Fondation Bodmer hinterfragt Krieg und Frieden
Ist der Krieg die Zukunft der Menschheit? Dies ist eine der Fragen einer Ausstellung in der Fondation Martin Bodmer in Genf, die in Zusammenarbeit mit der UNO und dem IKRK konzipiert wurde. Eine historische, politische und künstlerische Reflexion über eine Welt auf der Suche nach Bedeutung und Gleichgewicht – wie vor 100 Jahren bei der Gründung des Völkerbunds auch schon.
«Wäre diese Ausstellung nur dreissig Jahre früher entstanden, wäre sie von ausserordentlichem Optimismus geprägt gewesen», schreibt Pierre Hazan, der Kurator, am Anfang des umfangreichen Katalogs zur Ausstellung. «Drei Jahrzehnte später hat sich die Perspektive brutal gewandelt», ergänzt der Berater des Zentrums für humanitären DialogExterner Link, einer Organisation mit Sitz in Genf, die sich auf Vermittlung in bewaffneten Konflikten spezialisiert hat.
Es reicht, die Nachrichten zu verfolgen, um sich zu überzeugen. Der Sicherheitsrat der UNO – der internationalen Organisation, deren Ziel Frieden unter den Nationen ist – bleibt angesichts der Konflikte, in welche die Grossmächte im Nahen Osten und am persisch-arabischen Golf verwickelt sind, gelähmt. Ebenfalls im Abseits steht die UNO in Südasien, während die Spannungen in Kaschmir, wo sich mit Indien und Pakistan zwei Atommächte gegenüberstehen, erneut zunehmen. «Die Verantwortung des Menschen zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden bleibt wichtiger denn je», erklärt Pierre Hazan.
Eine Verantwortung, die den Staatschefs obliegt, doch auch den Bürgern und Bürgerinnen, die sie wählen oder ihnen ausgesetzt sind. Auch autoritäre Regimes suchen nach Zustimmung, bevor sie eine Militäroperation lancieren. Die Ausstellung illustriert verschiedene Arten solcher Propaganda, die seit dem vergangenen Jahrhundert mit der Entwicklung der Massenmedien, angefangen mit dem Radio, besonders wirksam geworden ist.
Angesichts solcher Bemühungen, eine Geisteshaltung zu fördern, die den Hass auf die Anderen und deren Entmenschlichung schürte, versuchte der Völkerbund, Gegensteuer zu geben. So erfährt man in der Ausstellung, dass eine internationale Konvention von 1936 über die Nutzung des Rundfunks im Interesse des Friedens die Staaten aufrief, darauf zu achten, dass Sendungen, die von ihrem Territorium ausgestrahlt wurden, keine «Aufstachelungen zum Krieg» beinhalten oder «Taten, fördern, die dazu führen können».
Die rund 20 Staaten, die dem Abkommen beitraten, verpflichteten sich damals auch, jede Sendung unverzüglich einzustellen, «die das gute internationale Einvernehmen durch Behauptungen schädigen könnte, deren Ungenauigkeit den Sendungsverantwortlichen bekannt ist oder sein sollte».
Heute versucht die UNO auch, gegen die Verbreitung von Hassreden und falschen Informationen in sozialen Netzwerken zu kämpfen. Ihre Vorgängerin – der Völkerbund – war damals zu spät gekommen.
Die Ausstellung präsentiert das extremste Beispiel für diese Art der Manipulation aus dem letzten Jahrhundert: «Mein Kampf», das antisemitische Manifest von Adolf Hitler, das 1925 zum ersten Mal publiziert wurde. Mit der Reproduktion der geheimen Landkarte, die den deutsch-sowjetischen Pakt begleitete und Polen mit einem simplen Bleistiftstrich aufteilte, zeigt die Ausstellung einen Höhepunkt dieser Entschlossenheit zur Ausrottung Anderer.
Es war das Vorspiel zum Völkermords-Krieg der deutschen Armeeverbände, der mit der Invasion Polens, dieser 1919 von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs als Republik anerkannten Staats, im September 1939 seinen Anfang nahm.
In einer weiteren Vitrine ist eine Kopie der Originalausgabe des Tagebuchs von Anne Frank ausgestellt, des jüdischen Mädchens, das 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen im Alter von 15 Jahren an Typhus starb. Neben dem Buch liegt eine 16 Seiten lange diplomatische Notiz der polnischen Exilregierung vom Dezember 1942, sie trägt den Titel «Die Massenvernichtung der Juden im vom Deutschland besetzten Polen» und richtete sich an die Adresse der 26 Regierungen der Alliierten.
Wie heute bekannt, wussten die Alliierten Bescheid, unternahmen aber bis zum Ende des Krieges kaum etwas gegen die Gräuel. Auch das IKRKExterner Link, Partner der Ausstellung, hatte die Augen vor der Realität der Shoa verschlossen und war der anpasssungsfreundlichen Politik gefolgt, welche die Schweizer Regierung gegenüber Berlin verfolgte.
Innerhalb der humanitären Organisation gab es zwar Diskussionen, ob diese Übergriffe gegen Zivilpersonen nicht angeprangert werden sollten. Darauf wurde ein vager und gemässigter Appell redigiert. Doch schliesslich verzichtete das IKRK darauf, wie die Ausstellung unter Hinweis auf die Rolle von Philipp EtterExterner Link, damals Mitglied des IKRK und Bundespräsident, in Erinnerung ruft.
Die von Pierre Hazan und Jacques Berchtold, dem Direktor der Fondation Martin Bodmer, konzipierte Ausstellung kann nur dazu aufrufen, unser Gewissen wachzurütteln, während der Antisemitismus wieder auftaucht, auch in Deutschland. Die Ausstellungsmacher stürzen sich jedoch nicht in Aktivismus, sondern betonen die Langfristigkeit der Geschichte. Und der Besucher kann nur feststellen, dass die Lehren, welche die Menschheit aus der Geschichte ziehen sollte, sowohl gestern wie auch heute nur wenig Gewicht haben.
Ist die Geschichte zyklisch? Die Frage erscheint am Eingang der Ausstellung. Mag sein. Aber dieser unendliche Kreislauf beinhaltet auch den Durst nach Versöhnung. Die Ausstellung bezeugt dies mit einem Tonpfahl, auf dem ein Friedens- und Freundschafts-Vertrag in Keilschrift aus der Zeit der Sumerer festgehalten ist. Mit seinen 4400 Jahren ist dies der älteste bisher bekannte diplomatische Text.
Prominenten Raum nimmt auch der Vertrag zum Ewigen FriedenExterner Link zwischen dem Korps der Eidgenossen und dem Königreich Frankreich ein, der 1516, nach der Niederlage der Eidgenossen in der Schlacht bei Marignano, geschlossen wurde. Nach dem Siegel von König Franz I. am Ende dieser grossen Pergamentrolle folgen 18 weitere, jene der 13 Orte der damaligen Eidgenossenschaft und ihrer Zugewandten (Verbündeten). Obschon sie vereint waren, wollten die damaligen Schweizer Kantone für solche diplomatische Demarchen keinesfalls einen einzigen Vertreter bezeichnen.
Die Versuche, Gewaltausbrüche zu begrenzen, die ebenso alt sind wie Kriege, waren in erster Linie Sache der Religionen. Die drei monotheistischen, abrahamischen Religionen definierten jeweils für sich, was erlaubt war und was nicht. Wie Pierre Hazan unterstreicht, ist dies der Ursprung für den so genannt gerechten Krieg. Dieser ist ein zwiespältiges Konzept, das in den 1990er-Jahren in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und im ersten Golfkrieg wieder auflebte.
Die vom IKRK ausgearbeiteten Genfer Konventionen stellen in dieser Hinsicht einen entscheidenden, qualitativen Sprung dar. Ziel war es, die Rettung der Verwundeten auf dem Schlachtfeld, den Schutz von Kriegsgefangenen sowie schliesslich den Schutz der Zivilbevölkerung zu ermöglichen, unabhängig zu welcher Seite sie gehören.
Die Ausstellung erinnert aber auch an die Grenzen der ersten dieser Konventionen. Einer der Gründerväter der humanitären Organisation, Gustave Moynier, erklärte 1880 in einem IKRK-Bulletin, der Beitritt afrikanischer Staaten zu dem Abkommen sei nicht wünschenswert, «weil die schwarzen Völker Afrikas grösstenteils noch zu wild sind, um sich dem humanitären Denken, das diesen Vertrag inspiriert hat, anzuschliessen und ihn in die Praxis umsetzen zu können».
Einzige Ausnahme war der Kongo-Freistaat, an dessen Entstehung Moynier mitgewirkt hatte, und den sein alleiniger Eigentümer, der belgische König Leopold II. mit äusserster Gewalt systematisch ausplünderte, was zum Tod von Millionen in der Bevölkerung und zu einem internationalen Skandal führte.
In dieser endlosen Verkettung von Konfrontation und Eintracht sind es vielleicht einige Schriftsteller, die am besten verstanden haben, die Lügen des Krieges zu enthüllen und uns zurück zu bringen zum Wesentlichen, zu unserer menschlichen Natur.
Schon allein durch ihren Titel wirft die Ausstellung ein Licht auf den russischen Schriftsteller Leo Tolstoi. Seiten aus dem Manuskript von Krieg und Frieden werden zum ersten Mal ausserhalb des Tolstoi-Museums in Moskau gezeigt. Nach einem Transport unter grossen SicherheitsmassnahmenExterner Link und einer vom Bundesrat ordnungsgemäss unterzeichneten Garantie für die Rücksendung der Exponate (eine Vorsichtsmassnahme, die an einen bedauerlichen Präzedenzfall von 2005 erinnert).
Wie Pierre Hazan erzählt, lässt Tolstoi Prinz Andreas am Vorabend einer Schlacht zwischen den Truppen Napoleons und den Truppen Russlands sagen, Krieg sei kein Schachspiel, sondern ein Gräuel.
Wenige Schritte vom wertvollen Manuskript des russischen Schriftstellers entfernt befinden sich die grossen Klassiker der Militärstrategie, wie Vom Krieg des Preussen Carl von Clausewitz (1833) oder Die Kunst des Krieges des chinesischen Generals Sun-Tzu (Sunzi) aus dem 6. Jahrhundert vor Christus.
Zu sehen ist auch die Titelseite der Zeitung Combat vom 8. August 1945 mit einem Leitartikel von Albert Camus. Der spätere Nobelpreisträger für Literatur kommentiert die atomare Vernichtung von Hiroshima. Und seine Warnung bleibt von tragischer Aktualität: «Die mechanische Zivilisation hat ihren höchsten Grad der Verwilderung erreicht. Man wird in Zukunft zwischen dem kollektiven Selbstmord und der intelligenten Verwendung wissenschaftlicher Errungenschaften entscheiden müssen.»
Die Ausstellung Krieg und FriedenExterner Link in der Fondation Martin Bodmer läuft noch bis zum 20. März 2020.
Sie ist Teil der Erinnerungsveranstaltungen im Rahmen des Hundert-Jahre-Jubiläums seit der Gründung des Völkerbundes, ein Programm unter dem Titel 100 Jahre MultilateralismusExterner Link, dem der Europa-Sitz der UNO in Genf eine weitere AusstellungExterner Link widmet.
Neben der UNO und dem IKRK beteiligt sichExterner Link auch die Schweiz aktiv an diesen Veranstaltungen.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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