Roland Béguelin, Seele des jurassischen Kampfes
Zur Erinnerung an diese untypische Persönlichkeit der Schweizer Politik hat sich swissinfo mit Denise Béguelin getroffen.
Ohne Roland Béguelin – geliebt von seinen Anhängern, gehasst von seinen Gegnern – gäbe es den Kanton Jura vielleicht noch heute nicht.
Unweit vom Bahnhof Delsberg, ein einfaches Haus mit einem kleinen Garten. Es gehörte ursprünglich dem Kunstmaler Paul Bovée. 1962 kaufte es Roland Béguelin, 1982 zog Denise Béguelin hier ein.
Bevor sie den Generalsekretär des Rassemblement jurassien (RJ) heiratete, war Denise Schmid eine echte Kämpferin, die sich schon sehr früh als Aktivistin mit der damaligen jurassischen Jugend einsetzte, namentlich der Gruppe ‹Bélier›. «Ich nahm praktisch an allen Aktivitäten teil», meint sie lächelnd.
swissinfo: Ihr erstes Treffen mit Roland Béguelin war wahrscheinlich zunächst ein Treffen mit dem Politiker.
Denise Béguelin: Ja, ich traf ihn zum ersten Mal bei einer Demonstration in Les Rangiers. Ich war überwältigt von seinem Charisma. Ich muss zugeben, er war unser Idol, das Idol aller Jungen der Bewegung. Ich arbeitete dann lange mit ihm zusammen. Ich begleitete ihn in seinem Kampf, es war eine aufregende Zeit. In einem solchen Kontext ist die Arbeit der Sekretärin etwas ganz Besonderes. Und dann wurden die Bindungen langsam enger.
swissinfo: Am 23. Juni 1974 sagte das jurassische Stimmvolk «Ja» zur Schaffung eines Kantons Jura. Wie erlebten Sie und Roland Béguelin diesen berühmten Tag?
D.B.: Wir waren ziemlich erschöpft. In den vorangegangenen Monaten hatten wir sehr viel Arbeit. Wir hatten eine Menge Briefe geschrieben, hatten uns mit vielen Leuten getroffen, die Unentschiedenen mussten umgestimmt werden.
Am Tag selber, als jemand den Champagner öffnen wollte, sagte Roland: «Nein, ich will nicht, dass wir irgendetwas tun, bevor wir die definitiven Resultate haben.» Doch als dann die Resultate von Pruntrut eingingen, konnten wir feiern. Es war eine unbändige Freude: Wir konnten es kaum fassen. Wir gingen auf die Strasse, die Leute tanzten, weinten, die Autos fuhren mit wehenden Fahnen herum.Es war schön, bewegend.
swissinfo: 52% Ja, das war ein Sieg. Aber auch eine halbe Niederlage, weil damit die Aufspaltung des Jura unabwendbar war.
D.B.: Wir waren voller Freude. Aber wir dachten auch an das, was folgte, weil es diesen Verfassungszusatz gab, der die Möglichkeit von Unterabstimmungen vorsah, was es in keinem anderen Land gibt.
swissinfo: Unterabstimmungen, dank denen sich die südlichen Kantonsbezirke Bern anschliessen konnten … Aber hatte Béguelin den Südjura nicht bereits abgeschrieben?
D.B.: Nein. Er hatte gesagt, wenn es dazu komme, bekäme der Jura Hebelwirkung. Seiner Meinung nach ging es nie darum, den Südjura aufzugeben. Am Anfang wollte Roland übrigens Nein stimmen oder die Abstimmung sabotieren. Eben genau wegen dieser möglichen Aufspaltung. Doch dann wurde in den Sektionen des RJ eine Umfrage gemacht. Und es zeigte sich, dass sie dafür stimmen wollten. Und Roland fügte sich … auch das machte er hie und da! (Lacht)
swissinfo: Er selber wurde im Südjura, in Tramelan, geboren. Wie erlebte er den Hass, auf den er in seiner Heimatregion stiess?
D.B.: Er liess sich vom Hass der anderen nicht beirren. Er sprach immer von «Gegnern“, nicht von Feinden. Wenn die Bewegung eine Schlacht gewann, die anderen sie verloren, sagte er auch immer: «Das ist kein Grund, stolz zu sein.“ Er wollte den Gegner nicht erschlagen.
swissinfo: Die Aussagen und der Weg Béguelins waren charakterisiert von seiner Leidenschaft für die französische Sprache und Kultur.
D.B.: Ich glaube, für Roland war der jurassische Kampf vor allem ein Sprachenkampf. Er liebte die Sprache, schrieb Gedichte, Novellen. Er war Literat. Eigentlich setzte er sich für die Jurafrage ein, weil er sich sagte: «Wozu schreiben, wenn man im Jura in ein paar Dutzend Jahren Deutsch spricht?»
swissinfo: Wegen dieser Leidenschaft für das Französische entwickelte er eine Rhetorik gegen die Deutschschweiz, die geradezu «ethnisch» anmutet. 2004 scheint das ein wenig beschämend .
D.B.: Es gibt verschiedene Interpretationen des Begriffs Ethnie. Er hatte keine Probleme damit, denn für ihn gab es eine ganz klare Definition. Übrigens hatte er die «Konferenz der ethnischen Minderheiten französischer Sprache» gegründet.
swissinfo: Der Begriff «Kampfstaat» hat im Kanton Jura seine Kraft verloren. Wie ging ein Mann wie Béguelin, der alles bis zum Schluss durchziehen wollte, mit diesen Veränderungen um?
D.B.: Er hätte es gerne gesehen, wenn der Kanton Jura ein Kampfstaat geblieben wäre. Aber er wusste auch, wie die Menschen sind. Und dass die jurassischen Minister nun gewissen Zwängen unterworfen waren.
swissinfo: In «La Question jurassienne» schreibt Alain Pichard: «Roland Béguelin ist Theoretiker, Propagandist und Stratege des Rassemblement in einem, trotz seiner gallischen Geringschätzung für die Massen und die Parteien.» Sehen Sie dies auch so?
D.B.: Den ersten Teil, ja. Auch was die Parteien angeht. Obwohl er Mitglied der sozialdemokratischen Partei war, weil er etwas tun wollte, statt den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen.
Was die Massen angeht, nein. Er war zwar kein Mann der Massen: Er war Protestant, Einzelgänger. Er musste sich zwingen, sich unter die Menge zu mischen. Aber das war keine Geringschätzung. Seine Schüchternheit war echt, er musste sie aber im Rahmen der Jurafrage bekämpfen!
swissinfo: Rückblickend hat man manchmal das Gefühl, es habe einen Unterschied zwischen dem Zweck von Béguelins Kampf und der charismatischen Dimension des Mannes gegeben. Ging es bei seinem Kampf nicht um mehr als nur um die Jurafrage?
D.B.: Das erinnert mich an meine französischen Freunde, die sagten, Roland sei der «Riese des Zwischengeschosses». Sie meinten damit, dass er zu gross sei für eine kleine Region. Er hätte auch andernorts etwas bewegt.
swissinfo: Gehörten nicht Napoleon und De Gaulle zu seinen Vorbildern?
D.B.: Ja, auf jeden Fall. Er hatte übrigens ein Porträt von Bonaparte in seinem Büro!
swissinfo, Bernard Léchot in Delsberg
(Übersetzung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Roland Béguelin kommt 1921 in Tramelan (Südjura oder Berner Jura) auf die Welt.
Von 1979 bis 1990 ist er sozialdemokratischer Abgeordneter im jurassischen Kantonsparlament und dessen erster Präsident.
Béguelin stirbt im September 1993.
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