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Rat der Religionen setzt auf Integration

Keystone

Der Schweizerische Rat der Religionen hat sich zum ersten Mal seit der Gründung zu einer politischen Vorlage, zur Minarett-Initiative, geäussert. Mit Verweis auf die Religionsfreiheit lehnt der Rat die Initiative ab. Markus Sahli, der Ratssekretär, erklärt warum.

swissinfo.ch: Das Hauptargument , mit dem der Rat der Religionen die Initiative ablehnt, ist die Religionsfreiheit. Was versteht denn der Rat der Religionen unter «Religionsfreiheit»?

Markus Sahli: Religionsfreiheit ist ein universales Menschenrecht. Jeder Mensch hat das Recht, seine Religion frei, sichtbar und in Gemeinschaft zu leben. In unserer Gesellschaft wird Religionsfreiheit oft als ‹Freiheit von der Religion weg zu gehen› vestanden, zum Beispiel, einer Religionsgemeinschaft nicht anzugehören.

Der positive Aspekt ist auch wichtig: die ‹Freiheit zur oder für Religion›. Selbstverständlich hat die Religionsfreiheit auch ihre Grenzen. Diese sind da erreicht, wo die Menschenrechte tangiert sind, wo Gesetz und Verfassung angetastet werden und wo die öffentliche Ordnung berührt wird.

swissinfo.ch: Was bedeutet diese Auslegung von Religionsfreiheit beispielsweise in Bezug auf die Kopftuch-Frage?

M.S.: Gerade die Kopftuch-Frage ist eine sehr schwierige Frage. Der Rat ist zur Überzeugung gelangt, dass man diese Frage nicht generell beanworten kann. Man muss sie immer von Fall zu Fall beantworten. Ein aktuelles Beispiel ist die Basketballspielerin in Luzern, die aufgrund des Verbots von Kopftüchern in der Liga, in der sie spielen wollte, nicht mehr spielen kann. Da stellt sich die Frage: Was bedeutet Religionsfreiheit im Sport? Der Rat der Religionen ist der Auffassung, dass das Recht des Einzelnen, seiner religiösen Überzeugung Ausdruck zu geben, auch im öffentlichen Leben zu schützen ist. Man kann darüber diskutieren, ob dieses Recht bereits in einem Sportclub eingeschränkt werden soll.

Der Rat der Religonen ist davon überzeugt, dass der religiöse Friede nur dann gewährleistet werden kann, wenn der Staat religionsneutral ist, wenn er kein eigenes religiöses Bekenntnis hat. Deshalb ist klar, dass die Religionsfreiheit eingeschränkt werden darf, zum Beispiel wenn ein Gläubiger im Dienste des Staates steht. Der Rat versteht, dass man die individuellen Rechte beispielsweise bei Lehrkräften an staatlichen Schulen einschränkt. Nur so kann wirklich gezeigt werden , dass die Lehrperson den Staat vertritt.

swissinfo.ch: Was heisst das für die Schüler und Schülerinnen?

M.S.:In der Schweiz ist es so, dass die religiöse Mündigkeit mit 16 Jahren beginnt. Bis dahin sind die Eltern auch für die religiöse Erziehung ihrer Kinder verantwortlich. Ich erachte es als legitim, wenn Eltern ihren Kindern die Tradition, die sie selber pflegen, auch weitergeben.

swissinfo.ch: In seiner Medienmitteilung hat der Rat der Religionen Verständnis geäussert für die Ängste der Bevölkerung gegenüber dem Fundamentalismus. Was schlägt der Rat vor, um dem Fundamentalismus zu begegnen?

M.S.: Wir sind der Meinung, dass gerade die Minarett-Initiative den Fundamentalismus fördert. Sobald man religiöse Fragen politisch instrumentalisiert, reisst das Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen auf. Der Rat der Religionen setzt auf das Gegenteil, auf die Integration.

swissinfo.ch: Was meint er konkret damit?

M.S.: Fundamentalismen aller Art –jüdische, christliche, islamische- müssen bekämpft werden , weil der Fundamentalismus die Menschenrechte missachtet. Er setzt sich selber absolut. Konkret heisst das – auf die Situation des Islam in der Schweiz bezogen – dass der Islam in würdigen Gotteshäusern und nicht in den Hinterhöfen gelebt werden soll und dass Imame eine den westlichen Standards entsprechende Ausbildung haben sollen. Wichtig ist auch der interreligiöse Dialog. Bildung und Integration sind die besten Mittel gegen den Fundamentalismus.

swissinfo.ch: Ist es in einer liberalen-säkularen Gesellschaft wie der Schweiz überhaupt wünschenswert, dass sich religiöse Gemeinschaften zu gesetzgeberischen Fragen äussern? Sollte man Religion und Staat nicht strikte trennen?

M.S.: Gerade in der liberalen-säkularen Gesellschaft braucht es die Stimme der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es braucht Institutionen, die sich in ihrem Kerngeschäft der Sinn- und Wertefrage widmen. Wir brauchen gemeinsame Werte, wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren wollen.

swissinfo.ch: Gerade in diesen Wertefragen gibt es aber auch Widersprüche und Unvereinbarkeiten zwischen der Verfassung und religiösen Ordnungen. Beispielsweise, wenn man an die in der Verfassung verankerte Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen denkt, die in manchen religiösen Ordnungen nicht respektiert wird.

M.S.: Ja, es gibt es diese Widersprüche. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Verfassung und Gesetz gelten für alle Menschen unabhängig von ihrer Religion. So hat jeder Mensch das Recht, aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten, die nach seiner Auffassung z.B. die Gleichstellung zwischen Mann und Frau nicht umsetzt.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

Markus Sahli ist reformierter Pfarrer. Zur Zeit arbeitet er als persönlicher Mitarbeiter von Thomas Wipf, dem Präsidenten des Schweizerischen Rats der Religionen und als Sekretär des Schweizerischen Rats der Religionen. Er ist 50 Jahre alt und verheiratet.

Auf dem Hintergrund der vielfältigen religiösen Landschaft in der Schweiz wurde am 15. Mai 2006 der Schweizerische Rat der Religionen (SCR) gegründet. Initiiert wurde diese Plattform von Pfarrer Thomas Wipf, Präsident des Rates SEK und erstem Vorsitzenden des SCR. Mehr miteinander statt übereinander zu reden, ist das erklärte Ziel des Rates.

«Wie können Menschen miteinander leben, die ganz unterschiedliche Dinge für wahr und richtig halten? Diese Frage beschäftigt viele Menschen in der Schweiz. Ausserdem besteht im internationalen Kontext zurzeit die Gefahr, dass Religion zur Begründung von Machtansprüchen und zur Legitimation von Gewalt und Krieg missbraucht wird», schreibt der Rat auf seiner Homepage.

Der Rat setzt sich aus den leitenden Persönlichkeiten der drei Landeskirchen, der jüdischen Gemeinschaft und islamischer Organisationen zusammen, die von ihren jeweiligen Leitungsgremien mandatiert wurden. Einen Beitrag zum Erhalt des religiösen Friedens in der Schweiz zu leisten, Verständigung und Vertrauensbildung zwischen den Verantwortlichen der Religionsgemeinschaften zu fördern, sind einige der Ziele dieser Dialogplattform. Der SCR soll auch Ansprechpartner für die Bundesbehörden sein.

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