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Olafur Eliassons Labor durch das «Auge» der Fliege

Olafur Eliasson entfernt die Wände der Fondation Beyeler in Basel und lässt neben den Menschen auch Wasser, Pflanzen und Tiere ins Museum. Gewohnt spektakulär schafft er ein hochästhetisches Environment, um unsere Sinne anzuregen. Der herausragende Kunstraum wird so zum Labor, in dem eine biozentrische Perspektive dominiert.  

21. April 2021, 19.30 Uhr: Dieses Grün stört die Idylle. Eben spazierte ich noch auf dem geschwungenen Weg durch den Englischen Landschaftsgarten der Fondation Beyeler. Präzis gesetzte Baumgruppen, Lichtungen und Gewässer vermittelten mir das Bild einer natürlichen Landschaft.

Doch nun leuchtet es giftgrün aus dem Teich vor dem Museum. Auch Grün, das ist der erste Eindruck, den ich von meinem Besuch der Ausstellung von Olafur Eliasson mitnehme, ist eine Frage der Wahrnehmung.

Der fluoreszierende Teich ist Teil der Installation «Life», die der isländisch-dänische Künstler in der Fondation Beyeler geschaffen hat. Er hat dem Wasser Uranin beigemischt, einen ungiftigen Farbstoff, der zur Verfolgung von Wasserströmungen eingesetzt wird. In der Schweiz färbten im September 2019 Umweltaktivistinnen die Limmat in Zürich damit ein, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Auch Olafur Eliasson, der dänische Künstler isländischen Ursprungs, lässt für sein Werk «Green RiverExterner Link» seit den 1990er-Jahren Uranin unangekündigt in Gewässer. In Deutschland, Nordeuropa, Los Angeles oder Tokio.

«Ich habe ihn hier verwendet, um die Präsenz des Wassers explizit hervorzuheben», schreibt der Künstler zu «Life». Es ist ein so einfaches wie effektives Mittel, um etwas neu zu sehen und zu befragen. Etwa unsere Beziehung zur Natur.

Innen und Aussen im Dialog

Nun ist die Fondation Beyeler bekannt als Ort, an dem sich Architektur, Kunst und Natur miteinander verbinden. Der Bau von Renzo Piano fügt sich in den Park ein und öffnet sich mit seinen gläsernen Fassaden in seine Umgebung. Der Blick hinaus in die Landschaft gehört zu jedem Ausstellungsbesuch dazu.

Geöffnet vom 18. April bis 11. Juli 2021.

Die Ausstellung ist rund um die Uhr zugänglich.

WebsiteExterner Link des Museums

LivestreamExterner Link

Studio Olafur EliassonExterner Link

Doch obwohl das Innen und Aussen im Dialog stehen, haben sie klar zugewiesene Plätze. Hier bin ich und da die Landschaft. Eine Dualität, die unser Verständnis von Landschaft und unseren Umgang mit ihr erschwert. Gerade auch in der Schweiz, weil hier die Natur unser Kapital ist.

Für «Life» hebt Olafur Eliasson die Trennung tatsächlich auf. Er entfernt die Glasscheiben an der Südseite und hebt das Niveau des Teiches an. Dort, wo die Seerosengemälde von Claude Monet hingen, fliesst das Wasser des Teichs ins Museum und breitet sich in den Ausstellungssälen aus. Ein Holzsteg führt über das Wasser.

Grenzen durchbrochen

Es ist so, als hätte Olafur Eliasson die Grenze zum Raum gedehnt. Wir sind weder drinnen noch draussen, weder im Museum noch in der Natur. Auch die zeitlichen Begrenzungen sind aufgehoben: Die Ausstellung ist rund um die Uhr zugänglich. Und es ist wohl die erste Ausstellung, die sich nicht nur an Menschen richtet, sondern auch Tiere und Pflanzen einlädt. Die Begriffe der Inklusion, der Diversität und der kulturellen Teilhabe erhalten hier eine neue Dimension.

«‹Life› präsentiert ein Modell für eine Landschaft der Zukunft, das gastfreundlich ist», schreibt Olafur Eliasson. Für die Arbeit an diesem Modell kollaboriert er wie immer mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen. Auf der begleitenden WebsiteExterner Link versammelt er die Ideen von Anthropologinnen, Philosophinnen, Neuro- und Evolutionsbiologinnen.

In kleinen Häppchen erhält man Zutritt zu den jüngsten theoretischen Ansätzen, die versuchen, unser Zusammenleben mit unserem Planeten in Zeiten der Klimakrise neu zu denken. So liest man vermutlich zum ersten Mal den Begriff des Planthropozäns, den die Anthropologin Natasha Myers in Anlehnung an das Anthropozän eingeführt hat, um das Potential der Beziehung zwischen Pflanzen und Menschen zu erforschen.

Oder man kann sich mit Multispezies-Ansätzen auseinandersetzen, die in der Praxis bereits dazu geführt haben, dass Tieren oder Flüssen juristische Rechte zugesprochen werden. Nicht zuletzt lernt man auch die Wasserpflanzen besser kennen, die Günther VogtExterner Link, Landschaftsarchitekt und langjähriger Freund von Olafur Eliasson, für «Life» ausgesucht hat.

21. April 2021, 21.00 Uhr: Die Sonne geht unter. Und wie das Licht am Himmel langsam schwindet, erfüllt das Innere der pavillonartigen Räume ein violett-bläulicher Schimmer. UV-Licht verändert die Erscheinung des Teiches. Das Wasser verliert seine Transparenz und erscheint milchig, fast wächsern. Das knallige Grün wandelt sich zum Gelbgrün. Aus den Pflanzen weichen die Farben; sie bleiben als blauschwarze Löcher zurück.

In Gesprächen betont der Künstler, wie viel Bedeutung er der körperlich-sinnlichen Erfahrung für den Zugang und die Teilhabe an der Welt beimisst. Als Beispiel nennt er sein Werk «Ice WatchExterner Link» (erstmals 2014), für das er zwölf grosse Eisblöcke aus Grönland auf öffentlichen Plätzen in Kopenhagen, Paris und London aufstellte, um auf die Gletscherschmelze aufmerksam zu machen. Während in Kopenhagen der Uno-Klimarat (IPCC) seinen Bericht zur Erderwärmung präsentierte, konnten die Menschen draussen einen echten Eisblock befühlen, belauschen und dabei zusehen, wie er schmilzt.

Wir schauen uns beim Betrachten zu

Obwohl Eliassons Kunst Botschaften enthält, lässt er uns grosse Freiheit, wie wir seine Werke erfahren. Bei meinem Besuch in Basel beobachte ich die Leute, wie sie auf den Holzstegen die Räume durchwandeln, wie sie die Wasserpflanzen aus der Nähe betrachten, sie in die Hände nehmen oder sie mit einem Stoss in Bewegung versetzen, um ein neues «Seerosenbild» zu kreieren. Einige steigen sogar in den Teich, so dass sie das Wasser und die Pflanzen am eigenen Leib spüren.

Die Kunstwerke scheinen die Menschen zu allerlei Verhalten anzuspornen. In seiner spektakulären und wohl bekanntesten Arbeit «The Weather ProjectExterner Link» 2003 in der Tate Modern in London meditierten die Besucherinnen und Besucher vor dem künstlichen Sonnenuntergang, formten mit ihren Körpern Figuren oder legten sich auf den Boden, um sich an der verspiegelten Decke zu sehen.

Auch in «Life» schauen wir uns beim Betrachten zu. Hier nicht via einen Spiegel, sondern über den Blick der anderen. Egal, ob ich mich auf dem vorgelagerten Hügel positioniere oder auf dem Holzsteg, immer wird mein Blick reflektiert von denjenigen, die gerade von der anderen Seite aus auf das Werk schauen. Zuschauer- und Bühnenraum fallen zusammen.

Die Selbstreflexion als genuin menschlich?

Die Selbstreflexion ist eine Eigenschaft, die den Menschen von Tieren und Pflanzen abhebt. Oder so glaubte man zumindest lange. Immer mehr Forschungen zeigen die kognitiven Fähigkeiten von Tieren, die Intelligenz von Pflanzen auf. Und es offenbart sich, wie wenig wir im Grunde immer noch über unsere Erdmitbewohnerinnen wissen. Dies obwohl unsere Existenz von ihnen abhängig ist. Ohne die Umwandlung von Licht in Sauerstoff durch die Pflanzen könnten wir nicht atmen.

«Life» präsentiert kein fertiges Modell. Vielmehr funktioniert es als Labor, in dem der Perspektivwechsel erprobt wird. Das Projekt bewegt sich dabei in vielerlei Hinsicht auf der Kante. Wenn wir mit den Bäumen atmen sollen, erhält es den Touch eines Wohlfühlseminars für die westliche Gesellschaft. Die Inklusion wird zur harmonischen Weltverklärung. Man denke nur an die Schwierigkeiten in der Schweiz, friedlich mit ein paar Wölfen zusammenzuleben.

Die Fondation Beyeler und das Studio Olafur Eliasson, zwei globale Player in der Kunstwelt, harmonieren hingegen perfekt. Die Symbiose, ein Konzept auf das Olafur Eliasson bereits jüngst in seiner Ausstellung im Kunsthaus Zürich seinen Fokus gerichtet hat, funktioniert. Die Konspiration, ein weiterer herbeigezogener Begriff, spielt nicht nur zwischen Pflanzen und Menschen, sondern auch zwischen den zwei Unternehmen, die rentabel bleiben müssen.

Olafur Eliasson durchforstet dazu im Trend liegende Themen wie das Anthropozän und prüft sie auf ihr Potential für Kunstwerke. Und bei der Fondation Beyeler kann man anstelle der Kunstführung eine Morgenmeditationen am Teich buchen. Ist seine Kunst nun pures GreenwashingExterner Link? Die überwiegende weibliche Anzahl der zitierten Wissenschaftlerinnen Strategie? Der grüne Teich hauptsächlich auf Instagramability ausgelegt?

Weniger Meditation, mehr Humor?

19. Mai 2021, 5.30 Uhr: Vier Wochen später besuche ich «Life» noch einmal. Diesmal frühmorgens auf meinem Laptop. Ich öffne den LivestreamExterner Link, der die Ausstellung begleitet. Ich klicke mich durch die Kameras, die Olafur Eliasson im Garten und in den Ausstellungsräumen installiert hat. Sie sind mit verschiedenen optischen Filtern versehen, die die Wahrnehmung anderer Spezies simulieren. Die kaleidoskopartig gebrochene Sicht des Facettenauges einer Fliege oder die Infrarotsicht einer Fledermaus.

Vielleicht fehlt bei diesen grossen Themen, die Olafur Eliasson anspricht und der Schönheit seiner Werke manchmal einfach der Humor. Nicht um die Ernsthaftigkeit zu schmälern, sondern um sich von ihr erholen zu können. Das Leben aus einer biozentrischen Perspektive zu betrachten, sei es durch das «Auge» der Fliege, die auf meiner Tischplatte herumkrabbelt oder meines benachbarten Kirschbaums, hat im Grunde ja auch eine höchst vergnügliche Seite.

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