Hype oder Zeitenwende? Wie NFTs die Kunstwelt verändern
So genannte NFTs (non fungible tokens) oder Kryptokunst revolutionieren den Kunstmarkt in der Schweiz und weltweit. Was an diesem neuen Insider:innen-Hype aber ist wirklicher Wandel, und was ist blosse Verkaufsrhetorik?
Im Internet beginnt fast alles mit Katzen, auch die Karriere der NFTs. Schon 2017 konnte man im Onlinespiel CryptokittiesExterner Link digitale Katzen kaufen, züchten und weiterverkaufen. Bezahlt wurde mit Kryptowährung, in diesem Fall mit Ethereum, der nach Bitcoin zweitgrössten Währung.
Um mit digitaler Kunst, auch mit Katzenbildern, handeln zu können, braucht es ein Echtheitszeichen, das dem Bild seine Originalität bescheinigt. Dieses Zeichen, technologisch ist es nur ein beglaubigender Link, ist das berühmte Non-Fungible Token, das NFT. Heute kommt keine längere Diskussion über Gegenwartskunst ohne diese Abkürzung aus.
Soweit ein Schnelldurchgang zur kurzen Geschichte und zur komplexen Technologie. Die bei NFTs oft erst später gestellte Frage lautet aber: Wie sieht NFT Kunst aus, hat die Technologie bereits ihre Spuren in der Ästhetik hinterlassen, zum Beispiel in der Schweiz?
Einer der bekanntesten Schweizer NFT-Künstler ist Leander Herzog, der schon lange digitale Werke erstellt, die man früher einfach Netzkunst genannt hätte. Und wie viele NFT-Künstler kommt er vom Design, von der Gestaltung und vom Webseiten-Bau. Das ist nicht zu übersehen, seine NFTs sind bunt, abstrakt, minimal, schön. Und ja: Sie sind meistens dekorativ. In Herzogs Kunst kreuzen sich die weltberühmte moderne Tradition der aufgeräumten Schweizer Gestaltung mit dem Bedürfnis vieler Käufer:innen nach Kunst, die visuell beruhigt statt aufregt.
Eine Nähe zum Wohlfühlen findet man häufig in der NFT-Kunst, wenn sich pflanzliche Strukturen mit digitalen zu wogenden, hybriden Gebilden vereinen (eine andere Richtung sucht den Witz oder die Zote). Doch Leander Herzog biegt jeweils vorher ab, die grafische Strenge und Abstraktion verhindert die digitale Wohlfühl-Oase.
Herzogs „Alp 1637831334“ sei eine minimal abstract swiss landscapeExterner Link, steht in der Beschriftung. Die NFT-Serie mit dem Titel «Agglo» besteht aus quadratischen, schnell animierten Mustern, die wiederum die Frühzeit der Computergrafik aufrufen. Medium und Plattform sind futuristisch, die Ästhetik retro.
Das gilt ein Stück weit auch für die Serie «Returngltf»: Simple, flache Skulpturen, die sich räumlich drehen und ältere Kundschaft allenfalls an die farbigen Plastikteile erinnern, mit denen in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren die Mengenlehre in den Grundschulunterricht fand. Nur dass die Farben und Formen bei Leander Herzog alle viel schöner sind, weniger grell und weniger regelmässig. Seine Kunst hat etwas Mathematisches, das den individuellen Ausdruck in die Rechnung integrieren möchte.
Einen Überblick über die Serie «Agglo» finden Sie hierExterner Link.
Erschliessung grösserer Käufer:innenschichten
Fast jedes NFT-Kunstwerk, das ich bislang gesehen habe, könnte als Poster auch in einem Grafikbüro hängen. Für die Animationen bräuchte es Bildschirme, was die Hersteller gemerkt haben und nun entsprechend werben: Sie bieten kleinere Bildschirme als Aufsteller an, wie früher die Familienfotos auf den Wohnzimmermöbeln, grössere für die Wand, am besten als Serie. Auch daran ist zu erkennen, dass NFTs ein breiteres Publikum ansprechen sollen als Nerds und klassische Kunstsammler:innen. Es geht um die Erschliessung neuer Käufer:innenschichten, die bislang mit Kunst wenig anfangen konnten.
Die grossen Galerien, die im Kunstmarkt mitspielen und die auf der Art Basel und der Art Cologne Sammler und Käuferinnen treffen, bemühen sich zwar alle auch um NFTs. Es gibt neue Stellen, Berater:innen und bereits reine Onlinepublikationen, die über NFTs berichten, zum Beispiel das Schweizer Portal artynft.ioExterner Link. Drei junge Menschen mit Vor-, aber ohne Nachnamen produzieren das Magazin in Zürich. Es gibt hauptsächlich englische Interviews mit NFT-Künstlern. Ein eigenes Menu gibt es für die «NFT Granny». Ein Grossmutter-Icon führt Neulinge (oder eben: Ältere) ins Geschäft ein – wie hänge ich NFT Kunst auf zu Hause, wie kaufe ich das, was ist das überhaupt?
Die Sprache und die Themen von noch kleinen Medienseiten wie artynft.ioExterner Link sind weit weg von vergleichbaren Kunstpublikationen und kritischem Fachdiskurs. Man kann das als Abschaffung von elitären Verständnisschranken feiern, oder man kann es in der Nähe der Werbung sehen. Im Moment erweckt vieles den Anschein, als ginge es primär um eines: Die Leute, Käuferinnen und Käufer, für diesen Kunstmarkt zu begeistern und alle zu Gewinnern zu erklären.
Kein Teil des etablierten Kunstmarkts
Für Künstler:innen und Galerien, die im herkömmlichen Kunstmarkt Erfolg haben, sind NFTs nur eine Ergänzung der Produktepalette. Die hohen Preise für NFT-Kunst erzielen Künstler:innen, die vor dem Hype noch niemand kannte. Ewiger Vorteil jeder Internet-Transformation: Sie reduziert die Produktionskosten so drastisch, dass auch kleine Player mit wenig Kapital in den Wettbewerb eintreten können.
Auch junge Agenturen wie Metaroot aus Zürich, die sonst Events organisieren und digitale Kommunikation anbieten, nehmen Teil an diesem Wandel. Dabei spielt das Alter der des Künstlers offenbar keine Rolle, wenn Metaroot aus den Bunny-Skulpturen des 67-jährigen Zürcher Künstlers Max Grüter animierte NFTs erstellt und sie auf opensea.ioExterner Linkzum Verkauf anbietet, Externer Linkeiner der grössten NFT-Plattformen.
Auch in den lustigen Erklärvideos von Metaroot erkennt man die Frühphase, in der sich der Markt trotz mitunter hohen Preisen befindet: Es geht noch nicht um die Kunst, sondern fast nur um die Technologie, ihre Möglichkeiten und dass jetzt alle mitmachen sollen. Früher nannte man das wohl Goldgräberstimmung.
Wie bei Leander Herzog sieht man auch bei Max Grüter, dass die digitale Kunst keineswegs aus dem Nichts kommt. Seit fast zwanzig Jahren erstellt Grüter auch 3D-Skulpturen, die auf einer freien Plattform 3D-Warehouse zugänglich waren. Heute liegt der Fokus stärker auf der Wertschöpfung, auf dem Markt. Und doch sind alte Internetwerte wie Transparenz und Zugang für alle nicht verschwunden. Das liegt an der Technologie, die NFTs überhaupt möglich macht.
Der heilige Geist der Kryptowährungen
Denn selbst bei millionenschweren NFTs besitzt niemand das Bild selbst. Es darf weiterhin frei zirkulieren. Aber nur einzelne können damit handeln: Wenn sie über ein Zertifikat ihres Besitzanspruches verfügen, über den Link. Das NFT wird in der so genannten Blockchain gespeichert, der Technologie, die auch Kryptowährungen benutzen. Die Blockchain bewahrt die «Ware» dezentral auf und speichert jede Transaktion so, dass sie möglichst sicher verschlüsselt ist – das schützt vor Betrug. Und beim Wiederverkauf eines NFT verdient die Künstlerin jeweils mit, das ist dem NFT eingeschrieben und kann nicht verändert werden.
Das klingt zum einen wie digitaler Kommunismus, nur schon weil alle das Werk überall anschauen können. Ohne Institutionen wie Museen, die eine Auswahl treffen, Eintritt kosten und für manche eine soziale Schwelle darstellen. Zudem gibt es beim digitalen Bild keine auratischen Unterschiede wie zwischen dem Plakat aus dem Museumsshop und dem Original hinter Panzerglas. Und in einem Safe verschwindet erst recht nichts, jedenfalls nicht das Kunstwerk.
Zum andern trägt der Hype um NFT gleichzeitig Züge eines Hyperkapitalismus, der alles abschaffen will, was Regulierung bedeutet. Mit Banken oder auch mit Staaten möchte die neue Elite der Kryptoreichen am liebsten nichts zu tun haben.
Die jüngste Geschichte der NFTs zeigt dieses libertäre und gleichzeitig linke Doppelgesicht: Im Frühjahr 2021 erzielte ein Gestalter namens Beeple beim Auktionshaus Christie’s für eine NFT- Collage mit 5000 Bildern knapp 70 Millionen Dollar. Damit galt er auf einen Schlag als drittteuerster lebender Künstler. Gekauft hat eine Person mit dem Pseudonym Metakovan, die selbst mit NFTs handelt und mit der Preistreiberei den Hype vergrössert hat.
Die auch mal männerverschwitzten Bildchen von Beeple hätten nie bestanden bei den Bestimmer:innen in der Kunstwelt. Es geht um viel Geld und um die Geste, den Hütern des Geschmacks den Finger zu zeigen. Diese Mischung erinnert an das alte Paar Rock und Rebellion, als Autos noch nicht wie Rockbands hiessen. Kapital und Stinkefinger, das hat halt immer was.
Verwirrend erscheint, wie die Parfumwolke der Revolte in gleichsam religiöse Räume gleiten kann. Wer im Frühjahr 2022 einen der Events der NFT-Galerie Bright Moments aus Los Angeles gesehen hat in Kalifornien, New York, Berlin oder London, kam sich wie in einer Kirche vor.
Zumindest in Berlin, wo Bright Moments über zwei Wochen lang ein ehemaliges Heizkraftwerk bespielte. Meine Begleitung war Kandidatin, eine Kryptoberlinerin zu werden: Ein Spot fiel auf sie wie ein Licht Gottes, bevor sie zur Prägezeremonie geleitet wurde. Wenig später erschienen die simplen Avatare der frisch in die Gemeinde Aufgenommenen auf einer Leinwand. Dazu lief Orgelmusik von Philipp Glass, dem Heiligen der Minimal Music. Die Bilder der Avatare selbst sahen aus wie Computergrafik aus den frühen Neunzigerjahren.
Die Rhetorik der Teilhabe bis hin zur religiösen Kommunion verschleiert die Machtverhältnisse. Wie bei jedem digitalen Wandel werden nicht nur alte Hierarchien entsorgt, es entstehen auch neue, oft steilere als zuvor. Die Gewinne von NFT-Investoren, siehe Beeple, waren extrem, die NFT-Plattform Opensea hat exponentielles Wachstum hinter sich und wurde dennoch von Looksrare überholt, was das Umsatzvolumen angeht. Aber nach dem NFT-Boomjahr 2021 sind die Einbrüche im laufenden Jahr extrem, bis zu 50% alleine im ersten Quartal.
Die Anzeichen der nächsten Finanzkrise betreffen nicht nur so genanntes Fiat Money, also die alten Geldströme. Die Kryptowährungen Bitcoin und Ethereum haben aus dem gleichen Grund viel Wert verloren wie viele Aktien auch: Zinsen steigen, Anleger verkaufen, Kurse sinken. Das ist das bekannte Spiel. Da Kryptogeld Teil von so vielen Geldanlagen geworden ist, sind diese Märkte nicht mehr klar zu trennen. Sie haben sich angesteckt und verlieren beide an Wert.
Wenn NFTs nun Teil globaler Anlagestrategien werden, verlieren viele davon aktuell nicht nur ihre Spitzenwerte, sondern auch ihren rebellischen Rock and Roll-Status.
Es gibt allerdings ein Mittel, mit dem NFTs und Kryptowährungen neue Glaubwürdigkeit erlangen könnten, die sie auch wegen einer drastischen Betrugsquote verloren haben (bis zu 80% der auf Opensea erstellen NFTs sollen Fälschungen sein, zum Beispiel Kopien berühmter Kunstwerke, ohne die Rechte daran zu besitzen). Der Energieverbrauch der Blockchain, in der die NFTs gespeichert sind, ist unverantwortlich hoch.
Doch das liegt einzig am Verfahren des proof of work, vereinfacht gesagt: Die gesamte Transaktion wird über viele verschiedene Knoten im Internet abgewickelt. Doch das proof of stake-Verfahren würde das Problem lösen, wenn nur ein Teil der Absicherung in der Blockchain geschieht, und man stattdessen ein Pfand, den stake, hinterlegen muss.
Die massive Reduktion von Kohlenstoff-Emissionen könnte den auch zweifelhaften Ruf dieser Technologien retten. Ansonsten hilft nur noch Beten, in der Kirche oder in der nächsten NFT-Galerie.
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