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Antirassismusgesetz: Als die Holocaust-Leugner:innen in der Schweiz an die Öffentlichkeit drängten

Ein Haufen Brillen
Ein Haufen von Brillen in Auschwitz. Die Habseligkeiten wurden den Häftlingen des KZ Auschwitz bei ihrer Ankunft von der SS abgenommen und gesammelt. Christophe Vander Eecken/laif

Mitte der 1990er-Jahre diskutiert die Schweiz über ein Gesetz gegen Rassismus. Präsent sind dabei auch jene, die die Naziverbrechen bestreiten. Damit sabotierten die Negationist:innen damals selbst ihr Geschäft mit Hass und Verschwörungstheorien.

«Die Schweiz war wohl das einzige Land, in dem Holocaustleugner versuchten, eine breite politische Debatte zu prägen», sagt Peter Niggli. Vor 30 Jahren gab es in der Schweiz keine Gesetze, die der Verbreitung von Rassismus und Antisemitismus Einhalt boten. Damals hatte die Schweiz als eines der letzten Länder der Welt die UNO-Rassismuskonvention noch nicht ratifiziert.

Dies wollten Regierung und Parlament mit einem Antirassismusgesetz ändern. Rechte Kreise ergriffen das Referendum – eine Volksabstimmung stand bevor. Der heute 72-jährige Peter Niggli wirkte damals bei der Recherche- und Medienarbeit für die Kampagne der Befürworter:innen mit.

Gegen diskriminierende Aussagen konnte bis 1995 einzig vorgegangen werden, wenn auch Einzelpersonen attackiert wurden. Nur dann war eine Klage möglich – wegen «Beleidigung», «Verleumdung» oder «Ehrverletzung».

Eine Drehscheibe für Holocaustleugner

Als die Lausannerin Mariette Paschoud in ihrem rechtsextremen Magazin die genaue Recherche eines Holocaustleugners lobte, musste sie also keine rechtliche Unbill erwarten. Im Gegenteil: Paschoud selbst klagte wegen Ehrverletzung gegen einen Journalisten, der sie 1992 als «braune Mariette» betitelte.

Gemäss dem Standardwerk «Rechte Seilschaften» umfasste die Szene, die in der Schweiz öffentlich den Holocaust leugnete oder verharmloste, etwa ein Dutzend Personen. Diese wenigen Menschen seien politisch «völlig isoliert» geblieben.

«Rechte Seilschaften» gibt einen detailreichen Überblick über die radikale und extreme Rechte in der Schweiz der 1990er-Jahre. Peter Niggli hat das Buch zusammen mit dem verstorbenen Investigativjournalisten Jürg Frischknecht verfasst. Niggli erinnert sich: «Die Holocaust-Leugner:innen waren bereits gesellschaftlich geächtet, doch sie konnten operieren.» Bis zur Debatte über das Antirassismusgesetz, das auch die Holocaustleugnung unter Strafe stellen sollte, hatte sie Niggli kaum wahrgenommen.

«Zuvor hatten die Negationistinnen und Negationisten in der Schweiz bloss eine Bedeutung fürs Ausland – die Schweiz war eine Drehscheibe für Holocaustleugner.» Die Schweizer Szene sei für Europa so etwas wie «das Pendant zu den Briefkastenfirmen» gewesen. Hier sassen Verlage und Buchversände. Hier boten Nazis «Hintergrundleistungen» für ihre Gesinnungsfreund:innen in Nachbarländern, wo diese gesetzliche Folgen erwartet hätten.

ein Haufen Schuhe
Schuhe von in Auschwitz Ermordeten. Christophe Vander Eecken/laif

«Bei uns gibt es keine verbotenen Bücher»

Einer von ihnen war Gaston-Armand Amaudruz. In seiner Zeitschrift «Courrier du Continent» betrieb er bereits 1946, als junger Mann, Geschichtsverdrehung im Sinne des Dritten Reichs. Später schrieben Nazi-Publizisten von Deutschland bis Kanada für Amaudruz’ Blatt. Er vernetzte sich lange Jahre vor allem mit Nazis ausserhalb der Schweiz. Amaudruz eigene Bücher seien Teil des «Korpus der rassistischen und antisemitischen Literatur der Nachkriegszeit» geworden, schreibt Historiker Damir Skenderovic.

Vor allem verschickte Amaudruz die Bücher Anderer in ganz Europa. «Bei uns gibt es keine verbotenen Bücher», rühmte er die Schweiz als Drehscheibe für Naziliteratur. Unter den «überaus aktiven Negationisten aus der Schweiz» habe der Nazi-Publizist «grosse Bewunderung» genossen, so Skenderovic. Doch Amaudruz wandte sich erst seinen Schweizer Gesinnungsgenoss:innen zu, als in den 1980er-Jahren die Forderung, Rassismus und Antisemitismus unter Strafe zu stellen, im Parlament gehört worden war.

Am 22. Juni 1989 forderte Nationalrätin Verena Grendelmeier einen Bericht über «rechtsradikale Umtriebe in der Schweiz». Der Bericht sollte auch die Frage beantworten, ob es neue Gesetze «gegen Aufhetzung zum Rassismus, Bildung rassistischer Vereinigungen, neonazistische Geschichtsverfälschung (‹Auschwitz-Lüge›)» brauche. Zehn Tage später starben in Chur vier Tamil:innen bei einem nie aufgeklärten Brandanschlag.

Im September sprach sich der Bundesrat für Grendelmeiers Vorstoss aus, im Oktober das Parlament. Trotzdem sagte Aussenminister Flavio Cotti noch im November in einer Fernsehdiskussion: «Ich bitte Sie, sprechen Sie nicht von Fremdenhass in unserem Lande.» Es gebe solche «Erscheinungen», aber «die breite Bevölkerung» sei nicht so.

Koalition der extremen Rechten

Der Journalist und heutige Grünen-Politiker Hans Stutz beobachtet die extreme Rechte seit Ende der 1980er-Jahre. Folgt man seinen Ausführungen, hat es Polizei und Staatsanwaltschaft damals nicht nur an einer rechtlichen Handhabe gefehlt. «Sie waren wenig willens, rechtsextremistische oder rassistische Motive in Erwägung zu ziehen.»

«Während das Antirassismusgesetz in den achtziger Jahren die politischen Parteien nur am Rande interessiert hatte, stand es für neofaschistische Kreise im Zentrum», heisst es in «Rechte Seilschaften». Einige suchten Anschluss an die Realpolitik. Amaudruz etwa war sich seiner beschränkten Wirkung bewusst: Er und «seine Freunde» – damit meinte er das Milieu der Holocaust-Leugner:innen – bekämen 5000 Unterschriften zusammen, also bloss ein Zehntel der für ein Referendum benötigten Unterschriften.

Amaudruz bewunderte öffentlich Christoph Blocher und war – wie Mariette Paschoud – bis Mitte der 1990er-Jahre Mitglied der Aktion für eine Unabhängige und Neutrale Schweiz AUNS. Auch beteiligte er sich an Sitzungen des Komitees, mit dem Unternehmer und SVP-Mitglied Emil Rahm gegen das Antirassismusgesetz antrat. Die SVP war gespalten: Die nationale Partei befürwortete das Gesetz; einige Kantonalparteien waren dagegen.

Haufen von Brieftaschen
Koffer im Lager Auschwitz, beschriftet mit Namen und Geburtsdatum. Christophe Vander Eecken/laif

«Die Schweizer Holocaustleugner waren damals sehr gut organisiert, nie so gut wie damals», erinnert sich Stutz. «Sie taten sich zusammen, um die Rassismusstrafnorm zu bekämpfen.» In der Hochphase des Abstimmungskampfs hätten sie sich allerdings zurückgehalten. «Dies geschah auf Druck des bürgerlichen rechten Komitees», erinnert sich Stutz.

Die Holocaust-Leugner:innen kamen den bürgerlichen Gegner:innen des Antirassismusgesetzes ungelegen. Rechte Realpolitiker:innen wollten im Abstimmungskampf rassistische Witze und Stammtischsprüche ins Zentrum rücken. Praktisch jede Person könne durch das Antirassismusgesetz kriminalisiert werden – das war die Kernbotschaft ihres politischen Werbens.

Doch Holocaust-Leugner:innen schickten ihre Publikationen weiterhin an tausende Adressen. Der Winterthurer Max Wahl beispielsweise füllte seine Zeitschrift «Eidgenoss» während etwa 15 Jahren mit antisemitischen Verschwörungserzählungen: Er schrieb über «Weltherrschaftspläne» und hielt auch Christoph Blocher für «gekauft». Das Antirassismusgesetz bezeichnete er  als «die frechste Forderung jüdischer Agitatoren und ihrer Helfer in der Schweiz».

Auch die «Arbeitsgemeinschaft zur Enttabuisierung der Zeitgeschichte», in der sich Anfang der 1990er-Jahre vier Holocaust-Leugner zusammenschlossen, verschickte ungefragt Pamphlete an 6000 Adressen, darunter Universitäten. Die Mitglieder dieser «Arbeitsgemeinschaft» träumten davon, die historische Realität in öffentlichen Pro-Kontra-Diskussionen infrage zu stellen.

Wenn nicht an Universitäten, dann vor Gericht: «Arbeitsgemeinschaft»-Mitglied Jürgen Graf schrieb kurz vor der Abstimmung, «manche» Holocaust-Leugner:innen würden auf eine Annahme des «Maulkorbgesetzes» hoffen. Die Hoffnung zielte auf Prozesse mit breiter Aufmerksamkeit, an denen sie ihre Weltsicht und angebliche Beweise verbreiten können. Graf publizierte alleine 1993/1994 drei Bücher, die unter anderem die Existenz von Gaskammern in Ausschwitz leugneten.

Im Herbst 1994 wurde das Antirassismusgesetz mit 54% Ja-Stimmen angenommen. Am 1. Januar 1995 trat es in Kraft. Einen Monat später wies das Bundesgericht Mariette Paschouds Ehrverletzungsklage ab. Paschoud forderte in der Klage auch «einen Beweis für die Existenz von Gaskammern». Das Bundesgericht klärte in diesem Entscheid: Angesichts der «vorhandenen zahlreichen Beweise» sei die Forderung «eines» Beweises «absurd». Damit zerbröselten die Hoffnungen der Holocaust-Leugner:innen auf eine öffentliche Bühne.

Das neue Antirassismusgesetz zeigte aber auch seine Wirkung unter den Naziverharmloser:innen. Max Wahl stellte sein Magazin «Eidgenoss» von sich aus auf den 1. Januar 1995 ein. G.A. Amaudruz veröffentlichte in seinem «Courrier du Continent» keine Listen der lieferbaren Bücher mehr. Später verbüsste Amaudruz wegen neuer Aussagen mehrere Haftstrafen. Jürgen Graf entging dem Gefängnis durch Flucht nach Moskau, wo er bis zur Verjährung blieb. Heute lebt er zurückgezogen in Basel.

Bis heute drängten in der Schweiz nie wieder Holocaust-Leugner:innen so sehr an die Öffentlichkeit, wie während der politischen Debatte in den 1990ern, die damit endete, dass ihr Tun erst strafbar wurde. Es kann als wahrscheinlich gelten, dass, dass die Aussagen der Genozidleugner:innen einige Unentschlossene vom Antirassismusgesetz überzeugten.

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