Patricia Highsmith: Schweizer Filmschaffende machen sie zur Hauptfigur
Zum 101. Geburtstag von Patricia Highsmith wird ein neuer Schweizer Dokumentarfilm über die umstrittene Schriftstellerin die Solothurner Filmtage 2022 eröffnen, ein weiterer ist bereits in Produktion. Ihr Vermächtnis von misanthropischen Figuren, deren Verbrechen sich in der Regel auszahlen, scheint nie zu sterben.
Ende November erfuhr SWI swissinfo.ch, dass «Loving Highsmith» als Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage 2022Externer Link (19. bis 26. Januar) vorgesehen ist. Der Dokumentarfilm wurde unter anderem vom öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehen SRF und RSI produziert.
Wenige Tage nach dieser Ankündigung gab die Tessiner Filmkommission bekanntExterner Link, dass ein zweiter Dokumentarfilm über Patricia Highsmith im italienischsprachigen Teil des Landes produziert wird. Dort verbrachte die amerikanische Schriftstellerin ihren letzten Lebensabschnitt – sie starb 1995 in Locarno und ist im nahe gelegenen Dorf Tegna begraben.
Damit endete ein Jahr voller Highsmith-Highlights mit einer doppelten Überraschung. Ihr 100. Geburtstag wurde am 19. Januar 2021 gefeiert, und wie es das Schicksal so will, wird «Loving Highsmith» nun am Tag ihres 101. Geburtstags seine Weltpremiere feiern, bevor er am 11. März in die Kinos kommt.
Regie führte die in Basel geborene Drehbuch-Autorin Eva VitijaExterner Link. Auf die Idee zu diesem Projekt war sie gekommen, nachdem sie auf Highsmiths Tage- und Notizbücher gestossen war und dabei eine ganz andere Seite des Lebens und der Persönlichkeit der Autorin entdeckt hatte.
Ähnlich wie ihre berühmteste Figur, der amoralische und hedonistische Hochstapler und Serienmörder Tom Ripley (der demnächst in einer vom US-Kabelsender Showtime produzierten Fernsehserie auf den Bildschirm zurückkehren wird), war Highsmiths Identität komplex.
Ihre Homosexualität zwang sie, ein Doppelleben zu führen. Während ihre sexuelle Neigung für die ihr Nahestehenden kein Geheimnis war, versuchte sie, sich durch eine Psychotherapie zu «heilen», um zu verhindern, dass ihr Privatleben ihrer Karriere schadete.
Sie nahm auch das Pseudonym Claire Morgan an, als sie ihren Roman «Der Preis des Salzes» (1952) erstmals veröffentlichte. Darin geht es um eine lesbische Liebesgeschichte. Erst 1990, fünf Jahre vor ihrem Tod, wurde der Roman unter ihrem richtigen Namen und mit einem neuen Titel, «Carol», neu veröffentlicht. Dieser wurde auch in der Verfilmung von 2015 beibehalten.
Die Ripley-Geschichten können ebenso wie der Debütroman der Autorin, «Strangers on a Train», durch eine queere Linse interpretiert werden, obwohl Highsmith selbst jegliche homosexuellen Tendenzen herunterspielte, als sie über die Persönlichkeit des Mörders sprach.
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Ihre «böse» Seite
Die Dualität war auch ein Schlüsselelement ihrer persönlichen Schriften, die im vergangenen Monat nach sorgfältiger Bearbeitung veröffentlicht wurden. 8000 Seiten Tagebuch-Einträge und Notizbücher wurden zu einem tausendseitigen Band verarbeitet.
Neben Englisch schrieb sie ihre privaten Gedanken unter anderem auch auf Deutsch und Französisch nieder – angeblich, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, aber auch, um einige ihrer unappetitlichen Ansichten zu verbergen. Sie war häufig rassistisch und heftig antisemitisch – vermutlich das, worauf sich der Guardian in einem Artikel beziehtExterner Link, wenn er sagt, einige Passagen der Tagebücher seien «böse».
Diese Aspekte mögen die Leserschaft schockieren, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie in der Berichterstattung des Mainstreams bisher weitgehend ausgeklammert wurden.
Während die Bigotterie von, sagen wir, H.P. LovecraftExterner Link jahrzehntelang ein fester Bestandteil seiner literarischen Persönlichkeit war, waren Highsmiths Vorurteile eher ein offenes Geheimnis, das gelegentlich erwähnt wurde, aber selten in nennenswerter Weise.
Ein Paradebeispiel dafür ist ein Artikel im Guardian aus dem Jahr 2015, verfasst von Phyllis NagyExterner Link, die «Carol» für die Leinwand adaptierte und sich 1987 mit Highsmith angefreundet hatte. Bei der Beschreibung eines Besuchs in der Schweizer Unterkunft der Autorin vergleicht sie ihre Freundin kurz mit einer peinlichen älteren Verwandten mit veralteten Ansichten und erwähnt deren allgemein konservative Denkweise und ihre Unterstützung für Palästina, die «oft in offenen Antisemitismus ausartete».
Ob einer der beiden Dokumentarfilme auf diese Facetten eingehen wird, bleibt abzuwarten. Die Solothurner Pressemitteilung und Zitate der Regisseurin deuten darauf hin, dass «Loving Highsmith» sich mehr mit deren romantischen Unternehmungen befassen wird – ein lohnendes Thema für sich, vor allem, da sie zwanglos von einer Partnerin zur nächsten sprang und sich dabei wenig um verletzte Gefühle kümmerte. In ihren Tagebüchern finden sich Hinweise auf Selbstmordversuche ehemaliger Liebhaberinnen.
Dass Highsmith weiterhin das Interesse von Filmemachenden weckt, ist angesichts des hohen Niveaus der auf ihren Schriften basierenden Werke eine bemerkenswerte Leistung.
Ihr erster Roman wurde von keinem Geringeren als Alfred Hitchcock verfilmt, und Tom Ripley wurde dargestellt von Stars wie Alain Delon, Dennis Hopper, Matt Damon und John Malkovich (für die kommende Showtime-Serie wurde die Rolle dem irischen Schauspieler Andrew Scott gegeben, der vor allem für seine Rolle des Moriarty in der TV-Serie «Sherlock»Externer Link bekannt ist).
Da sich das Jubiläumsjahr dem Ende zuneigt, können wir uns in den kommenden Monaten auf weiteres Highsmith-Verfilmungsmaterial freuen, das zudem die südlichen Gebiete der Schweiz beleuchten kann.
Scheinwerferlicht auf die Schweiz
Es ist auch ein Teil der Bemühungen der Tessiner Filmkommission, die italienischsprachige Region der Schweiz über die Sprachgrenzen hinaus bekannt zu machen.
Im Rahmen einer Präsentation während des Filmfestivals Castellinaria in Bellinzona Mitte November hat die Kommission eine Finanzierung für die Übersetzung von Drehbüchern erhalten, um diese für Interessierte aus der französisch- und deutschsprachigen Schweiz, die nicht unbedingt Italienisch sprechen, leichter zugänglich zu machen.
In diesem Sinne ist es passend – wenn auch unbeabsichtigt –, dass eine der ersten grossen nationalen Veröffentlichungen des Jahres 2022 ein Porträt einer internationalen Kulturfigur ist und das Ergebnis einer Partnerschaft zwischen zwei Ländern (der Schweiz und Deutschland) sowie zwei regionalen Abteilungen des schweizerischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (zu dem SWI swissinfo.ch gehört).
Auch wenn der Titel des Dokumentarfilms, «Loving Highsmith», nicht auf alle Aspekte von Highsmiths Leben zutrifft, so ist er doch ein Zeichen der Wertschätzung für ihre Rolle im Schweizer Kulturleben.
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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