Parade des volkstümlichen Brauchtums
Vom 1. bis 3. September ist Interlaken Zentrum der Schwinger, Steinstösser, Jodlerinnen, Musikanten und Trachtenleute: Das Unspunnenfest feiert – ein Jahr verspätet - sein 200-jähriges Jubiläum.
Der dreitägige Monsteranlass im Berner Oberland bietet Attraktionen vom Volkstanz bis zum Festspiel und Festumzug – eine Veranstaltung als «Spiegel des Volkes».
Das Schweizerische Trachten- und Alphirtenfest, oder kurz Unspunnenfest, vereinigt seit 200 Jahren in unregelmässigem Abstand Männer und Frauen zu einem Anlass, der ländliches Brauchtum in seiner ganzen Fülle präsentiert. Erst zum 9. Mal findet dieses Jahr ein grosses Unspunnenfest statt.
Nach 1805 und 1808 war nämlich erst mal für 100 Jahre Schluss; die damals angestrebte Versöhnung zwischen Stadt und Land hatte das Fest nicht gebracht. Richtig wiederbelebt wurde der Anlass nach einer einmaligen Auflage im Jahr 1905 erst nach dem 2. Weltkrieg.
Jetzt erst recht
Das für Anfang September 2005 geplante 200-Jahr-Jubiläumsfest musste wegen der schweren Unwetter, welche die Region um Interlaken besonders hart trafen, zehn Tage vor Termin abgesagt werden. Statt 200 Jahre nach dem ersten Unspunnenfest geht der Jubiläumsanlass nun also 201 Jahre später über die Bühne.
Nun hoffen die Veranstalter, dass der zweite Anlauf gelingen wird. «Jetzt erst recht», lautet das Motto der Organisatoren, wie OK-Präsident Ueli Bettler erklärt.
«Drei Tage lang wird Interlaken zum Festort schweizerischen Brauchtums», so Bettler. Eine lange Tradition werde fortgesetzt, «eine Tradition, welche in den letzten 200 Jahren unsere Volksbräuche stets erhalten, erneuert und fortgesetzt hat».
Dieser Tradition ist es laut dem OK-Präsidenten zu verdanken, «dass heute in der Schweiz eine grosse Begeisterung für das volkstümliche Kulturgut vorhanden ist».
Schöne Worte
Um 1805 inszenierten vier Berner Aristokraten das erste Unspunnenfest. Einer der Mitinitianten, der Berner Schultheiss von Mülinen, schrieb 1805:
«So wird ein Fest gefeiert, dessen Zweck es ist, die alten wertvollen Sitten unserer Väter wieder neu unter uns aufleben zu lassen. Zwischen den Hirtenvölkern Helvetiens sollen neue Freundschaften geknüpft werden, vor allem zwischen den Städtern und den Landbewohnern. Jenes gegenseitige Wohlwollen und jene holde Einigkeit sollen wieder keimen und blühen, welchen unser Vaterland seit Jahrhunderten seine Kraft, seinen Ruhm und sein Glück zu verdanken hat.»
Politische Absicht
In Tat und Wahrheit wurde das erste Unspunnenfest von den Berner Aristokraten organisiert, um die nach Eigenständigkeit verlangenden Oberländer besser ins Kantonsgefüge einzubinden. Denn die Landbevölkerung rebellierte damals, weil nach Napoleons Herrschaft schon 1803 wieder 125 der 195 Grossräte Stadtberner waren und nur wenige Vermögende aus dem Land überhaupt an den Wahlen teilnehmen konnten.
Die Organisatoren des Unspunnenfestes versteckten ihre politische Absicht geschickt, indem sie als einzigen Zweck des Anlasses «das Aufleben und Bewahren der alten einfachen Sitten und Freuden unserer Väter» bezeichneten. Dieser Zweck wurde erreicht: Das Volkslied und das kaum mehr bekannte Alphornblasen erlebten einen neuen Aufschwung, das Fest löste ein grosses Medienecho aus und brachte dem entstehenden Tourismus im Berner Oberland einen grossen Schub.
Trotz «Brot und Spiele»: Unruhe bleibt
Das ursprüngliche politische Ziel, die aufmüpfigen Oberländer unter Kontrolle zu bringen, erreichten die Berner Aristokraten aber nicht, auch wenn das Unspunnenfest schon 1808 wiederholt wurde: Die politische Lage beruhigte sich nämlich nicht. 1814 wurden die Oberländer «Patrioten» militärisch in die Schranken gewiesen. Für weitere Unspunnenfeste war die Stimmung ungünstig.
Erst 1905, 100 Jahre nach dem ersten, folgte das dritte Unspunnenfest. Damals war die Kluft zwischen Stadt und Land wieder mehr oder weniger geschlossen. Der Alpenmythos war zum Mythos des neuen Bundesstaates geworden, bis hin zum Höhepunkt in der «Geistigen Landesverteidigung» der 30er- und 40-Jahre.
Seine eigentliche Auferstehung feierte das Kulturereignis 1946 als Schweizerisches Trachten- und Alphirtenfest. Seither findet das Unspunnenfest rund alle zehn Jahre statt.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Unspunnenfest 2006: 1. – 3. September in Interlaken
4000 aktive Teilnehmer
50’000 erwartete Gäste
1500 Helferinnen und Helfer
Budget: 2 Mio. Fr.
Er ist Symbol für das bodenständige Nationalspiel «Steinstossen» der Schweizer Hirten und hat eine bewegte Geschichte, die im zweimaligen Raub durch jurassische Separatisten gipfelte.
Die Appenzeller Älpler hatten 1805 zum ersten Unspunnenfest einen 184 Pfund schweren Stein mitgebracht. Dieser verschwand nach dem Fest und blieb unauffindbar. Für das zweite Unspunnenfest liess man deshalb einen neuen, 167 Pfund schweren Stein fertigen.
Ab 1947 wurde das Stossen des Unspunnensteins zum Wettkampfteil an kantonalbernischen und eidgenössischen Schwingfesten.
1984 wurde der im Touristikmuseum in Interlaken ausgestellte Stein von den Béliers gestohlen. Die jungen jurassischen Separatisten teilten mit, sie behielten den Unspunnenstein als Geisel bis zur totalen Befreiung des Juras vom Kanton Bern. In der Folge wurde ein Duplikat des Steins gefertigt.
Im August 2001 wurde der Original-Unspunnnenstein in Saignelégier an die damalige Botschaftergattin Shawne Fielding-Borer übergeben und als echt identifiziert.
Im August 2005 wurde der im Victoria Jungfrau Grand Hotel & Spa ausgestellte Stein erneut von den Béliers geklaut. Am diesjährigen Unspunnenfest wird deshalb mit dem Duplikat gestossen.
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