Pussy Riot in der Schweiz: «Europa finanziert den Krieg in der Ukraine»
Sie singen seit Jahren gegen Putin an, nun protestieren sie auf den Bühnen Europas gegen den Krieg in der Ukraine. Ein Interview mit der feministischen Punkrock-Band Pussy Riot über die erwünschte Wirkung ihrer Auftritte in der Schweiz.
Die Band Pussy Riot wurde 2012 weltberühmt, nachdem ihr «Punk-Gebet» in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale viral gegangen war. Mit Sturmhauben auf dem Kopf forderten sie die Muttergottes auf, «Putin wegzujagen».
Nun touren sie durch Europa. SWI swissinfo.ch sprach mit den Bandmitgliedern Maria Aljochina und Olga Borisova während ihrer Tour, die sie auch in die Schweiz bringt.
swissinfo.ch: Warum haben Sie die neutrale Schweiz als Ort für Ihre Konzerte und politischen Auftritte gewählt?
Olga Borisova: Es geht uns nicht speziell um die Schweiz, wir treten in ganz Europa auf. Für uns ist es wichtig, unserem europäischen Publikum die Notwendigkeit eines konsequenten Embargos für russische Öl- und Gasimporte zu verdeutlichen – und die Heuchelei der Europäer:innen in dieser Frage zu unterstreichen.
Maria Aljochina gehört zur ursprünglichen Besetzung von Pussy Riot. Sie floh im Frühling 2022 über Weissrussland ins Ausland. Wegen Aufrufen zur Unterstützung von Alexej Nawalny war sie zu einem Jahr Hausarrest verurteilt worden. Im April wurde ihre Strafe in 21 Tage Straflager umgewandelt.
Olga Borisova, ist die Lektorin von Aljochinas Buches «Riot Days», in dem sie über die Vorbereitung des berühmten «Punk-Gebets» und über ihre Tage im Gefängnis berichtet.
Welche Heuchelei?
Olga Borisova: Wir hören viel über Pläne, russischen Bürger:innen keine Visas mehr auszustellen, während europäische Länder gleichzeitig weiterhin Öl und Gas aus Russland kaufen. Der Gewinn daraus ist riesig und macht einen Grossteil des russischen Haushalts aus. Dieses Geld wird dazu verwendet, Putins Regime an der Macht zu halten und diesen Krieg fortzusetzen: Europa und der Westen finanzieren den Krieg.
Maria Aljochina: Ohne Geld kein Krieg. Soldaten führen nicht ohne Sold Krieg, auch Unterdrückung kriegt man nicht umsonst.
Olga Borisova: Wir haben seit der Annexion der Krim 2014 Sanktionen und ein Embargo gefordert, und seit damals haben wir immer wieder betont, dass es nicht nur um die Krim oder Teile von Donezk oder Luhansk geht. Das alles ist ein Versuch, die Leiche des Sowjetimperiums wieder zum Leben zu erwecken – und das muss gestoppt werden.
Mittlerweile hat sich auch die Schweiz den EU-Sanktionen gegen Moskau angeschlossen.
Olga Borisova: Ja, ich habe gehört, dass die Schweiz ihre Neutralität, wie ihr es nennt, überdacht hat. Aber die Schweiz ist immer noch das Lieblingsland der russischen Oligarch:innen, sie bewahren in den Schweizer Banken gerne das Geld auf, das sie den russischen Bürger:innen durch Steuerhinterziehung gestohlen haben, und schicken ihre Kinder dorthin zum Studieren.
Man könnte also noch viel mehr tun: Man könnte den Oligarchen ihre Aufenthaltsbewilligungen entziehen und ihre Vermögenswerte einfrieren. Man könnte spezialisierte Organisationen auf ihrer Suche nach russischen Konten auf Schweizer Banken unterstützen.
Wenn Sie das Publikum dazu aufrufen, «Fuck Putin» zu rufen, versteht dann die Schweizer Öffentlichkeit, was in Russland wirklich vor sich geht?
Olga Borisova: Die Schweizer:innen haben einen hohen Lebensstandard, sie haben seit mehreren Generationen keine Kriege mehr gesehen, daher ist das Verständnisproblem, das Sie erwähnen, real. Ich denke, «Fuck Putin» ist ein ziemlich akzeptabler Slogan für dieses Publikum, das die Situation zumindest auf der Ebene von «Putin ist schlecht» versteht.
Aber kaum reden wir über die Unterstützung der Ukraine, sind die Leute zurückhaltender, weil sie immer noch an dieser pazifistischen Tradition festhalten. Auch ich war bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 eine überzeugte Pazifistin.
Aber heute sehen wir Millionen Ukrainer:innen auf der Flucht, wir sehen die Nachrichten über die Gefangenen des Asow-Regiments, die praktisch bei lebendigem Leib verbrannt wurden, wir haben Butscha und Mariupol gesehen. Darüber weiss das Schweizer Publikum zu wenig. Es ist unsere Aufgabe, dass sie diese Ereignisse besser verstehen.
Wie würden Sie Ihre Kunst beschreiben?
Maria Aljochina: Es ist russische Protest-Kunst. Als politische Künstler:innen haben wir als Reaktion auf die Ereignisse ein Lied gegen den Krieg aufgenommen, das auf allen Konzerten dieser Tournee zu hören ist. Das ist unsere Botschaft, unsere Reaktion auf diesen von Putin angezettelten Krieg.
Olga Borisova: Im Idealfall versteht auch ein Schweizer Publikum, das an ein komfortables Leben gewöhnt ist, unsere Kunst – und dass Putins Regime nicht nur ein Problem für Russland und die Ukraine, sondern die ganze Welt ist.
Wenn Sie in diesem Interview nur zwei Zeilen aus Ihrem Anti-Kriegs-Song zitieren müssten, welche würden Sie wählen?
Olga Borisova: Es gibt zwei, die grossartig sind und die gerade nacheinander kommen: «Putin mag es, wenn ihr gleichgültig seid; der Westen liefert ihm seit zehn Jahren Waffen.»
Unsere Hauptbotschaft ist, auch wenn es etwas pathetisch klingt: «Seid nicht gleichgültig!» Das Ziel ist, dass unser Publikum Druck auf ihre Politiker:innen ausübt, stärker gegen Russland vorzugehen.
Was sind Ihre Pläne für die Zeit danach, wenn die Tournee vorbei ist? Wenn Sie nicht geflüchtet wären, wären Sie, Maria Aljochina, im Gefängnis gelandet.
Maria Aljochina: Ich bin schon dutzende Male verhaftet worden, jetzt hatte ich noch 21 Tage mit Fussfessel. Ich denke, das ist heute nicht das Hauptthema. Ich bin geflohen, damit unsere Botschaft gehört wird. Und ich möchte lieber über diese Botschaft sprechen als über meine Person.
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