Ötzi legt Schweizer Etappe ein
Eine Wanderausstellung über die bekannteste Gletschermumie des Alpenraums wird für einige Monate in der Schweiz gezeigt. Viele spannende Details sind zu erfahren, auch wenn der Original-Ötzi in der Kühlzelle in Bozen geblieben ist.
Es war die archäologische Sensation des Jahres: Im Herbst 1991 fand ein deutsches Ehepaar bei einem Gletscher in den Ötztaler Alpen eine mumifizierte Leiche. Schon bald stellten Wissenschafter fest: Der Mann aus dem Eis war eine der ältesten Mumien der Welt.
Mehr als 5000 Jahre lag «Ötzi» gefriergetrocknet im Gletschereis und mit ihm wertvolle Fundstücke, die Hinweise auf sein Alter und sein Leben gaben. Ötzi lebte im Alpenraum – insofern sind die Erkenntnisse über den Leichnam auch für die Schweiz von höchster Bedeutung.
Mittlerweile ist Ötzi zur «meist analysierten Mumie der Welt» geworden, wie Filippo Rampazzi, Direktor des Naturhistorischen Museums in Lugano, sagt. Dieses Museum war die treibende Kraft, um die Wanderausstellung «Ötzi –Der Mann aus dem Eis» nach Bellinzona zu holen.
Castelgrande war früh besiedelt
Die vom Archäologischen Museum in Bozen konzipierte Show wurde erstmals Ende 2007 in Stockholm gezeigt; in der Schweiz wird sie einzig in Bellinzona zu sehen sein. Ein passender Ort: Als Ötzi in den Südtiroler Alpen unterwegs war, siedelten auch Menschen auf dem Hügel, wo heute das Castelgrande von Bellinzona steht. Es handelt sich um die ältesten Fundstücke von neolithischen Siedlungen in der Schweiz.
Die Ausstellung widmet sich der Geschichte rund um die Auffindung von Ötzi sowie seinem Lebensraum. Fotos, Illustrationen, Filme, Animationen, Touchscreens und originalgetreue Rekonstruktionen der Mumie, der Kleider, Schuhe und Werkzeuge informieren über die Lebensbedingungen in der Jungsteinzeit.
In der Gürteltasche verwahrte Ötzi beispielsweise den Zunderschwamm zum Feuermachen sowie Klingen und Bohrer aus Feuerstein. Die elektronischen Schrifttafeln (Deutsch, Italienisch) können sogar in Realzeit erneuert werden, falls es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt.
Ötzi bleibt im Kühlraum
Die Hauptperson allerdings fehlt in dieser Ausstellung. Ötzi liegt in Bozen in einer Kühlzelle auf einer Präzisionswaage – seiner vorläufig letzten Ruhestätte. Dort wird er unter Stickstoffatmosphäre mit konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit konserviert.
Besucher der Ausstellung in Bellinzona können den echten Ötzi über eine Webcam bestaunen, die mit dem Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen verbunden ist. Allerdings ist die Bildqualität nicht die Beste. Ötzi ist eigentlich nicht zu erkennen.
Dank wissenschaftlicher Forschung weiss man indes heute: «Frozen Fritz», wie ihn die Engländer nennen, war zum Zeitpunkt seines Todes etwa 45 Jahre alt, ungefähr 1,60 Meter gross und von kräftiger Statur. Ötzi führte eine sehr umfassende und effiziente Ausrüstung mit sich, die es ihm ermöglichte, über einen längeren Zeitraum in den Bergen zu bleiben und sich selbst zu versorgen.
Kriminalfall geklärt?
Informiert werden die Besucher im Detail auch über die Todesumstände von Ötzi. Der Iceman starb an den Folgen einer Schussverletzung. Lange Zeit blieb die Pfeilspitze aus Feuerstein unentdeckt; erst 2001 fand man sie bei der Auswertung von Röntgenaufnahmen.
Der Pfeil war von hinten und aus grösserer Entfernung abgeschossen worden. 2007 kamen Forscher dann zu neuen Erkenntnissen: Ötzi wurde durch den Pfeil schwer verwundet und fiel danach zu Boden.
Die eigentliche Todesursache war demnach ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Ötzi starb in jener Position, in der er 5’300 Jahre später wieder gefunden wurde. Doch wer war der Täter? Der Kriminalfall aus der Jungsteinzeit wird wohl nie gelöst werden.
Gerhard Lob, Bellinzona
Ötzi – der Mann aus dem Eis
Castelgrande, Bellinzona
13.März bis 28.Juni
Täglich 10-18 Uhr
Modernste Messungen haben es bestätigt: Ötzi lebte zwischen 3350 und 3100 v. Chr. Stonehenge in England war noch nicht erbaut.
Die ersten Pyramiden von Gizeh wurden erst 600 Jahre später erbaut.
In Europa begann die Kupferzeit. Das Land war dünn besiedelt. Wälder und Sümpfe beherrschten das Bild. Menschliche Siedlungsräume machten sich darin wie mit Pfaden verbundene Inseln aus.
In einem kupferzeitlichen Dorf lebten etwa 30 bis 60 Menschen. Sie betrieben vorwiegend Ackerbau und Viehzucht.
Ötzi lebte südlich des Alpenhauptkammes. Hinweise darauf geben Pollen, Zähne und Hölzer, aber auch Ötzis Feuerstein aus der Gardaseegegend und sein Beil, dessen Form aus der Remedello-Kultur in der Po-Ebene bekannt ist.
Ötzi könnte ein Mitglied der alpinen Kulturgruppe «Tamins-Carasso-Isera 5» im Vinschgau gewesen sein. Doch eine genaue Zuordnung ist schwierig, da Ötzi keine Keramik mit sich führte. Jede Kulturgruppe hatte eine eigene Art, Ton zu formen, zu verzieren und zu brennen.
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