Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Joël Dicker – Die grosse Lust am eigenen Verlag

Autor mit Fans
Der Bestsellerautor Joël Dicker hat gerade seinen sechsten Roman, "Der Fall Alaska Sanders", veröffentlicht, den er selbst herausgibt. © Keystone / Martial Trezzini

Der Westschweizer Bestsellerautor Joël Dicker feiert seit zehn Jahren international grosse Erfolge. Nun hat er beschlossen, in Genf seinen eigenen Verlag zu gründen. Andere Schriftsteller:innen setzen auf die kostengünstigeren und boomenden Selbstverlage mit Online-Publikationen.

In Literaturkreisen gilt Joël Dicker oft als zu volksnah und nicht raffiniert genug, um sich einen Platz in der Liste der grossen Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu erobern. Unbestritten sind jedoch sein Geschäftssinn und Unternehmergeist.

Der Genfer Schriftsteller gehört zu den zehn meistgelesenen Autoren und Autorinnen im französischsprachigen Raum und ist darüber hinaus auch ausserhalb Europas bekannt. Das sichert ihm dank der Übersetzung seiner Bücher in 40 Sprachen ein schönes Einkommen.

Dicker hat weltweit fast zwölf Millionen Bücher verkauft. Sein Bestseller «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert» wird in Frankreich für gut 20 Euro (22 Franken) verkauft. Die Kommission an den Autoren auf den Verkaufspreis beträgt zirka zehn Prozent. Sein Verdienst lässt sich somit schnell berechnen.

Der 36-jährige Genfer ist also gut betucht. Sein Vermögen hat es ihm ermöglicht, in Genf im Februar dieses Jahres seinen eigenen Verlag, Rosie & Wolfe, zu gründen. Mit dem Erscheinen seines sechsten Romans «Der Fall Alaska Sanders» ist der Verlag am 10. März an die Öffentlichkeit getreten.

Das Schema eines Thrillers

Unter seinem eigenen Label wird der Schriftsteller auch seine fünf früheren Romane neu herausgeben. Bisher sind seine Werke im Pariser Verlag von Bernard de Fallois erschienen. Der 2018 verstorbene Verleger hatte massgeblichen Anteil am internationalen Erfolg von Joël Dicker.

Doch nun hat der bekannte Autor das Pariser Verlagshaus verlassen, um seine Bücher unter die Fittiche seines eigenen Verlags in Genf zu nehmen. Ab sofort liegen alle Autorenrechte bei ihm selbst.

Dicker wird sich jedoch nicht damit begnügen, seine eigenen Werke zu veröffentlichen. Er will auch andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller verlegen, wie er in einem Video im Internet ankündigte.

Ein Interesse für wirtschaftliche Aktivitäten und Handel findet sich bei Dicker sowohl in seinem eigenen Leben als auch in seinen erfundenen Geschichten.

«Der Fall Alaska Sanders» folgt dem Schema eines Thrillers, an das der Autor seine Leser gewöhnt hat: Mord, polizeiliche Ermittlungen, Lösung des Falls, eine unerwartete Wendung, etc. Nach diesem Schema lief es auch in «Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert», dem ersten Teil einer Trilogie, die mit «Der Fall Alaska Sanders» den Abschluss findet.

Dicker ist der erste Schweizer Literaturstar, der seinen eigenen Verlag gründet. «Sein Fall ist in unserem Land einzigartig», sagt Tanja Messerli vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV).

«In der Vergangenheit gab es einige Versuche mit Selbstverlagen, die nicht wirklich erfolgreich waren, beispielsweise vor 30 Jahren bei der damals unbekannten deutschsprachigen Schriftstellerin Milena Moser. Ihre Freunde halfen ihr damals, ihren eigenen Verlag, den Krösus Verlag, zu gründen, da sie für ihr erstes Manuskript keinen Verleger finden konnte. Heute werden ihre Bücher beim Zürcher Verlag Kein & Aber veröffentlicht, und ihr Bekanntheitsgrad ist hoch.»

Joël Dicker
©olivier Dion/lh/opale.photo

Die Gründung eines eigenen Verlags ist kein leichtes Unterfangen. «Es sind sehr hohe Anfangsinvestitionen nötig,», sagt Messerli. «Ein Lektorat muss bezahlt, ein Büro angemietet werden, dann braucht es Werbe- und Vertriebsfirmen.»

Das ist der Grund, warum einige Autorinnen und Autoren eine einfachere Variante wählen, indem sie die Texte einfach selbst ins Internet stellen, dank dem so genannten Online-Publishing. So lassen sich teure Zwischenhändler umgehen. Dieses Vorgehen birgt allerdings das Risiko, dass bekannte Verleger die Publikationen überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.

«Fifty Shades of Grey» als Ausnahme

«In der Westschweiz gibt es viele Selbstpublikationen im Internet, aber sie sind kaum sichtbar und schaffen es nicht, Aufmerksamkeit zu erregen», sagt Caroline Coutau, Direktorin des Zoé-Verlags in Genf.

Es gibt jedoch auch Ausnahmen ausserhalb der Schweizer Grenzen. Tanja Messerli nennt das Beispiel der britischen Autorin E.L. James, die den berühmten Erotikroman «Fifty Shades of Grey» («Heimliches Verlangen») schrieb.

Am Anfang gab es das Werk nur auf einem Blog von E.L. James. Dort veröffentlichte sie ihren schlecht geschriebenen Roman, bevor sie ihn auf die Website «The Writer’s Coffee Shop» stellte.

Ein amerikanischer Verlag, Vintage Books, wurde auf den Roman aufmerksam, überarbeitete ihn und veröffentlichte ihn 2012 in gedruckter Form. Die Fortsetzung ist bekannt – das Buch wurde zu einem Weltbestseller und wurde von Hollywood verfilmt.

Ein weiteres Beispiel ist Agnès Martin-Lugand, eine französische Autorin, die nicht so berühmt ist wie E.L. James, aber genauso viel Glück hatte. Sie veröffentlichte ihren ersten Roman auf der Kindle-Plattform von Amazon und wurde dann vom Pariser Verleger Michel Lafon entdeckt und übernommen.

Ist das Buch ein Geschäft?

«Alle Verlage haben ein Finanzmodell, das auf den Verkauf von grossen Mengen von Büchern ausgerichtet ist. Es gibt also keinen Grund, warum ein Selbstverlag nicht auch dieses Ziel verfolgen sollte, vor allem wenn der Initiant über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt und Joël Dicker heisst», sagt Olivier Babel von der Branchenvereinigung Livresuisse.

Olivier Bessard-Banquy, Professor an der Universität Bordeaux und ein Spezialist für die Buchbranche, meint: «Alles hängt von der Kultur ab, die sich natürlich von Land zu Land unterscheidet. Im französischsprachigen Raum ist das Buch noch immer ein Teil der intellektuellen und sogar emotionalen Lebenswelt, während es im angelsächsischen Raum ein Geschäft ist, das durch Literaturagenten erleichtert wird.»

Anders gesagt: Viele Stars schreiben, um zu verkaufen, und nicht, um ein literarisches Werk zu schaffen. Guillaume Musso, ein französischer Bestsellerautor wie Joël Dicker, ist in diese Kategorie von Autoren einzuordnen. Er kreiert Millionenumsätze. Gefährden solche Autoren folglich die traditionellen Verlegerinnen und Verleger, wenn sie diese verlassen und in einem eigenen Verlag publizieren?

Traditionelle Verlage bleiben

Bessard-Banquy antwortet auf diese Frage: «Wenn ein Starautor oder eine Starautorin einen Verlag verlässt, kann dieser Verlag in der Tat stark geschwächt werden, finanziell, aber auch in Bezug auf sein Image. Denn es bringt natürlich keinen Ruhm, wenn berühmte Autorinnen oder Autoren ihren bisherigen Verlagen den Rücken kehren.» Der Pariser Verleger Bernard de Fallois hat nach dem Ausstieg seiner Stars Joël Dicker jedenfalls dicht gemacht.

Hat das traditionelle Verlagswesen überhaupt noch eine Zukunft? Bessard-Banquy antwortet unmissverständlich. «Es wird immer wieder Versuche für Selbstverlage geben, die häufig ein wenig selbstgebastelt daherkommen. Schon Restif de La Bretonne (1734-1806) und Honoré de Balzac (1799-1850) haben sich in Frankreich daran versucht. Die Entwicklung der digitalen Medien wird jedoch nicht dazu führen, dass die traditionellen Verlage verschwinden.»

(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)

(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft