Pfahlbau-Jubiläum in der Schweiz
Vor 150 Jahren wurde am Zürichsee in der Schweiz die erste Pfahlbau-Siedlung entdeckt – eine weltweite archäologische Sensation.
Zum Jubiläum widmet das Zürcher Landesmuseum Leben und Wirken der Schweizer Pfahlbauer sowie der Forschung eine Ausstellung.
Die Entdeckung der ersten Pfahlbau-Siedlung im Winter 1854 am Ufer des Zürichsees stiess auf weltweites Interesse und bedeutete einen Meilenstein in der Entwicklung der Archäologie. Das Ereignis eröffnete der Archäologie neue Dimensionen, die über die Welt der Gräber und der Toten hinausging.
Die Objekte aus den Seeufer-Siedlungen gaben Zeugnis vom alltäglichen Leben der Pfahlbauern. So rückte die Urgeschichte in die unmittelbare Nähe des modernen Betrachters.
«Sonderfall Schweiz»
Die Begeisterung ragte weit über den engen Kreis der Fachleute hinaus. Das Bild von Dörfern auf Seeplattformen und Holzpfählen faszinierte eine breite Öffentlichkeit.
Gleichzeitig verstand man diese sonderbare Art der Siedlungsform als Beleg für den «Sonderfall Schweiz», der sich nunmehr bis zu den Ursprüngen der modernen Zivilisation zurückverfolgen liess.
Expressive Inszenierung
Die Jubiläums-Ausstellung «Die Pfahlbauer» will die Faszination der Originalfunde durch eine expressive Inszenierung neu zur Geltung bringen.
Es herrscht eine eisige Kälte in der Ruhmeshalle des Zürcher Landesmuseums: Die Besucher begeben sich auf Zeitreise in den Winter 1854, als es kalt und trocken war. Die Seepegel sanken.
Kinder stiessen in Obermeilen am Zürichsee zufällig auf Objekte von Pfahlbauern, wie Marc-Antoine Kaeser, Archäologe und Projektleiter Schweizerisches Landesmuseum, erklärt.
Mit diesem Fund startete ein eigentliches Pfahlbauer-Fieber. In über 30 europäischen Ländern, aber konzentriert rund um die Alpen, wurden Überreste von Pfahlbauten entdeckt. In der ganzen Schweiz sind es laut Kaeser sicher 500 Stätten.
Die ersten Bauern und harte Arbeiter
Schnell verbreitete sich ein romantisch verklärtes Bild des Pfahlbauer-Daseins. «Im 19. Jahrhundert galten sie als friedliche, ideale und in sich geschlossene Gesellschaft», erklärt Kaeser. Dass ihr Leben so romantisch aber nicht war, zeigen an die Wände projizierte Bilder: Die Pfahlbauern waren die ersten Bauern der Schweiz und harte Arbeiter.
«Die Pfahlbau-Siedlungen zeugen von der Existenz geschickter und intelligenter Völker vor der römischen Besetzung», sagt Kaeser gegenüber swissinfo. «Das hat der Schweizer Bevölkerung ein neues Bewusstsein ihrer eigenen Wurzeln gegeben.»
Mittel zur Festigung des Nationalstaates
Die Politiker hätten diese Botschaft damals geschickt vereinnahmt, fährt Kaeser fort. Der Mythos der Pfahlbauer habe sich bestens geeignet, um den noch schwachen, 1848 gegründeten Nationalstaat zu festigen und eine gemeinsame Identität zwischen verschiedenen Völkern und Kulturen aufzuzeigen.
Nicht zufällig, so Kaeser weiter, habe die Schweizer Landesregierung 1867 den Maler Auguste Bachelin mit der Darstellung eines Pfahlbau-Dorfes in der Bronze-Zeit beauftragt, um die Eidgenossenschaft an der Weltausstellung in Paris zu repräsentieren.
Anschauliches Material
Die Ausstellungsmacher haben im Zürcher Landesmuseum eine Unterwasserwelt geschaffen. Auf Bergen aus Pappe stehen Vitrinen mit 150 Objekten. Archäologen werden schliesslich unter Wasser fündig: Zu sehen sind Jagdinstrumente wie Pfeile und viele Alltagsgeräte wie Getreidemesser, Backschaufeln oder Schmuck.
Eine aus England stammende Bernsteinperle aus der Bronze-Zeit zeigt etwa, dass die Menschen bei Zürich bereits zwischen 1800 und 1550 vor Christus reich werden konnten. Speziell ist auch ein Stück Birkenteer mit Zahnabdruck, das Kaeser als «neolithischen Kaugummi» bezeichnet.
Erste alpine Siedlung
Für Kaeser fast eine Sensation ist die jüngste Entdeckung: Hobbytaucher fanden im Vierwaldstättersee beim Bürgenstock Schalen mit Muscheln und andere Objekte, die auf eine Pfahlbau-Siedlung schliessen lassen. Es wäre die erste solche Siedlung im alpinen Gebiet. Gezeigt werden die Funde in einem eigenen Aquarium.
Die Objekte aus der ganzen Schweiz gehören zur Sammlung des Landesmuseums und der Zürcher Kantonsarchäologie. Sie stammen aus der Zeit von 4300 bis 800 vor Christus und zeigen die Vielfalt des Pfahlbauer-Lebens. Gemeinsam war nur, dass sie ihre Siedlungen am Wasser erbauten, wo sie eine vielfältige Flora und Fauna vorfanden.
swissinfo und Agenturen
Jubiläums-Ausstellung Landesmuseum Zürich:
150 Jahre Entdeckung der schweizerischen Pfahlbauten
27. Februar bis 13. Juni 2004
2004 ist das Pfahlbau-Jahr. Vor 150 Jahren, im Winter 1854, wurde in Obermeilen am Zürichsee die erste Pfahlbau-Sieldung entdeckt. Darauf kam es zu einem eigentlichen Pfahlbauer-Fieber in der Schweiz.
Das Schweizerische Landesmuseum in Zürich begeht das Jubiläumsjahr mit seiner Ausstellung «Die Pfahlbauer».
150 Originalfunde werden 150 Jahren Forschungs-, Rezeptions- und Kunstgeschichte gegenübergestellt.
Das Landesmuseum arbeitete für die Ausstellung mit der Fachstelle für Unterwasser-Archäologie der Stadt Zürich und der Universität Zürich zusammen.
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