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«Ich bin hier kein Wessi, sondern Ausländer»

Semperoper in Dresden bei Nacht
Peter Theiler will kein elitäres Opernhaus. Aber für fremdenfeindliche Aufmärsche vor der Semperoper hat der Schweizer Intendant kein Verständnis. Keystone / Matthias Hiekel

Seit Herbst 2018 ist Peter Theiler Intendant der weltberühmten Semperoper in Dresden. Zum ersten Mal arbeitet der Schweizer damit an einer ostdeutschen Bühne und setzt dort klare Zeichen.

Unverkennbar thront der Prachtbau auf dem grossen Theaterplatz nahe der Elbe: Die Semperoper ist ein weltberühmtes Markenzeichen der sächsischen Stadt und zugleich ihr architektonisches Aushängeschild. Vor ihr skandierten seit 2014 viele Male Pegida-Demonstranten Parolen gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes. In dem Gebäude repräsentiert ein internationales Ensemble Vielfalt und eine offene Gesellschaft.

In diesem Spannungsfeld arbeitet seit Oktober 2018 der gebürtige Basler Peter Theiler als Intendant. Keine Frage: Die Berufung an das Haus ist trotz aller Erfahrung und Meriten, die er vorweisen kann, eine Ehre. «Dies ist eines der schönsten Opernhäuser der Welt mit einem der besten Orchester der Welt», sagt der Schweizer. Die Opernwelt schaut auf Dresden und sie kommt nach Dresden.

Semperoper

Die Sächsische Staatsoper Dresden, kurz Semperoper genannt, spielt weltweit in der ersten Liga der Opernhäuser. Sein Orchester, die Sächsische Staatskapelle Dresden wurde bereits 1548 gegründet und zählt zu den zehn besten Klangkörpern der Welt.

Das Theater selbst befindet sich im historischen Stadtkern Dresdens und ist nach seinem Architekten Gottfried Semper benannt. Richard Wagner war hier von 1843 bis 1848 Hofkapellmeister, neun von Richard Strauss› 15 Opern wurden in Dresden uraufgeführt.

Zwei Mal wurde die Semperoper komplett zerstört, zuletzt durch Luftangriffe auf Dresden im Zweiten Weltkrieg, und zwei Mal wieder aufgebaut. Das Gebäude in seiner heutigen Rekonstruktion als städtebauliche und denkmalpflegerische Leistung der DDR von internationalem Rang wurde 1985 wiedereröffnet.

(Quelle: u.a. Semperoper)

Das Haus voller Eidgenossen

Fast jeden Abend sind Parkett und Ränge prall gefüllt, häufig mit grossen Gruppen von Opernfans aus dem In- und Ausland. Für sie gehört ein Besuch der Semperoper zum Programm wie ein Abend in der Scala in Mailand. Auch viele Eidgenossen kommen nach Dresden. «An manchen Abenden ist das Haus voller Schweizer», erzählt Peter Theiler. Tägliche Direktflüge aus Zürich und Basel machen den kurzen Städtetrip an die Elbe einfach. Zudem leben und arbeiten viele Eidgenossen in Sachsen. 

Das Miteinander funktioniert. Man sagt den Schweizern nach, in ihrer Mentalität den eher zurückhaltenden Ostdeutschen näher zu sein als die selbstbewusster auftretenden Westdeutschen. 

Für Theiler ist seine Nationalität in diesem Kontext ein echter Trumpf: «Ich bin hier kein Wessi, sondern ein Ausländer.» Einer, der sich auch als Repräsentant seines Landes sieht. In Nürnberg war Theiler Honorarkonsul der Schweiz und auch in Dresden pflegt er das Netzwerk mit seinen Landsleuten.

Der Basler hat sich auf Dresden gut vorbereitet. Drei Jahre lang pendelte er zwischen seiner letzten Wirkungsstätte Nürnberg und der Stadt an der Elbe, um ein Gespür für sie zu entwickeln und sich zu vernetzen. 

Seit einem Jahr wohnt er nun hier mit seiner Frau und hatte während des Umbaus seiner Wohnung auch viel Kontakt zu einheimischen Handwerkern: «Da habe ich die speziellen Empfindlichkeiten gespürt», sagt er. Auch fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung herrscht bei vielen ein Gefühl der Benachteiligung gegenüber dem Westen vor. «Das muss man ernst nehmen», so Theiler.

Peter Theiler
Peter Theilers Berufung nach Dresden ist trotz aller bisherigen Meriten eine Ehre. Petra Krimphove

Für fremdenfeindliche Aufmärsche vor «seinem» Haus hat Theiler indes kein Verständnis. Hier ist eine rote Linie. Vor dem Haupteingang flattern vier grosse Banner im Wind: «Augen auf», «Herzen auf», «Türen auf» und Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes sind auf ihnen zu lesen: «Die Würde des Menschen ist unantastbar.» Die Demokratiearbeit der Semperoper endet nicht auf dem Vorplatz. Sie ist an vielen Projekten in der Stadt, unter anderem in Schulen, beteiligt und engagiert.

Dresdner Dynamos im Opernhaus

Theilers Team will sich nicht in der Burg der Hochkultur verschanzen und abschotten, sondern den Austausch suchen und für alle offen und relevant sein. «Die Semperoper mag vielleicht vielen als elitär und abgehoben gelten», bedauert der Intendant. Dem möchte er entgegenwirken. Schliesslich sei es ein durch Steuern finanziertes Haus. 

Wie es ausschaut, wenn plötzlich statt Bildungsbürgern Hardcore-Fussballfans die Opernränge besetzen, zeigt ein Foto im aktuellen Programmheft. Der renommierte Fotograf Andreas Mühe hat rund 1000 in Schwarz und Gelb gekleidete Anhänger des Fussball-Zweitligisten Dynamo Dresden in die Semperoper gebeten und in Szene gesetzt.

Die «Ultra Dynamos» füllen auf dem Foto Ränge und Parkett bis auf den letzten Platz. Fast martialisch recken sie ihre Fäuste in die Luft. Es ist ein packendes und mutiges Bild. Peter Theiler sieht Parallelen zwischen dessen Choreographie und den Massenszenen in Giacomo Meyerbeers Oper «Die Hugenotten», die auf dem Spielplan steht. Man kann das Foto aber auch als symbolisches Aufbrechen des elitären Images der Semperoper interpretieren.

Der Neu-Dresdner versteht sich als politischer Theatermacher, der zu Zeitfragen Stellung nehmen will. Das wird beim Gespräch in seinem Büro im modernen Anbau der Oper rasch deutlich. 

Wagner, Mozart, Verdi – das internationale und nationale Publikum verlangt nach bekannten Klassikern in prachtvoller Kulisse. Häufig werden sie in bewährten Inszenierungen auf die Bühne gebracht. In den sechs neuen Produktionen der Saison kann Theiler indes seine eigene Handschrift deutlich machen. Er nutzt sie beispielsweise, um Wagners Werk in einen politischen Kontext zu setzen. Wagners Stücke gehören zur Semperoper wie Mozarts Musik nach Salzburg, schliesslich hat der grosse Komponist hier lange gelebt und gewirkt.

«Das Publikum ist an jedem Ort spezifisch.»

Mit “Rienzi“, “Der fliegende Holländer“ und “Tannhäuser“ wurden drei seiner Werke hier uraufgeführt. Doch Wagner war auch ein erklärter Antisemit. «Wo Wagner gespielt wird, müssen wir auch jüdische Komponisten spielen», betont Theiler. Daher setzte er in seiner ersten Spielzeit als Kontrapunkt die erwähnte Oper Giacomo Meyerbeers, den sein Zeitgenosse Wagner wegen dessen jüdischen Glaubens geschmäht hatte, auf den Spielplan. Das gleiche gilt für Zeitgenossen des Dresdner Hausgottes Richard Strauss, wie als erste Premiere der Saison Arnold Schönbergs Oper «Moses und Aron».  

Unterscheidet sich das ostdeutsche Publikum vom westdeutschen oder auch von jenem in der Schweiz, wo er von 1996 bis 2001 in Biel/Solothurn die Intendanz innehatte? «Das Publikum ist an jedem Ort spezifisch», sagt Peter Theiler. Im vom Arbeitermilieu geprägten Biel mit seiner die Stadt durchlaufenden Sprachgrenze und dem bürgerlich konservativen Solothurn unterschied es sich selbst an diesen beiden so nah liegenden Schweizer Spielorten. 

In Gelsenkirchen im deutschen Ruhrgebiet arbeitete Peter Theiler wiederum in einer Region im massiven Strukturwandel. Jedes Mal, so sagt er, müsse man sein Publikum neu ertasten und definieren. So hält er es jetzt auch in Dresden.

Peter Theiler

Der gebürtige Basler arbeitete vor seiner Intendanz in Dresden an unterschiedlichen Orten in Deutschland und der Schweiz. Er begann seine Theaterkarriere 1987/88 als Regisseur am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen.

Anschliessend ging er an die Opéra de Nice, leitete vier Jahre lang das französische Theaterfestival «Perspectives» in Saarbrücken und arbeitete vom 1994 bis 1996 als Oberspielleiter und Bühnenbildner an der Oper am Nationaltheater Mannheim.

1996 kehrte er für einige Jahre zurück in die Schweiz und wurde Direktor des Theâtre des Régions Biel/Bienne-Solothurn. In der Spielzeit 2001/02 übernahm er dann als Generalintendant die Leitung des Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen und wurde von dort 2008 als Staatsintendant an das Staatstheater Nürnberg berufen. Dort blieb er bis 2018, als er die Intendanz in Dresden übernahm. 

(Quelle: u.a. Semperoper)

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