Pro Helvetia baut Kulturbrücke nach Indien
Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia streckt ihre Fühler nach Asien aus. Nach dem ersten Jahr lässt sich im Verbindungsbüro in New Delhi eine erste Zwischenbilanz ziehen.
Der Kulturaustausch zwischen Indien und der Schweiz hat allerdings Tradition. Künstlerinnen und Künstler aus beiden Ländern haben vor rund zehn Jahren erste Netzwerke geknüpft.
Der Verkehrslärm, die Abgase, das Chaos aus Autos, Kühen, Elefanten und Menschen auf den Strassen der 17-Millionen-Metropole rücken plötzlich in den Hintergrund, wenn man ins wohltuend kühle und ruhige Büro der Pro Helvetia im Süden von New Delhi kommt.
«Herzlich Willkommen» grüsst Chandrika Grover in akzentfreiem Deutsch, das sie in Indien gelernt hat. Mit ihren beiden Mitarbeiterinnen Sangeeta Rana und Pooja Varma sucht und mietet die Leiterin des Verbindungsbüros für die Schweizer Gastkünstler geeignete Atelierwohnungen, vermittelt ihnen Kontakte zu indischen Kunstschaffenden und prüft Gesuche von indischen Künstlern für einen Aufenthalt in der Schweiz.
Zum schnell improvisierten Mittagessen kommt auch der indische Puppenspieler Varun Narain, der nach drei Monaten in der Schweiz gerade zurück in Delhi ist.
Er ist der erste indische Künstler, der von Pro Helvetia New Delhi aufgrund seines Gesuchs in die Schweiz eingeladen wurde. Mit Begeisterung und leichter Wehmut erinnert er sich an die Zeit im Schlachthaus Theater Bern, wo er zahlreiche Stücke sah und mit Schauspielern und Regisseuren diskutierte.
Spiel mit lebensgrossen Puppen
«In Indien ist das Puppenspiel sehr traditionell und ausschliesslich auf Kinder ausgerichtet. Zudem gibt es keine Ausbildung für diese Kunst, und die alten Puppenspieler geben ihre Ideen und Techniken kaum weiter», erklärt Varun Narain.
Dagegen habe er in der Schweiz gesehen, wie Puppenspieler mit Schauspielern zusammen arbeiten und experimentelle Darstellungsformen ausprobieren. «Das war neu und aufregend für mich und hat mich inspiriert.» Ein Puppenspiel im Kleezentrum Bern und ein Workshop in Basel hätten ihm starke Anregungen gegeben.
Jetzt zeigt er seine in der Schweiz weiterentwickelte und im Schlachthaus Theater aufgeführte Produktion «Dusk Pride Melodrama», ein sinnlich-exotisches Stück mit selbstgemachten, lebensgrossen Puppen für Erwachsene, in Indien. Zudem erarbeitet er gerade mit hundert Kindern in einer Schule eine Performance – aufgrund einer Musik, die er in Bern entdeckt hat.
«Kultur-Küche»
Das Büro von Pro Helvetia in Delhi ist kein Kulturzentrum mit Veranstaltungslokal, sondern eine Anlaufstelle für Schweizer Gastkünstler, Treffpunkt und umtriebige «Küche», in der die Fäden für den indisch-schweizerischen Kulturaustausch gezogen werden.
«Wir fabrizieren hier keinen Fastfood, sondern kochen für Gourmets», stellt Chandrika Grover klar. Es gehe nicht darum, möglichst viele Veranstaltungen zu präsentieren, sondern dauerhafte Netzwerke aufzubauen. «Das braucht Zeit, treibt dann aber die schönsten Blüten.»
Solides Fundament bauen
«Ursprünglich wollte ich viel mehr Projekte aus der Schweiz nach Indien bringen, merkte aber bald, dass wir zuerst ein solides Fundament, ein Beziehungsnetz schaffen müssen», sagt Chandrika Grover.
So wurde im ersten Jahr das Artist-in-Residence-Programm vorangetrieben, das die mehrmonatigen Aufenthalte von indischen Kunstschaffenden in der Schweiz und umgekehrt organisiert.
Dabei konnte die Kulturstiftung auf die Erfahrungen von schweizerischen und indischen Künstlerinnen und Künstlern zurückgreifen, die bereits vor rund zehn Jahren Beziehungen geknüpft und daraus später ein Austauschprogramm aufgebaut hatten.
Aarau und Bangalore
Unter ihnen ist der Schweizer Zeichner, Maler und Objektkünstler Christoph Storz: «Wir haben eine Art Pionierarbeit geleistet, denn damals gab es zwischen der Schweiz und Indien noch keinen Kulturaustausch mit Gast-Ateliers.» Er ist vor rund zehn Jahren wegen seiner Frau Sheela Gowdy, einer bekannten indischen Künstlerin, in die südindische Stadt Bangalore gekommen.
«In den ersten Jahren bin ich noch zwischen der Schweiz und Indien gependelt», erzählt er. In dieser Zeit habe er zusammen mit Wenzel A. Haller, dem Leiter des Gastateliers Krone in Aarau angefangen, Kunstschaffende aus Bangalore nach Aarau einzuladen.
«Die indischen Künstlerinnen und Künstler, die aus Aarau zurückkamen, entschieden sich dann, in Bangalore ein Gastatelier für ausländische, auch Schweizer Künstler einzurichten», sagt Storz.
Doch sei dieses von Künstlern für Künstler mit viel Enthusiasmus und freiwilliger Arbeit realisierte Projekt schliesslich aus Zeitmangel für die notwendige Organisationsarbeit und wegen der fortschreitenden künstlerischen Karrieren der Initianten zum Erliegen gekommen.
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Pro Helvetia
Von Künstlern für Künstler
Als schliesslich Pro Helvetia einen Fuss nach Indien setzte, fanden Christoph Storz und die Künstlergruppe aus Bangalore in der Schweizer Kulturstiftung eine engagierte Unterstützerin ihres Kulturaustauschprojekts. Ein Vertrag regelt nun die Künstleraufenthalte in der Atelierwohnung in Bangalore.
Während sechs Monaten im Jahr quartiert Pro Helvetia Künstler in Bangalore ein, die übrige Zeit steht es für die Gastkünstler der Gruppe um Christoph Storz zur Verfügung: «Als Künstler sind wir sehr gut vernetzt in der Kunstszene und geben diese Kontakte auch unseren Gästen weiter.»
swissinfo, Susanne Schanda, New Delhi
Pro Helvetia erhält alle vier Jahre einen Rahmenkredit vom Bund zugesprochen. Für 2008 bis 2012 sind dies 135 Mio. Franken.
2007 hatte die Kulturstiftung ein Gesamtbudget von 32 Mio. Fr. zur Verfügung.
Davon wurde 25 Mio. für Unterstützungsbeiträge und Programme eingesetzt, 14 Mio. (57%) im Ausland, 11 Mio. (43%) in der Schweiz.
Von den 58 Vollzeitstellen befinden sich 15 im Ausland.
Die Abteilung International unterhält in Paris, New York und Rom (mit Zweigstellen in Mailand und Venedig) Kulturzentren, die der Präsentation von Schweizer Kunst dienen.
Daneben gibt es in Warschau, Kairo, Kapstadt und New Delhi Verbindungsbüros mit ausschliesslich lokalem Personal, das für den Aufbau von Netzwerken und den Austausch von Kunstschaffenden verantwortlich ist.
Diese Büros haben jährlich rund 300’000 bis 400’000 Fr. zur Verfügung.
Für das Jubiläumsjahr 2008 zur Feier von 60 Jahren Freundschaftsabkommen zwischen Indien und der Schweiz erhält das Büro in New Delhi 500’000 Fr.
Neben Pro Helvetia ist seit dem März 2007 auch die Konferenz der Schweizer Städte für Kulturfragen (KSK) in Indien präsent. Sie unterhält in Varanasi am Ganges Ateliers und vergibt Stipendien.
Die Schweiz war das erste Land, das 1948 mit dem gerade unabhängig gewordenen Indien einen Freundschaftsvertrag abschloss.
Zum Auftakt der Jubiläumsfeierlichkeiten am 5. und 7. Januar 2008 gastiert die Schweizer Theatertruppe Plasma im Rahmen des internationalen Theaterfestivals Bharat Rang Mahotsav mit ihrer Produktion «Delirium» in Delhi und Mumbai.
Zahlreiche weitere Veranstaltungen in Kultur, Wissenschaft, Entwicklung, Bildung, Wirtschaft und Politik finden das ganze Jahr über in der Schweiz und Indien statt.
Da die Kunstszenen in Asien sich in den letzten Jahren stark entwickelt haben, will Pro Helvetia nach der Eröffnung des Verbindungsbüros in New Delhi als nächstes ihre Beziehungen zu China fördern.
Zwischen den beiden Grossanlässen Olympiade Beijing 2008 und Weltausstellung Schanghai 2010 wird ein Netz von Kulturveranstaltungen gehängt, das den Auftritt der Schweiz als Kulturnation zum Ziel hat.
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