Schutz des irakischen Kulturguts gefordert
Nach den Plünderungen in irakischen Museen will man auch in der Schweiz den illegalen Kulturgüter-Handel wirksam bekämpfen. Die Idee, ein Inventar über gestohlene irakische Kulturgüter zu erstellen, wird begrüsst.
Die UNESCO beschloss erste Sofortmassnahmen.
In der chaotischen Situation nach dem Sturm der US-Truppen auf Bagdad letzte Woche wurden unter anderem das Nationale Archäologische Museum geplündert und die Nationalbibliothek in Brand gesteckt.
Die irakischen Museen beherbergten Tausende von Jahre alte Sammlungen aus der Zeit der Sumerer, Assyrer, Babylonier und der Römer. Allein im Museum für Archäologie in Bagdad sollen rund 170’000 teils aus Abrahams Zeiten stammende Stücke gestohlen oder zerstört worden sein. Die UNESCO spricht von «tragischer Zerstörung.»
«Es handelt sich nicht einfach um bestimmte Objekte oder Stücke», erklärt Cornelia Isler-Kerény, Archäologin und Vertreterin von UNESCO Schweiz. «Es handelt sich um die einzigen Zeugnisse längst vergangener Zivilisationen. Sie zu zerstören ist ein Skandal, ein Vergehen gegen die Menschheit.»
UNESCO will Kaufverbot und Kulturgüter-Polizei
An einer Expertentagung in Paris sagte der Generaldirektor der UNO-Kulturorganisation UNESCO, Koichiro Matsuura, am Donnerstag, er habe nach den Plünderungen in den Museen von Bagdad und Mossul und dem Brand in der Nationalbibliothek eine Serie von Dringlichkeits-Massnahmen ergriffen.
Die Fachleute zeigten sich entsetzt über das Ausmass der Zerstörungen und Plünderungen der vergangenen Tage.
Matsuura will eine UNO-Resolution anregen, um den Erwerb irakischer Kulturgüter vorerst zu verbieten.
Zudem wünsche sich die UNESCO im ganzen Land eine Art «Kulturgüter-Polizei». Diese sollte die Stätten und kulturellen Institutionen inklusive Bibliotheken und Archiv-Gebäude schützen. Zudem sollten schnellstmöglich Fachleute nach Irak reisen, um ein Inventar der Verluste zu erstellen.
Matsuura richtete auch einen Sonderfonds für das irakische Kulturerbe ein, um die Spenden zur Rettung des Kulturerbes zu verwalten. Italien stellte nach Angaben des UNESCO-Chefs bereits 400’000 Dollar zur Verfügung.
Spenden kamen auch von anderen europäischen Ländern – etwa Frankreich, Deutschland und Grossbritannien – sowie von Ägypten. Auch die Schweiz sei bereit zu einer Spende, falls eine Anfrage eingehe, erklärte ein Vertreter des Aussenministeriums.
Geraubte Güter in der Schweiz?
Anfang Woche hatten der Verband der Museen der Schweiz und die Schweizer Sektion des Internationalen Museumsrates darauf hingewiesen, dass nach den Plünderungen im Nationalen Archäologischen Museum und in der Nationalbibliothek in Bagdad die Gefahr bestehe, dass geraubte Objekte in der Schweiz auftauchen und zum Kauf angeboten werden könnten. Beide Organisationen riefen deshalb Händler, Sammler und Verantwortliche von Museen auf, derartige Objekte nicht zu erwerben und allfällige Angebote den Polizeistellen zu melden.
Die Plünderungen hätten klar gemacht, wie notwendig die im geplanten Kulturgütertransfer-Gesetz vorgesehenen Massnahmen seien. Die beiden Organisationen riefen deshalb Regierung und Parlament auf, diese Bestimmungen rasch zu verabschieden und umzusetzen.
Die am Dienstag von der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats erhobene Forderung, ein Inventar der gestohlenen irakischen Kulturgüter zu erstellen, wurde begrüsst.
Auch Bundesamt warnt
Das Bundesamt für Kultur (BAK) forderte Sammler, Museen und Kunsthandel sowie die zuständigen Stellen der Zoll- und Strafverfolgungsbehörden umgehend zu erhöhter Aufmerksamkeit auf.
In einer BAK-Mitteilung heisst es weiter: «Auch wenn die rechtlichen Grundlagen in der Schweiz zur Bekämfpung des illegalen Kulturgütertransfers schwach sind, soll dies dennoch eine präventive Wirkung haben.» Die Schweiz dürfe nicht als Umschlagplatz für Kulturgüter dubioser Herkunft missbraucht werden.
Ehrenkodex?
Der Direktor des Antiquitätenmuseums Basel sagte, Schweizer Kunsthändler, Museen und Kunstmessen wären verrückt, wenn sie gestohlene Gegenstände annehmen würden. «Ich glaube, dass kein wirklicher Kunsthändler Kunstgüter mit zweifelhafter Herkunft annehmen würde.» Schweizerische und europäische Kunsthändler hätten Regeln.
«Sollten solche Gegenstände auftauchen, würden wir sie umgehend an einen sicheren Ort bringen, so dass wir sie in den Irak zurückgeben können, sobald neue Institutionen vorhanden sind.»
Verzeichnis und Verkaufverbot gefordert
Die Nicht-Regierungsorganisation Erklärung von Bern (EvB) rief den Bundesrat auf, die nötigen Massnahmen zu ergreifen, um möglichst rasch gegen einen ungehinderten Handel mit irakischen Kulturgütern vorgehen zu können.
Insbesondere brauche es neben der Erstellung eines Verzeichnisses von geraubten Objekten eine gezielte Information oder Beaufsichtigung des Kunsthandels. Zudem müssten die Zollkontrollen bei der Einfuhr von Kunst-und Kulturgütern verstärkt werden, heisst es in einer EvB-Mitteilung.
Kulturgüter-Transfergesetz dringend
Sie warf der Mehrheit im Nationalrat vor, beim Kulturgütertransfer-Gesetz (KGTG) besonders den Bereich der Rückgabefristen massiv abgeschwächt zu haben. Die Schweiz stehe seit Jahren im Ruf, ein Umschlagplatz für illegal gehandelte Kulturgüter zu sein.
Die kleine Kammer des Parlaments müsse daher in der kommenden Session das Gesetz in der vom Bundesrat vorgelegten Form unverzüglich annehmen und damit den seit 2001 anhaltenden Scharmützeln von politischen Interessenvertretern des Kunst- und Antiquitätenhandels ein Ende setzen, forderte die EvB.
swissinfo und Agenturen
Das irakische Nationale Archäologische Museum in Bagdad beherbergt Funde der wichtigsten Ausgrabungsstätten Mesopotamiens, das als Wiege der Menschheit gilt.
Zu der Sammlung mesopotamischer Altertümer zählen der 3500 Jahre alte geflügelte assyrische Bulle sowie Statuen, Grabbeigaben, Keilschrifttafeln und Steintiere.
Ferner gehören Bronzetiere, Ketten, Ringe und Schmuck aus 15 Jahrhunderten zum Museumsbestand.
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