Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Omar Porras, Künstler ohne Grenzen

Omar Porras hat Kolumbien im Alter von 20 Jahren verlassen, "getrieben von der Lust, sich zu verlieren". Keystone

Der Preisträger des ersten Schweizer Grand Prix Theater/Hans Reinhart-Ring, Omar Porras, zeichnet sich auf lokalen wie internationalen Bühnen aus. "Seine Kunst nährt sich von einer mannigfaltigen Kultur." Das Preisgeld von 100'000 Franken kann der schweizerisch-kolumbianische Regisseur am 22. Mai in Winterthur in Empfang nehmen.

«Was ist Ehre?», frage ich Omar Porras beim Gespräch in einem Genfer Bistrot. «Alles, ausser der Errungenschaft einer Trophäe», antwortet der Träger des Hans-Reinhart-Rings (Vgl. rechte Spalte), spöttisch.

«Ich nehme den Preis entgegen wie eine sehr schöne Antwort auf die Abstimmung vom 9. Februar (über die «Masseneinwanderungs-Initiative», N.d.R.). Er belohnt eine Kultur, die von woanders kommt, meine Kultur. Ich bin Kolumbianer und Schweizer, ich habe spanisches und indianisches Blut, mein Leben spielt auf der Kreuzung von tausend Wegen.»

Die Lust, sich zu verlieren

Omar Porras ist vor 51 Jahren in Bogota geboren worden. Dort ist er zur Schule gegangen. Im Alter von 20 Jahren hat er das Land verlassen, «getrieben von einer tief verwurzelten Lust, sich zu verlieren», erzählt er.

In Paris besucht er Theaterkurse. Aber er hat nicht die Seele eines gewöhnlichen Intellektuellen. Porras ist vor allem Künstler, anfänglich – als er in der Pariser Metro seine ersten Vorstellungen mit Schnüren und Stoffstücken zeigte – ein Gaukler.

Über diese Zeit seines Lebens hätten ihn die Journalisten oft ausgefragt, sagt er. Heute kommt er nicht darauf zu sprechen. «Die Pariser Unterführungen sind wichtig, allein deshalb, weil sie die Niederungen der anderen Seiten der Lichterstadt veranschaulichen. Aber ich ziehe es vor, an der Oberfläche zu sein, wo ich wunderbaren Künstlern wie Pina Bausch und Bob Wilson begegnet bin, mit denen ich hervorragende Bühnenbesetzungen geteilt hatte, wie am Théâtre de la Ville und an der Comédie-Française.»

Mit dem Bundesgesetz über die Kulturförderung (KFG), das im Januar 2012 in Kraft trat, hat das Bundesamt für Kultur (BAK) einen breiten Fächer von eidgenössischen Preisen ins Leben gerufen, die jedes Jahr in den Sparten Literatur, Tanz, Theater und Musik verliehen werden.

In diesem Frühling findet am 22. Mai in Winterthur die erste Ausgabe der Schweizer Theater-Preise statt. Abgesehen vom Grand Prix Theater/Hans-Reinhart-Ring, der Omar Porras verliehen wird, werden weitere sieben Preisträger ausgezeichnet, deren Namen noch nicht bekannt sind.

Der Hans-Reinhart-Ring ist ein 1957 gegründeter Preis, mit dem seither jedes Jahr eine Persönlichkeit des Schweizer Theaters geehrt wird.

Bisher wurde er von der Schweizerischen Gesellschaft für Theaterkultur (SAGW) vergeben. Mit der Schaffung des eidgenössischen Preises hat ihn das BAK übernommen. Jetzt wird der Ring, von dem jedes Jahr für die Preisträgerin oder den Preisträger ein neues Exemplar hergestellt wird, vom Kulturamt verliehen, das die Tradition fortführt.

Der Preis des BAK ist mit 100’000 Franken dotiert. Die Preisjury ist eidgenössisch. Der Beitrag der SAGW beschränkt sich von nun an auf die Herausgabe einer Publikation zum Hauptpreisträger. 

Zu den auf der internationalen Bühne bekanntesten Personen unter den Gewinnern des Rings gehören: Benno Besson, Bruno Ganz, Luc Bondy, Christoph Marthaler, Daniele Finzi Pasca und …Omar Porras.

Fantasie und Magie

Nach dem Start in Paris zog Omar Porras nach Genf, wo er den lateinischen Charme in der protestantischen Kargheit zuerst finden musste. Es war die Calvin-Stadt, die dem Regisseur die Tür zur Anerkennung öffnete. Sie war Ausgangspunkt seines künstlerischen Parcours in der Welt.

1990 gründete er in Genf sein «Teatro Malandro», «meinen Haushalt», sagt er, «wie Genf, das mit der Zeit mein Zuhause geworden ist. Es hat mir erlaubt, viel mehr als eine Serie von Vorstellungen, nämlich eine Bewegung zu schaffen. Eine Bewegung, die einer Revolte gegen vereinbarte Kunst gleichkommt».

Porras bringt die eingedöste Westschweizer Bühne mit der Aufführung von «Der Besuch der alten Dame» zum Erwachen, einer Satire über die Macht des Geldes, in welcher der grosse Deutschschweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt die Behörden seines Landes verspottet und die Porras zu Clowns macht. In Genf hatte die Aufführung einen durchschlagenden Erfolg.

Das Stück, das in den folgenden Jahren zum Kultschauspiel des «Teatro Malandro» wurde, kennzeichnet den Eintritt Porras auf der Schweizer und danach auf der europäischen Bühne.

Provokante Analyse der Schweiz

«Dürrenmatt ist in meinen Augen ein Führer und Krieger», sagt er. «Seine Waffe, die Feder, hat er für den Frieden eingesetzt. Er war ein Visionär. Die Analyse, die er von der Schweiz machte, ist provokant, aber richtig. Laut Dürrenmatt engagiert sich das Land, und es engagiert sich nicht – ein seltsames Gleichgewicht. Der Autor verlangt aber eine Stellungnahme. Ich lese sein Werk wie ein Manifest.»

Im «Der Besuch der alten Dame» hat Porras all seine Fantasie und Magie untergebracht – seine Kralle, die man in der Folge in allen anderen Aufführungen wiederfindet, wo Masken, Pailletten, Marionetten, stroboskopisches Licht, extravagante Kostüme das Glück der Kleinen und Grossen ausmachen; wo sich Anlehnungen an Comics, an die griechische Mythologie, an die jüdisch-christliche Ikonografie in einer jeweils festlichen Atmosphäre ausbreiten. Es ist der Charme seines Theaters, das weder ästhetische noch geografische Grenzen kennt.

Japanischer Einfluss

Porras schickt seine Kunst auf Reisen, von Europa via Asien nach Lateinamerika. Er wird auf institutionellen Bühnen wie auf Festivals gleichermassen geschätzt. Was ist sein Geheimnis? Die Fähigkeit, sich der lokalen Kultur anzupassen, die er brillant in Japan unter Beweis stellt.

Seit 15 Jahren reist er regelmässig nach Shizuoka, 150 Kilometer von Tokio entfernt, wo er mit den Schauspielern des Performing Art Centers arbeitet. Dort hat er 2012 «Romeo und Julia» von Shakespeare inszeniert. Die Aufführung in japanischer Sprache wurde letzte Saison im Rahmen einer Tournee in der Schweiz vorgestellt.

«Japan hat meine Arbeit sehr beeinflusst, sagt der Regisseur begeistert. Was mich an der Nippon-Kultur beeindruckt, ist der Respekt, den wir im Westen – wo man sich gewohnt ist, den andern beiseite zu stossen, ohne Anmeldung in dessen Aura zu treten – nicht kennen. Hier haben wir die Kunst des Dialogs verloren. Dort hat niemand das letzte Wort, das Gespräch bleibt immer offen.»

Skakespeare, Molière, Cervantès, Brecht, Henrik Ibsen, Federico Garcia Lorca… Porras hat zahlreiche Autoren inszeniert. Mit Leichtigkeit räumt er mit Vorurteilen auf, indem er die Texte der einen und der anderen in sein barockes Universum überträgt, wo Molière seinen Alexandriner und Ibsen seine Melancholie verliert.

Sein Stil hat das Publikum manchmal verwirrt, aber er bleibt nicht minder mitreissend. Es ist schwierig, den ganzen Reichtum seines Theaters zu erfassen, das den Parcours eines Künstlers abbildet, der von seinen Träumen angekurbelt wird.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft