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Wer ist Frieda Hauswirth? Eine Spurensuche

Eine Frau sitzt an einem Tisch mit Büchern und hält ein Blatt in den Händen.
Claire Blaser stiess im Sommer 2017 in der Uni-Bibliothek in London zufällig auf Frieda Hauswirth aus Gstaad im Berner Oberland und wollte mehr über diese Frau erfahren. Bild: Christine Blaser

Als die eine 88-jährig starb, war die andere noch nicht einmal geboren. Und doch haben die beiden Schweizerinnen etwas gemeinsam: das Interesse an Indien. Masterabsolventin Claire Louise Blaser auf den Spuren der heute weitgehend vergessenen Schriftstellerin, Malerin und Anti-Kolonialistin Frieda Hauswirth.

Claire Louise Blaser

1992: Geboren in Bern

Sept. 2012 –Juli 2016 Universität Lausanne: Bachelor in südasiatischen Sprachen und Kulturen

Sept. 2016 – Sept. 2018 School of Oriental and African Studies (SOAS), Universität London

Aug. 2017 – Dez. 2017 als Deutschlehrerin in New Delhi, Indien

2018: Masterarbeit in «Religion in Global Politics» zum Thema «Solidarität und Säkularität in der Kolonialzeit: eine Inszenierung von Frieda Hauswirths antikolonialem Feminismus»

Ab Februar 2019: Halbjähriges Praktikum in der Schweizer Botschaft in Islamabad, Pakistan

«Sie war eine mutige, eigenwillige, kreative und   intellektuelle Frau, die gegen alle Konventionen ihrer Zeit verstiess», sagt Claire Blaser. Die junge Bernerin stiess im Sommer 2017 in der Uni-Bibliothek in London zufällig auf das Buch «Colonial Switzerland» und dort auf einen Artikel über die Schweiz als Schauplatz der indischen anti-kolonialistischen Bewegung anfangs 20. Jahrhundert. Erwähnt wurde darin auch Frieda Hauswirth aus Gstaad im Berner Oberland. Blaser wollte mehr über diese Frau erfahren – aber da war nichts. So begann sie, öffentliche Register und Archive zu durchforsten.

Die Saanerin im kolonialen Indien liess sie nicht mehr los. Schnell war klar: «Das ist das Thema meiner Masterarbeit in ‹Religion in Global Politics›.» Um mehr über Hauswirths Familie und Nachkommen zu erfahren, reiste die Studentin von London ins Saanenland, hörte sich auf der Strasse und in Dorfkneipen um und verteilte Flugblätter mit der Frage: «Wer weiss etwas über Frieda Hauswirth?»

Doch kaum jemandem war die abenteuerliche Auswanderin ein Begriff. Dank dem Tipp eines Einheimischen kam sie schliesslich in Kontakt mit zwei Grossneffen der illustren Saanerin. Die konnten sich noch erinnern, dass «ihre Grosstante ab und zu von weither auf Besuch gekommen war». Im Alten Archiv Saanen fand Claire Blaser Artikel, Briefe, Bücher, Skizzen und Zeichnungen, im Museum Landschaft Saanen Ölgemälde.

Auf und davon

Frieda Hauswirth wurde 1886 als zweitjüngstes von zehn Kindern in eine Bauernfamilie geboren. Im Dorf stiess sie «mit ihrer widerspenstigen Art auf Widerstand, galt als schräg, eckte an», erzählt Blaser. «Frieda sehnte sich nach Bildung, wollte studieren, die weite Welt sehen und kein ‹Hausfrauenleben› führen, wie es für eine junge Frau damals üblich, war.»

Ein altes Familienphoto in schwarz-weiss.
Familie Hauswirth, links vorne sitzt Frieda. Quelle: Altes Archiv Gemeinde Saanen

21-jährig traf sie mit nur gerade 2 Dollar 50 in Stanford, USA, ein, studierte Englisch und hielt sich mit diversen Jobs über Wasser. Sie trat einer okkulten spirituellen Sekte bei, heiratete einen Amerikaner, liess sich wenige Jahre später scheiden und heiratete erneut: den indischen Agronomen und Chemiker Sarangadhar Das, der einer oberen Kaste angehörte. 1920 zogen die beiden nach Indien.

Kritische Beobachterin

Auch wenn Frieda Hauswirth viele Freunde unter Künstlern und Nationalisten hatte, so gestaltete sich das Leben für das interkulturelle Paar im Indien der Kolonialzeit doch als schwierig. Oft wohnten die beiden getrennt. Die Saanerin entschied sich bewusst gegen Kinder, weil «Kinder aus Mischehen in Indien sowohl von Indern wie Europäern mit Argwohn und Abneigung angesehen werden», wie sie in einem ihrer Bücher schrieb.

Bild einer Zeichnung (Aquarell) mit Menschen von hinten.
Aquarell «Frauen»: Für Frieda Hauswirth war das Malen ein Mittel, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Quelle: Altes Archiv Gemeinde Saanen

Frieda Hauswirth engagierte sich für Frauenrechte, hinterfragte den westlichen Imperialismus, die christlichen Missionare, aber auch gewisse hinduistische Bräuche, das indische Kastensystem und die männliche Dominanz im Land.

«Sie war sehr reflektiert, relativierte die westliche Perspektive, hatte ein starkes Bewusstsein der herrschenden Machtverhältnisse in Bezug auf Frauen, aber auch auf die Kolonialherrschaft», sagt Blaser. «Sie stand den Indern näher als den Briten, war als Westlerin aber eine Aussenseiterin.»

Frieda Hauswirth malte und zeichnete auch, für sie war dies ein Mittel, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Mit einer Kohlezeichnung von Mahatma Gandhi am Spinnrad schuf sie 1927 eines der ersten Porträts des indischen Unabhängigkeitskämpfers überhaupt.

Eine Zeichnung von einem Mann der am Boden sitzt, vor ihm steht ein Spinnrad.
Mahatma Gandhi: Frieda Hauswirth schuf 1927 eines der ersten Porträts des indischen Unabhängigkeitskämpfers. Quelle: «A Marriage to India»

Nach neun Jahren verliess sie Indien, ernüchtert. Als weisse Frau empfand sie sich als Bürde für ihren Gatten. Sie zog in ein Künstlerviertel in Brooklyn, New York City, kehrte aber immer wieder nach Indien zurück. Ihr Mann, ein sozialistischer Politiker, wirkte an der Verfassung des unabhängigen Indiens mit.

Erfolgreiche Autorin

1930 kam in den USA Frieda Hauswirths erstes Buch heraus. «A Marriage to India» ist eine Autobiografie und dreht sich um ihre Erfahrungen und den Alltag in Indien.  Zwei Jahre später folgte das Sachbuch «Purdah» über den Status der indischen Frauen. «Frieda richtet sich in ihren Büchern direkt an ein westliches Publikum. Sie wollte mit rassistisch-imperialistischen Bildern über das unzivilisierte Indien ebenso aufräumen wie mit den romantischen Vorstellungen, dass dort alles friedlich und spirituell sei», betont Claire Blaser.

Frieda Hauswirths Bücher, alle auf Englisch geschrieben, wurden ein Erfolg und in diverse Sprachen übersetzt (Deutsch, Holländisch, Schwedisch, Lettisch, Tschechisch, Ungarisch). «In der Schweiz», so die Masterabsolventin, «hatten ihre Autobiographie und ‹Purdah› bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts grossen Einfluss auf das Indienbild der Schweiz – es waren fast schon Standardwerk». Es folgten fünf weitere Werke, darunter «Hanuman», eine Erzählung über die heiligen Affen. Noch heute sind ihre Bücher in vielen Schweizer Bibliotheken zu finden.

Frieda Hauswirth starb 1974 in Kalifornien. Ihr Nachlass wurde 1991 von einer amerikanischen Freundin nach Saanen überführt – in ihre Heimat, dorthin, wo sich kaum mehr jemand an sie erinnert.

Frieda Mathilda Hauswirth

1886: Geboren in Gstaad, Gemeinde Saanen

1907: Reise in die USA, Englisch-Studium in Stanford

1910: Heirat mit Arthur Lee Munger

1915: Scheidung

1917: Heirat mit Sarangadhar Das

1920-1929: Aufenthalt in Indien

1929: Rückkehr in die USA

1938: Scheidung

1974: gestorben in Davis, Kalifornien

Hauswirth kehrte immer wieder nach Indien zurück, lebte aber – nebst den USA – auch in der Schweiz, Italien, Grossbritannien und Mexiko.

Sie gab Ausstellungen in New York, Boston, San Francisco, Paris, London, Bangalore.

Ein Teil ihrer Bücher wurde zwischen 2000 und 2008 in Indien und Grossbritannien neu verlegt.

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