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Poetry Slam und Mangas sind auch Literatur

Hautnah: Fantasy-Autor Jyoti Guptara (rechts) mit einem Fan. swissinfo.ch

Die Solothurner Literaturtage zeigen auf, dass Literatur heute mehr ist als eine jeweils eigene Welt zwischen zwei Buchdeckeln.

Wenn Kinder Kultur konsumieren, geht es oft direkt und sehr ehrlich zu und her. So werden sie sofort unruhig, wenn ihnen was nicht passt. Die vortragenden Dichterinnen und Dichter stehen vor der schwierigen Aufgabe, die jungen Zuhörer ruhig zu behalten und doch Emotionen zu wecken.

Martin von Aesch versucht es mit einem kabarettreifen Auftritt, indem er in die Rolle der Hauptperson seines Romans schlüpft, in den 11-jährigen Detektiv und Fussballer Kuku. Plastisch führt von Aesch vor, wie Kuku denkt und fühlt. Er packt die Zuhörer mit Action, bezieht sie ein, fragt, schulmeistert – und liest nur knapp drei Minuten vor aus «Einbrecher sind schneller als Fussballer», seinem letzten Werk.

Stellt sich die Frage, ob von Aesch seinem Text nicht zutraut, die heutigen jugendlichen Zuhörer zu fesseln?

Ganz anders präsentiert sich Franz Hohler. Der Kabarettist und Schriftsteller verzichtet weitgehend auf Kabarett. Er liest verschiedenste Texte, äusserst kurze aber auch relativ lange.

Und die Kinder hängen an seinen Lippen, wenn er zum Beispiel von den beiden Schrauben an einem Eisenbahnrad erzählt, die dauernd Streit miteinander hatten und dem schlimmen Ende, das die beiden erwartete.

Auch von der «Made in Hong Kong» erzählt er, die es dort so weit gebracht hatte, dass nun alle in der ehemaligen britischen Kronkolonie produzierten Güter mit «Made in Hong Kong» angeschrieben werden.

Fantasy: Einst verpönt und trotzdem eigene Literaturgattung

Fantasy ist ein Genre, das die Jugend besonders in Bann zieht. Besonders, wenn vor dem jungen Publikum ein 20-Jähriger sitzt, der mit seinem Zwillingsbruder bereits am dritten über 1000 Seiten starken Fantasy-Roman arbeitet. Suresh und Jyoti Guptara begannen mit elf Jahren ihren Traum vom eigenen Roman zu verwirklichen.

Die reale Welt, Gut und Böse, werden von den beiden Brüdern in ihre Fantasy-Welt, in Calaspia, transferiert. Denn «jeder Mensch hat den Wahnsinn in sich» sagt Jyoti Guptara. In der Wirklichkeit genau so wie in der Fantasy-Welt der Guptara-Brüder.

Und so neu ist diese Literaturgattung auch wieder nicht, denn sie ist eine Parallelwelt zum Märchenreich. Beide werden von Prinzen und Prinzessinnen, Drachen, Zauberern und Hexen geprägt.

Vom Poetry Slam…

Eine relativ junge Literatursparte ist der «Poetry Slam». Die Slammer dreschen nicht aufeinander ein. Sie stellen sich dem Publikum mit selbstverfassten Texten. Sie stehen da, ein Blatt Papier in der Hand, das Mikrofon vor dem Mund. Keine Requisiten! Nur das Wort zählt!

Der St. Galler Slammer Richi Küttel führt einen Poetry-Slam-Workshop für Jugendliche durch. Im Kanton Solothurn scheint sich diese Kunstform noch nicht so ganz durchgesetzt zu haben, denn lediglich drei Jugendliche interessieren sich für den Workshop.

Die drei Mutigen, zwei Mädchen und ein Junge, werden von Küttel behutsam mit den Finessen des Gewerbes vertraut gemacht. Er gibt Tipps und Tricks, wie man nur mit seiner Erscheinung und seiner Stimme das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreissen kann.

Und, es nützt! Am abschliessenden «Wettbewerb» vor Publikum legen die Jugendlichen zwischen 14 und 18 eine beeindruckende Performance hin, wie man sich anhand der beigefügten Audios selbst überzeugen kann.

Da gibt es einen atemberaubenden Speed Rap, der die jungen und älteren Zuhörenden in einen schwindelerregenden Sog zieht, aber auch nachdenkliche, tiefsinnige Lyrik, sowie Texte, die illustrieren, was Jugendliche in diesem Alter beschäftigt: der Wandel vom Jugend- ins Erwachsenenalter, die Suche nach dem Weg ins Leben: «Man lebt, um zu sterben – man stirbt, um gelebt zu haben.»

…zum Manga

Die 24-jährige Zeichnerin Helen Aerni zeigt einem interessierten jugendlichen Publikum, wie man die auch hierzulande immer beliebter werdenden Mangas verfasst. Was braucht es für die Planung, die Ausführung, und was für Hindernisse müssen oft überwunden werden?

Während das Thema für den älteren Teil des Publikums meist komplettes Neuland bedeutet, ist es für viele junge Fans eine eigene Welt mit einer eigenen Sprache.

Auseinandersetzung auf dem Podium

Ganz typisch für die Solothurner Literaturtage sind die Podiums-Gesprächsrunden. Diese werden nicht nur für die Erwachsenenliteratur angeboten, sondern auch für die Jugend- und Kinderliteratur.

Dieses Jahr beschäftigten sich die Autoren Martin von Aesch, Jyoti Guptara und Franz Hohler mit dem Schreiben in Serie. Berühmte Beispiele finden sich etwa in der Harry Potter-Reihe als auch bei Enid Blytons «Fünf Freunde», die mit ihrem Hund in den Ferien spannende Abenteuer erleben.

Wahrscheinlich brauchen wir alle Figuren, die uns durchs Leben begleiten. Franz Hohler wurde vor allem von Kindern wiederholt aufgefordert, die «Tschipo»-Reihe fortzuführen.

Die Frage, wie man eine Figur anlegen muss, damit sie tauglich für verschiedene Folgen wird, konnte nicht eindeutig beantwortet werden. Hohlers Tschipo und von Aeschs Kuku entwickeln sich persönlich nicht stark, während Guptaras Hauptfigur eine grosse Entwicklung mitmacht, ausgebildet wird, sich verändert.

Ein Rezept für gelungene Serien-Helden scheint es also nicht zu geben. Für Hohler sind Serien Überbleibsel aus der «guten alten Zeit des Geschichten-Erzählens».

Etienne Strebel, swissinfo.ch, Solothurn

Zum 32. Mal steht das Auffahrtswochenende in Solothurn ganz im Zeichen der Literatur: Von Freitag bis am Sonntag finden 70 Veranstaltungen mit 92 Autorinnen und Autoren statt.

Ein Dichterwettstreit oder Neudeutsch Poetry Slam ist ein literarischer Vortragswettbewerb, in dem innerhalb einer bestimmten Zeit selbstgeschrieben Texte einem Publikum dargeboten werden. Bewertet werden der Inhalt der Texte und die Art des Vortrags.

Alles, was mit Stimme und Körper möglich ist, ist erlaubt. Zudem dürfen auf der Bühne zur Verfügung stgehende Gegenstände benutzt werden, wenn sie allen zur Verfügung stehen. Kostüme und Requisiten sind in der Regel verboten.

In Japan wird der Begriff Manga gleichberechtigt mit Comic für alle Arten von Comics verwendet.

Als Manga wurden im Westen zunächst nur Comics aus Japan bezeichnet. Heute wird der Begriff auch auf Comics aus anderen Ländern verwendet, welche sich am Stil japanischer Produktionen orientieren.

Mangas sind meist bildlastig und in schwarz-weiss ausgeführt. Besonders charakteristisch orientieren sie sich an der japanischen Leserichtung von rechts nach links und von hinten nach vorne.

In Japan und zunehmend auch in der westlichen Welt finden sich Manga-Untergruppen für verschiedenste Zielgruppen.

Da gibt es Kleinkind-Mangas aber auch Silver Mangas für Oma und Opa. Es gibt Mangas für verschiedene sexuelle Orientierungen oder für diverse Fachgebiete, wie z. B. japanische Geschichte.

Shojo-Mangas richten sich an Mädchen, Shonen-Mangas an Jungen, Josei-Mangas an Frauen und Seinen-Mangas an Männer. Oft sind die Übergänge fliessend.

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