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«Playtime», packende Tauchfahrt ins Virtuelle

Die Video-Installation "Scalable City" von Sheldon Brown zeigt, wie vor unseren Augen eine Stadt entsteht aus Elementen, die vom Himmel fallen. Maison d'ailleurs

Das Science-Fiction-Museum "Maison d’Ailleurs" in Yverdon stellt Videospiele internationaler Künstler vor, die von Technologie und spielerischem Experimentieren ebenso begeistert sind. Ein Rundgang in einem spielerischen Universum von universeller Dimension.

Für Liebhaber von Video-Spielen ist «Playtime» unumgänglich. Die Ausstellung hat einiges zu bieten und zieht massenhaft Besucher an, vor allem Jugendliche.

Ungeduldig warten sie – viele gemeinsam mit ihren Eltern – darauf, dass das Museum die Tore öffnet. Dann stürzen sie sich auf die Playstations und andere Spiele, die auf allen Etagen installiert sind. Mit einer Leichtigkeit, die auch den pfiffigsten Erwachsenen verunsichert, tauchen sie ins virtuelle Universum ein.

Willkommen in der packenden Welt von «Playtime – Videogame mythologies». Die im Rahmen des Programms «GameCulture – vom Spiel zur Kunst» von Pro Helvetia konzipierte Ausstellung ist der Kultur der Video-Spiele und der Erkundung der Beziehungen zwischen Spielerischem und Technologie gewidmet.

«Unter Kultur versteht man hier das ästhetische Experiment, das jeder Spieler oder jeder Besucher erleben kann», sagt Marc Atallah, Direktor des Maison d’Ailleurs. «Es geht uns also nicht darum, die Themen oder den Lauf der Geschichte des Spiels anzugehen, sondern ein persönliches, subjektives Experiment, das die Sinne bewegt.»

Dafür hat das Maison d’Ailleurs tüchtig abgesahnt. Um dem universellen Charakter der Video-Spiele gerecht zu werden, benötigte man Werke aus verschiedenen Ländern, welche die Sensibilitäten aller Kulturen wiedergeben und beim Besucher unterschiedliche Gefühle auslösen.

Playtime zeigt, wie Asien, Amerika und Europa um das Vorstellungsvermögen wetteifern, um die Leidenschaft der Spieler zu stimulieren.

Verzerrtes Gesicht

Von den Spielkonsolen zu den 3D-Videos, wenn man den Spielen folgt, zeigt sich der ganze spielerische Raum. Ein Beispiel: «The Evolution of Play Space» ist eine Installation, die sechs Konsolen umfasst, mit sechs Spieltypen, die zwischen 1980 und 2008 von verschiedenen Entwicklern programmiert wurde.

Diese Spiele zeigen, wie im Laufe der Jahre eine Verfeinerung der Pixel, eine Verbesserung des Raum-Managements und des Übergangs von einer Dimension in die andere stattgefunden hat.

Andere Werke, die weniger chronologisch verlaufen, schlagen ein einmaliges Experiment vor, das der Spieler während der Belichtungsdauer durchlebt. Das ist der Fall bei «After Ego», eine Foto-Serie von Robbie Cooper (Grossbritannien), welche die Identifikation des Spielers mit seiner virtuellen Person widerspiegelt.

So kann sich ein motorisch behindertes Kind zum Beispiel auf dem Bildschirm im Panzer eines Grenadiers sehen.

Das ist übrigens auch bei der interaktiven Installation von Arturo Castro (Spanien) und Kyle McDonnald (USA) der Fall. Hier hat es weder Konsole noch Joystick, sondern nur einen Bildschirm, vor dem man sich aufstellt, als wollte man sein eigenes Porträt hervorholen. Man macht eine Grimasse und der Bildschirm, der das Gesicht erkennt, verzerrt dieses sogleich und schickt es einem in unkenntlichen Zügen zurück.

Das Resultat ist ein effektvolles Spektakel ähnlich einem Puppenspiel; mit dem Unterschied, dass die Marionette, die man verkörpert, nicht von einem Faden dirigiert wird, sondern durch eine «Technik der Gesichtssubstitution, die es erlaubt, verschiedene Gesichter von übereinander zu lagern. Der Prozess verwendet eine erweiterte Realität“, sagt Arturo Castro, der Entwickler der Installation.

Auf das Thema «erweiterte Realität“ (Augmented Reality) kommt die Ausstellung in andern Sälen zurück. Diese Technik, die es erlaubt, den Raum umzugestalten, fasziniert.

Davon zeugt «Levelhead», eine Installation von Julian Oliver (Neuseeland), vor der sich die Besucher drängeln. Drei kleine Würfel, eine winzige Kamera und ein Bildschirm. Wenn man einen Würfel vor der Kamera dreht, erscheint auf dem Bildschirm wie durch Magie eine Person. Bei dem Spiel geht es darum, die Person durch die Zimmer zu führen, bis diese den Ausgang findet.

Die «Gold Farmers» und China

In der Sammlung interaktiver Installationen befinden sich eine Reihe Dokumentarfilme. Darunter «Gold Farmers», der erklärt, wie die Spiele für mehrere Teilnehmer eine Ökonomie ins Leben gerufen haben, bei der ein virtuelles Gut gegen reelles Geld ausgetauscht wird. Weltmeister auf diesem Gebiet sind die Chinesen.

«In China gibt es sehr viele arme Spieler, die sich mittels Online-Spielen engagieren, um einen Gegenstand zu erwerben und diesen danach an westliche Spieler zu exportieren», sagt Marc Atallah.

Was bei diesem Dokumentarfilm interessant ist, ist nicht primär das Funktionieren des Spiels, sondern vielmehr die soziale Bedeutung. «Gold Farmers erzählt eigentlich die Geschichte der Ausbeutung des Menschen, wie sie durch ein gewinnsüchtiges, kapitalistisches System hervorgebracht wurde», sagt der Direktor des Museums.

Die Bedeutung der Ausstellung besteht auch darin, dass sie in der Lage ist, die andere Seite des Spiels, die psychologische, aufzudecken, die gewichtiger ist als ein Joystick.

Playtime-Videogame mythologies ist im Maison d’Ailleurs in Yverdon-les-Bains bis am 9. Dezember 2012 zu sehen.

Während des ganzen Jahres werden in Yverdon und der Romandie Veranstaltungen in Zusammenhang mit der Ausstellung organisiert.

Sie sollen einem breiten Publikum die Möglichkeit bieten, die Vielseitigkeit der Videospiele zu entdecken.

Das Maison d’Ailleurs versteht sich als Museum für Science Fiction, Utopien und aussergewöhnliche Reisen.

Die Stiftung des Maison d’Ailleurs hat zum Ziel, einerseits ein Museum für das breite Publikum und andererseits ein für neue Kulturformen spezialisiertes Forschungszentrum zu unterhalten.

Zu den Sammlungen des Maison d’Ailleurs gehören mehr als 40’000 Bücher und 20’000 Dokumente sowie Objekte im Zusammenhang mit der Bilderwelt der Science-Fiction (Plakate, Kunstwerke, Spielsachen, CD usw.).

Das Museum hat in den letzten Jahren mehr als 30 Wechselausstellungen zu den wichtigsten Themen der Science-Fiction (Raumfahrt, Spiele, Utopie) gezeigt oder grosse Künstler in diesem Bereich (darunter H. R. Giger, John Howe und Alejandro Jodorowsky) vorgestellt.


Seit 2008 besitzt das Maison d’Ailleurs auch eine Jules Verne gewidmete Dauerausstellung mit einer umfassenden Sammlung von Objekten und Dokumenten, die sich auf den französischen Schriftsteller beziehen.

Das Maison d’Ailleurs ist weltweit die einzige öffentliche Institution dieser Art.

Die Ausstellung, die auf den gleichnamigen Film von Jacques Tati Bezug nimmt, will gleichzeitig spielerisch und lernreich sein.

Playtime hat sich der Videospielkultur verschrieben und beleuchtet die Beziehung zwischen Spiel, verschiedenen Spielformen und Technologie.

Interaktiv stellt sie historische Dokumente, Beispiele aus der GameArt sowie innovative Games vor.

Die Ausstellung lädt dazu ein, die Computerspiele aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkunden:

Rules of Play / The Game of Life, das in die Spiel-Mechanismen einführt;

Game Geographies and Playnations widmet sich der räumlichen Dimension der Videospiele;

Bodies and Minds behandelt die Beziehung der Spieler zu ihren Avataren und den Einbezug des Körpers in die Video-Spielerfahrung;

Assault on Reality stellt innovative Kreationen vor, in denen Realität und Virtualität verschmelzen.

Die Ausstellung ist ein Projekt aus «GameCulture — vom Spiel zur Kunst», dem Programm der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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