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Schul-Harmonisierung auf dem Prüfstein

Harmos bringt allen Schülern einen gedeckten Mittagstisch. Keystone

Die Kantone befinden momentan über die Harmonisierung der obligatorischen Schulsysteme. Der politischen Rechten ist vor allem die obligatorische Einschulung der Kinder mit vier Jahren ein Dorn im Auge.

Die Erziehungsdirektoren der Kantone waren sich im letzten Juni einig: Einstimmig votierten sie für Harmos, die Harmonisierung der obligatorischen Schulsysteme. Einheitliche Standards in der Schulbildung sollen unter anderem Schulwechsel über Kantonsgrenzen hinaus erleichtern.

Jetzt liegt der Ball bei den Kantonen: Passiert Harmos in zehn kantonalen Parlamenten, wird dort die Reform in Kraft gesetzt.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will dem Vorhaben aber einen Riegel schieben. Sie spricht von Entmündigung der Eltern, Verstaatlichung der Schulen und Eingriff in die Hoheit der Kantone.

Die rechtsstehende Partei will Harmos mit Referenden verhindern. Primäre Aufgabe der Schule sei die Bildung sowie die Verbesserung derselben, erklärten Parteipräsident Toni Brunner und Nationalrat Jean-Pierre Grin.

Gegen das Volk

Sie lehnen die obligatorische Einschulung der Kinder mit vier Jahren ab. (Heute drücken die Kinder ab sechs Jahren die Schulbank.) Ferner ist die SVP gegen ausserschulische Betreuungsangebote, die das Konkordat vorsieht.

Laut den kantonalen Erziehungsdirektoren macht diese Opposition keinen Sinn, denn die Harmonisierung sei vom Schweizer Stimmvolk vor knapp zwei Jahren angenommen worden.

Die SVP kämpfe gegen den Strom, sagt die Waadtländer Bildungsdirektorin Anne-Catherine Lyon. In ihrem Kanton gingen 95% der Kinder mit vier Jahren zur Schule. «Obwohl die frühe Einschulung freiwillig ist, hat sie sich in den meisten Kantonen der Westschweiz durchgesetzt, wie auch in vielen Deutschschweizer Kantonen», so Lyon.

Gemäss der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) gehen landesweit 80% der Kinder mit vier Jahren zur Schule.

Was die ausserschulischen Betreuungsangebote betrifft, räumt EDK-Sekretär Olivier Maradan mit einem Missverständnis auf. Halten Gemeinden oder Schulbezirke die Einführung von Mittagessen oder betreute Aufgabestunden für nötig, sei dies für Eltern und Schüler fakultativ, präzisiert er.

Luzern stimmt ab

Solche obligatorische Angebote würden die Finanzen der Kantone überstrapazieren, moniert die SVP. Falsch, kontert die EDK, denn viele dieser Angebote bestünden bereits heute. Zudem müssten Eltern einen Beitrag leisten.

«Es handelt sich um ausserschulische und nicht um schulische Angebote, die von der Verfassung her kostenlos sein müssen», sagt Maradan. Das Essen etwa in vielen Schulkantinen sei nicht gratis. Harmos verlange hier lediglich die Verbreiterung und eine Vereinheitlichung dieser Strukturen.

Als erste Kantone haben Luzern, Schaffhausen, Thurgau und Graubünden Ja gesagt zu Harmos. Weil Opponenten aus Reihen der SVP das Referendum ergriffen haben, hat in Luzern aber das Volk das letzte Wort.

Mittel zum Zweck

Die Diskussion um die öffentlichen Schulen wolle die Rechtspartei als Plattform nutzen, um sich in verschiedenen Themenbereichen zu profilieren. Das sagt der Genfer Politikwissenschafter Oscar Mazzoleni.

«Im Bereich der Erziehung und Forschung hat die ’neue› SVP immer die Sparbremse gezogen. Die Partei verteidigte auch immer die Familie als Zentrum der Erziehung.» Laut Mazzoleni verstrickt sich die SVP aber in Widersprüche. Einerseits kritisiere sie die Vereinheitlichung des Schulsystems, andererseits unterstütze sie sämtliche Vorstösse, die in Richtung Rationalisierung gingen.

Die Waadtländer Erziehungsdirektorin Anne-Catherine Lyon lässt sich durch die Opposition der SVP nicht aus der Ruhe bringen. Falle das Harmos-Konkordat bei den Kantonen durch, könne der Bund die Kantone zwingen, das Bildungssystem zu vereinheitlichen. «Die SVP spielt mit dem Feuer und setzt sich dem Volkswillen entgegen», sagt Lyon.

swissinfo, Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Im Mai 2006 hatte das Schweizer Stimmvolk den Bildungsartikel angenommen. Dieser ist die Verfassungsgrundlage für eine einheitlichere Schulbildung in der Schweiz.

Harmos ist die konkrete Umsetzung der Zielvorgabe. Das Konkordat wurde von der EDK ausgearbeitet und 2007 angenommen.

Das Konkordat liegt jetzt bei den Kantonen zum Beitritt vor. Unterschreiben mehr als zehn Kantone, tritt Harmos dort in Kraft.

Dies sollte laut EDK Ende dieses Jahres der Fall sein. Die Umsetzung erfolgt aber nicht vor 2014.

Mit Harmos wollen die Kantone ihre unterschiedlichen Systeme der obligatorischen Schulzeit vereinheitlichen.

Diese soll neu mit vier anstatt wie bisher mit sechs Jahren beginnen.

Ausserschulische Angebote wie Mittagessen oder betreute Aufgabenstunden werden für Schulen oder Schulbezirke Pflicht.

An Primarschulen findet ein Blockunterricht statt, vor allem vormittags.

Harmos betrifft auch den Fremdsprachenunterricht. Erste Fremdsprache muss nicht unbedingt eine Landessprache sein.

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