«Ein Affront» – Forschende kritisieren Kunsthaus Zürich
"Ein Affront gegenüber potenziellen Raubgut-Opfern": Die Stiftung der Bührle-Sammlung und das Kunsthaus Zürich sehen sich mit heftiger Kritik von ehemaligen Mitgliedern der Bergier-Kommission konfrontiert.
Zürich und sein Kunsthaus stehen wegen einer umstrittenen Sammlung, die aktuell im Museum gezeigt wird, unter Druck. Ehemalige Mitglieder der Bergier-Kommission bezeichnen die Situation als Beleidigung für Opfer von NS-Raubkunst.
Das Kunsthaus eröffnete im Oktober einen neuen Erweiterungsbau, der rund 200 Leihgaben aus der Sammlung Emil Bührle beherbergt. Bührle machte sein Vermögen während des Zweitens Weltkriegs mit Waffenverkäufen an Deutschland, profitierte von Zwangs- und Sklavenarbeit und erwarb Kunst, die vom NS-Regime geraubt worden war.
Die Entscheidung, Stücke aus Bührles Sammlung zu zeigen – darunter auch Gemälde, deren Herkunft umstritten ist –, wird in der Öffentlichkeit sowie in einem neuen Buch von Erich Keller, «Das kontaminierte Museum», heftig kritisiert.
Nun haben sich auch ehemalige Mitglieder der Bergier-Kommission zu Wort gemeldet. Fast 20 Jahre nach der Veröffentlichung ihrer Untersuchung über die Finanzgeschäfte der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs werfen sie die Frage auf, ob die Schweiz genug unternimmt, um ihre Rolle bei den Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.
Die Historikerkommission wurde 1996 vom Bundesrat eingesetzt, nachdem international Empörung über die in Banken versteckten jüdischen Vermögenswerte sowie die Rolle der Schweiz bei der Finanzierung von Nazi-Deutschland laut geworden war.
«Die derzeitige Situation in Zürich ist ein Affront gegenüber allen potenziellen Opfern», heisst es in der Erklärung vom 7. November, die von ehemaligen Bergier-Kommissionsmitgliedern, darunter dem emeritierten UCLA-Professor Saul Friedländer sowie dem Princeton-Geschichtsprofessor Harold James, abgegeben wurde.
Die Experten fordern die Stadt und den Kanton Zürich auf, die Nachforschungen der Bührle-Stiftung zur Herkunft der Kunstwerke in der Sammlung unter die Lupe zu nehmen. Weiter verlangen sie vom Kunsthaus, dass unabhängige Experten eine Dokumentation zur Sammlung, die im Museum gezeigt wird, überarbeiten sollen. Drittens fordern sie vom Bundesrat, dass eine unabhängige Stelle eingerichtet wird, die zwischen Anspruchsberechtigten und privaten Sammelnden oder Museen in Bezug auf potenzielle NS-Raubkunst vermittelt.
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«Warum gibt es in der Schweiz nicht wie in anderen Staaten eine unabhängige Stelle, die sich um eine gerechte und faire Lösung in solchen Fragen bemüht?», kritisieren die Kommissionsmitglieder.
Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch hat die Erklärung der Kommissionsmitglieder als «wichtigen Beitrag zu einer wichtigen Debatte» bezeichnet. Die Stadt prüfe Möglichkeiten, um eine unabhängige Evaluation der Provenienzforschung der Bührle-Stiftung sicherzustellen, sagte sie. Die dritte Forderung, die Schaffung eines nationalen Gremiums zur Beurteilung von Ansprüchen, erfordere «einen wichtigen Schritt auf Bundesebene», wie Mauch sagte.
Fehlende Institutionen
Gemeinsam mit über 40 anderen Staaten verabschiedete die Schweiz 1998 die nicht bindenden Washingtoner Prinzipien zu NS-Raubkunst. Im Rahmen dieser Grundsätze erklärten sich die Regierungen bereit, Museen zu ermutigen, Provenienzforschung zu betreiben, von den Nazis beschlagnahmte Kunstwerke zu identifizieren und mit den ursprünglichen jüdischen Sammelnden und deren Erbberechtigten «gerechte und faire Lösungen» für verlorene Werke zu suchen.
Ausserdem vereinbarten sie, alternative Streitbeilegungs-Mechanismen zur Lösung von Eigentumsfragen zu schaffen. Fünf europäische Länder haben inzwischen unabhängige Gremien eingerichtet: Deutschland, Österreich, Frankreich, die Niederlande und Grossbritannien. Die Schweiz, die vor und während des Zweiten Weltkriegs als Drehscheibe für NS-Raubkunst diente, hat diesen Punkt bislang nicht erfüllt.
«In der Schweiz hat es nur wenige strittige Fälle gegeben», sagt Benno Widmer, Leiter der Sektion Museen und Sammlungen des Bundesamts für Kultur. «Es liegt in erster Linie in der Verantwortung der Beteiligten, faire und gerechte Lösungen im Sinn der Washingtoner Prinzipien zu finden. Doch sollte sich der Bedarf aufgrund einer zunehmenden Zahl von strittigen Fällen verstärken, könnte die Forderung nach einer externen Kommission erneut geprüft werden», sagt er.
Es geht auch anders
Mehrere Schweizer Museen haben sich inzwischen mit Erbberechtigten von Sammelnden, denen Kunst geraubt worden war, geeinigt. Dazu zählt das Kunstmuseum Bern, das die umstrittene Kollektion von Cornelius Gurlitt erbte. Das Museum hat mehrere Werke an die Nachkommen der ursprünglichen Besitzenden zurückgegeben.
Keine Rückgabe, dafür eine Entschädigung erhielten die Nachkommen von Curt Glaser, einem jüdischen Museumsdirektor, der 1933 einen grossen Teil seiner Sammlung verkaufen musste, um aus Nazi-Deutschland flüchten zu können. Das Basler Kunstmuseum erklärte sich 2020 bereit, ihnen eine Abfindung zu zahlen. Noch 2008 hatte es Forderungen der Glaser-Familie mit dem Argument zurückgewiesen, dass die Werke damals in gutem Glauben und zu marktüblichen Preisen erworben worden seien.
Der Fall Glaser und auch andere hätten durch eine neutrale Stelle schneller geklärt werden können, sagt der Historiker Thomas Buomberger, der das «Schwarzbuch Bührle» geschrieben hat. «Es ist eine Schande, ja ein Totalversagen, dass nie ein solches Expertenkomitee eingerichtet wurde», so Buomberger. «Aber ich denke nicht, dass es dafür zu spät ist. Vielleicht gibt diese Diskussion den nötigen Anstoss.»
Das Fehlen eines unabhängigen Gremiums zur Beurteilung von Ansprüchen «macht den Klagenden das Leben sehr schwer», sagt Thomas Sandkühler, Professor für Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und ehemaliges Mitglied der Bergier-Kommission, der die Erklärung zur Bührle Sammlung ebenfalls unterzeichnet hat. «Sie können sich an niemanden wenden.»
Im Fall der Gemäldesammlung Bührle wird oft das Beispiel von Claude Monets «Mohnblumenfeld bei Vétheuil» genannt. Juan Carlos Emden erhob vor rund zehn Jahren erstmals Anspruch auf das Kunstwerk.
Er erklärte, dass sein Vater Hans Erich Emden das Bild einst wegen Verfolgung durch das NS-Regime verkauft habe. Hans Erich Emden war der Sohn eines deutsch-jüdischen Kaufhausbesitzers, dessen Vermögen in Deutschland von den Nazis beschlagnahmt wurde, nachdem er in die Schweiz emigriert war.
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Die Bührle-Stiftung weist Emdens Forderung zurück. Die Begründung: Der Verkauf sei nicht unter Zwang erfolgt. Eine Klage vor Gericht ist aufgrund von Verjährungsfristen und anderen Hürden aussichtslos. Emden kann sich also nicht auf ein unabhängiges Urteil berufen.
«Es ist mir ein Rätsel, wie sich die Nachlassverwalter eines Waffenhändlers anmassen können, darüber zu urteilen, ob meine Familie das Gemälde unter Zwang verkauft hat oder nicht», sagt Emden, der in Chile lebt.
Akten angeblich verschwunden
Für Ärger sorgt bei den Mitgliedern der Bergier-Kommission auch, dass die Familie Bührle die «Unwahrheit» über ihre Akten gesagt habe. Die Kommission erhielt einst vom Bundesrat weitreichende Befugnisse, um Zugang zu Privat- und Firmenarchiven zu erhalten, damit sie Gold, Devisen und Kulturgüter aufspüren konnte, die möglicherweise unrechtmässig erworben worden waren.
Bei der Familie Bührle stiessen die aber auf verschlossene Türen: Als die Bergier-Forschenden um Zugang zum Bührle-Archiv baten, hiess es, dass «keine weiteren Akten zur Verfügung stehen», beschreiben die Kommissionsmitglieder in ihrer Erklärung. Inzwischen ist aber bekannt, dass doch ein umfangreiches Archiv existiert.
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Einst habe er ein Mitglied der Familie Bührle besucht, berichtete der Schweizer Historiker Georg Kreis, ebenfalls Mitglied der Bergier-Kommission. Das Familienmitglied habe ihm erklärt, dass ausser einer kleinen Schachtel mit Karteikarten keine Unterlagen mehr existierten.
«Ich weiss noch, wie ich überlegte, ob ich die Polizei oder die Staatsanwaltschaft benachrichtigen sollte, damit eine Hausdurchsuchung gemacht wird. Aber dann kam mir der Gedanke, dass heikle Akten sowieso längst vernichtet worden wären», erinnert sich Kreis.
Lukas Gloor, Direktor der Bührle-Stiftung, kündigte unterdessen an, per Ende Jahr zurückzutreten. Wegen der von Stadt und Kanton Zürich verlangten Untersuchung der umstrittenen Bührle-Sammlung droht er zudem, die Werke aus dem Zürcher Kunsthaus abzuziehen. Die Stiftung könne da nicht mitmachen.
«Meine Aufgabe ist abgeschlossen. Die Bilder sind im Kunsthaus», sagte Gloor im Interview mit dem «Sonntagsblick» zu seinem Rücktritt.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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