Das ist wie ein Puzzle.»

Und Hayoz ergänzt: «Wenn die Anfragen komplex sind, laden wir die Leute ein, unsere Archive und Mikrofilme zu konsultieren. In unserem Lesesaal trifft man immer wieder auf Ausländer, namentlich Amerikaner, die einen Ferienaufenthalt zur Suche nutzen. Wer nicht zu uns kommen kann, den verweisen wir an Ahnenforscher.»

Das Resultat: Im Internet werden täglich neue Websites (mit grossen Qualitätsunterschieden) aufgeschaltet. «Die Genealogie ist derzeit im Trend, aber sie ist teuer, weil wir pro Stunde bezahlt sind», erklärt der Historiker und Ahnenforscher Benoît de Diesbach.

Besseres Leben in der Schweiz

«90 Prozent der Anfragen aus dem Ausland kommen aus Frankreich, das war das klassische Auswanderungsland der Freiburger», sagt L’Homme vom Freiburger Archiv. «Doch immer mehr Anfragen erhalten wir aus Nord- und Südamerika.»

Auch die anderen Archivarinnen und Archivare bestätigen das steigende Interesse von Übersee. Und die Zivilstandsämter verzeichnen einen Anstieg von Anfragen aus finanziellen Interessen.

Im Freiburger Zivilstandsamt erklärt Jacqueline Crausaz, dass «20 Prozent der Anfragen darauf abzielen, die Schweizer Staatsbürgerschaft der Vorfahren wieder zu erlangen, um in der Schweiz ein besseres Leben führen zu können».

Der Anlass: Das neue Bundesgesetz von 2006, das Ausländerinnen und Ausländern erlaubt, die von Eltern oder Grosseltern aufgegebene Staatsbürgerschaft zurückzuerhalten. Kommt hinzu, dass die Nationalität jetzt auch über die Frauen weitergegeben werden kann.

Wurzeln wiederfinden

Die meisten aber wollen schlicht «ihre Wurzeln finden in einer Zeit, in der Familien immer weiter auseinanderdriften und sich von traditionellen Werten entfernen», glaubt Jean-Claude Romanens, französisch-schweizerischer Ahnenforscher. Er hat dank der Genealogie seine eigenen Schweizer Wurzeln entdeckt.

Auslöser für eine Suche können der Verlust einer nahestehenden Person, eine persönliche Krise oder ein Wegzug sein. «Die Geschichte seiner Familie zu kennen ist ein Mittel, (wieder) eine Beziehung zu seinen Wurzeln zu schaffen», ergänzt Romanens.

Dabei würden die Interessierten immer jünger. «Die Hälfte der Leute, die mir schreiben, sind 50 oder älter, 45% zwischen 20 und 50, und es finden sich immer mehr junge Erwachsene. Vor nicht langer Zeit war dieses Verhältnis noch 70 zu 30%.»

swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

Schweizer und US-Ahnenforscher haben dieses Jahr herausgefunden, dass Barack Obamas Mutter, Stanley Ann Dunham, von einem Johann (oder Christian, nach anderen Quellen) Gutknecht abstammt.

Dieser hatte das Freiburger Dorf Kerzers im 17. oder 18. Jahrhundert in Richtung USA verlassen. Dort wurde sein Familiennamen in «Goodknight», später «Goodnight» umgewandelt.

Andere Gemeinden bis ins Elsass beanspruchen ebenfalls, Obamas Ahnen beherbergt zu haben, denn der Familiennamen Gutknecht kommt vielerorts vor. Ein Ende der Forschung ist noch nicht abzusehen.

Mit 11 Jahren entdeckte der Pariser «per Zufall», dass er der 5. Generation einer Familie aus Sorens (Freiburg) angehörte.

«Meine Familie war weit verbreitet, ohne orale Tradition. Als Ahnenforschungs-Fan habe ich mich für die Herkunft meines damals gestorbenen Grossvaters interessiert und dabei entdeckt, woher ich stamme.»

Als er seine Herkunftsregion besuchte, hatte er den Eindruck, «nach Hause zu kommen».

Seit 1998 ist er Schweizer Staatsbürger und spezialisierte sich auf die Freiburger Auswanderung nach Frankreich.

«Die französische Grenzregion Franche-Comté war Ziel einer Masseneinwanderung. Heute zählt man dort tausende Nachkommen von Eingewanderten.»

Dabei wurden die französischsprachigen Namen umgewandelt: Corpataux wurde zu Courpasson, Tinguely zu Tanguelle, Tornare zu Tonnerre, Doutaz zu Dhoste usw.

Jean-Claude Romanens schreibt gegenwärtig ein Buch zu diesem Thema.

Der Historiker und Ahnenforscher Benoît de Diesbach behandelt jährlich zwischen 100 und 200 Fälle, die Hälfte von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern.

Die Anfragen kommen von Familien, die ihre Geschichte erfahren oder die Schweizer Nationalität wiedererlangen wollen, von Notaren wegen Erbschaften oder auch wegen medizinischen Recherchen über Erbkrankheiten in bestimmten Familien.

Die Tarife betragen zwischen 60 und 300 Franken pro Stunde. Ein Stammbaum kostet zwischen 1000 und mehreren zehntausend Franken.

Die Website von Jean-Claude Romanens hat in zwei Jahren ihren Verkehr auf 8000 bis 9000 monatliche Besuche verdoppelt (40% aus der Schweiz, 60% aus dem Ausland).

Das grosse US-Portal Ancestry.com hat 2007 einen Umsatz von 160 Mio. Dollar verzeichnet und zählt weltweit eine Million zahlende Abonnenten.

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