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Pfahlbauten werden Welterbe

Ein rekonstruiertes Pfahlbauerdorf in Wauwil im Kanton Luzern. Keystone

Die Pfahlbauersiedlungen des Alpenraums werden auf die Liste des Welterbes aufgenommen. Die Unesco hat in Paris die Kandidatur von sechs Ländern unter der Leitung der Schweiz gutgeheissen.

Sie sind fast alle unsichtbar. Sie befinden sich zum grössten Teil am Boden von Seen oder sind im Sand an den Ufern verschwunden.

Trotzdem zählt sie die Unesco zum Welterbe der Menschheit: Die Pfahlbauersiedlungen des Alpenraums gehören zu den wichtigsten archäologischen Stätten für das Verständnis der Entwicklung des Menschen zwischen der Jungsteinzeit und der Bronzezeit.

Das Wasser und der Sand der Schweizer Seen haben beste Bedingungen geschaffen, damit Teile dieses grossen prähistorischen Archivs bis in die Neuzeit überlebt haben.

Das organische Material, das unsere Vorfahren benutzten – Holz, Leder, Textilien, Knochen und sogar Nahrungsreste – blieb in den Seen viel besser erhalten als anderswo, wo Luft, Wetter und Zerstörung durch den Menschen den Altertümern zusetzten.

Seit vor eineinhalb Jahrhunderten die ersten Pfahlbauersiedlungen im Alpenraum entdeckt wurden, haben Forscher wie in keiner anderen Gegend der Welt das Leben einer Gesellschaft von Bauern und Züchtern rekonstruieren können.

Sie haben dazu beigetragen, das fehlende Glied zwischen den Völkern der prähistorischen Jäger und Sammler und den ersten grossen europäischen Zivilisationen zu rekonstruieren.

Geschickt

Die ersten Spuren eines antiken Pfahlbauerdorfes wurden 1854 in der Nähe von Zürich entdeckt, in einem Jahr, in dem der See einen ausserordentlich tiefen Wasserstand aufwies. Die ersten Ausgrabungen brachten hunderte in den Boden gerammte Holzstangen und zahlreiche unbekannte Objekte ans Licht – in ausserordentlich gut erhaltenem Zustand.

Die Entdeckung stiess in ganz Europa auf grosses Interesse. In den folgenden Jahrzehnten wurden an Seeufern in weiteren europäischen Ländern ähnliche Funde gemacht, besonders im Alpenbogen.

Während die bisherige Altertumsforschung vor allem Informationen über den Tod zu Tage gebracht hatte (Gräber, Waffen und militärische Verteidigungsanlagen), erlaubten die Funde erstmals einen einzigartigen Einblick in das Alltagsleben der Menschen in den ersten bäuerlichen Dörfern zwischen 5000 und 500 v.Chr.

In früheren Zeiten bestanden kleinere Dörfer in der Regel aus weniger als 50 Menschen, die in 5 bis 10 Häusern lebten. In der Bronzezeit zählten Dörfer bereits bis zu 50 Häuser, in denen sich einige hundert Menschen aufhielten. Die Leute lebten von der Landwirtschaft – fast nur Getreideanbau – und von Kühen, Schafen und Schweinen, aber auch von Jagd und Fischerei sowie dem Sammeln von Kräutern und Früchten im Wald.

Werkzeuge aus Holz und Stein, Schuhe und Kleider aus aufgeweichter Rinde, Keramik, Schmuck, Räder, Kanus und erste Produkte aus Metall zeugen von den Fähigkeiten der Pfahlbauer. Und sie dokumentieren den technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in einer Ära, die trotzdem ein grosses Mysterium bleibt: Auch heute noch wissen wir praktisch nichts über Kultur, Rituale und Sprache dieser Vorfahren.

Nationaler Mythos

Die Entdeckung der ersten Pfähle an Seeufern führte in der Schweiz zu einer romantischen Vorstellung von Volksgruppen, die auf dem Wasser lebten, in Häusern auf hölzernen Plattformen, durch Brücken und Gehwege miteinander verbunden. Ausstellungen, Bilder, Kalender, Schulbücher und Romane zementierten während vielen Jahrzehnten dieses Bild.

Die Pfahlbauersiedlungen in den verschiedenen Regionen des Landes wurden in einer gewissen Weise verklärt zur Idee eines gemeinsamen Ursprungs der verschiedenen Kulturen der Eidgenossenschaft, die erst kurz zuvor in ihrer heutigen Form entstanden war (1848).

In diesem Zusammenhang erstaunt es nicht, dass die Schweizer Landesregierung für die Weltausstellung 1867 in Paris entschied, das Land mit dem Gemälde eines Schweizer Pfahlbauerdorfes am See zu präsentieren.

Doch in der Zwischenzeit fand die Forschung heraus, dass die Dörfer an den Seen im Alpenbogen über tausende von Jahren entstanden sind und in dieser Zeit von über 30 verschiedenen Volksstämmen bewohnt wurden. Und: Die Häuser wurden nicht auf Plattformen und schon gar nicht auf dem Wasser gebaut.

«Die Seen waren in jenen Zeiten kleiner, daher standen die Dörfer damals in der Regel auf festem Boden oder in Sumpfgebieten», sagt Christian Harb, Verantwortlicher des Projekts Palafittes (Pfahlbauten). «Die Pfähle dienten zum Schutz vor Überschwemmungen, weil damals der Wasserstand der Seen viel stärker schwankte als heute.»

Multinationale Kandidatur

Wenn auch die Pfahlbauten vor über einem Jahrhundert dazu benutzt wurden, die Schweizer Identität von anderen Ländern abzuheben, so war die heutige Kandidatur ein gemeinsames Projekt von Ländern aus dem Alpenraum.

Vorgeschlagen und geleitet von der Schweiz, wurde die Kandidatur der Pfahlbauten unterstützt von Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien. 111 archäologische Stätten in 6 Ländern, davon 56 in der Schweiz, werden nun in das Weltkulturerbe aufgenommen.

«Der grenzüberschreitende Charakter des Projekts wurde von der Unesco sicher geschätzt, empfiehlt sie doch die kulturelle Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Mitgliedsländern», so Harb.

«Unsere Kandidatur hat sicher auch davon profitieren können, dass es weltweit nur wenige prähistorische Stätten gibt und dass die Pfahlbauten, im Gegensatz zu anderen Projekten, nicht den Tourismus ankurbeln, weil sie sich unter Wasser befinden.»

Trotzdem hoffen die Promotoren des Projekts, dass der Eintrag in die Liste des Welterbes der archäologischen Forschung einen Anstoss geben kann und die Parks, Museen und Ausstellungen über Pfahlbauten einem breiteren Publikum zugänglich macht; und, nicht zuletzt, dass es ihrer Erhaltung dient: Das Wasser in den Seen konserviert dieses historische Erbe gut – aber nicht für immer.

Das zuständige Komitee der UNESCO hat es zum zweiten Mal abgelehnt, das Werk des schweizerisch-französischen Stararchitekten Le Corbusier auf die Welterbeliste zu setzen.

Unter der Federführung Frankreichs wollten die Schweiz, Deutschland, Argentinien, Belgien und Japan das Werk Le Corbusiers als Symbol des neuen urbanen Bauens auf die Liste aufnehmen lassen.

Die neuerliche Ablehnung war aufgrund einer negativen Empfehlung des Internationalen Rates für Denkmalpflege ICOMOS erwartet worden.

Das Komitee der Unesco hat in Paris die Aufnahme der Pfahlbauer-Fundstätten im europäischen Alpenraum ins Welterbe gutgeheissen.

Die Kandidatur wurde im Januar 2010 unter Leitung der Schweiz eingereicht, zusammen mit Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien.

Bisher wurden rund 1000 Pfahlbauer-Dörfer entdeckt, die zwischen 5000 und 500 vor unserer Zeitrechnung von rund 30 verschiedenen Volksstämmen bewohnt worden sind.

Von diesen sind nun 111 ins Weltkulturerbe aufgenommen worden, darunter 56 aus der Schweiz.

Zu den Zielen der Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) gehört der Schutz von Kultur- und Naturerben, die über einen «ausserordentlichen universellen Wert» verfügen.

1972 verabschiedeten die Mitglieder der Unesco eine internationale Konvention, welche die Schaffung einer Liste des Welterbes der Menschheit vorsieht.

Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, die Standorte auf ihrem Gebiet zu schützen. Gegenwärtig sind dies rund 900 in etwa 140 Ländern.

In der Schweiz befinden sich nun 8 Standorte auf der Liste des Weltkulturerbes und 3 auf jener des Weltnaturerbes.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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