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Hans Kaufmann, der neue Hoffnungsträger des Schweizer Kinos

Hans kauffmann
Hans Kaufmann, Autor von "Der Büezer". Hans Kaufmann

"Der Büezer": So wird in der Schweiz ein Arbeiter genannt. Hier ist es der Titel eines Films, den der junge Regisseur Hans Kaufmann jüngst an den Solothurner Filmtagen präsentiert hat. Wir haben die neue Schweizer Kino-Hoffnung getroffen.

Filmproduktion in der Schweiz

Dieser Artikel ist Teil einer Porträtserie über Schweizer Filmproduzenten und Filmproduzentinnen – manche von ihnen sind auch als Regisseure und Regisseurinnen tätig. Die Gespräche drehen sich um Herausforderungen der heimischen Filmindustrie. Aber auch um um die Leidenschaften. welche diese Branche am Leben erhalten.

Es gibt viele Arten, einen Film zu produzieren, das haben die diesjährigen Solothurner Filmtage einmal mehr bewiesen. 

Jung-Regisseur Hans Kaufmann war mit dem von ihm selbst produzierten Low-Budget-Film «Der Büezer» ins Rennen um den Prix de Soleure gestiegen. Das Resultat kann sich sehen lassen – das Werk ist beim Festivalpublikum gut angekommen.

swissinfo.ch: Hans, lass uns mit deinem bisherigen Werdegang anfangen.

Hans Kaufmann: Ich habe als Fotoassistent begonnen und war begeistert vom Film. Mit 18, also noch sehr jung, habe ich die Aufnahmeprüfung für die Filmschule der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bestanden. 

Um mich während des Studiums durchzuschlagen, habe ich angefangen, Werbevideos zu drehen, was für mich eine Art Schule war. Mein eigentliches Ziel bestand jedoch darin, einen Film wie «Der Büezer» zu drehen.

swissinfo.ch: Wie hast du die Mittel für deinen Film aufgetrieben?

H.K.: Als Anfänger ist es sehr schwierig, Geld vom Bundesamt für Kultur oder anderen grossen Geldgebern zu bekommen. Ich habe mich aber nicht geschlagen gegeben und die Produktionsfirma Milieu Pictures gegründet.

Anschliessend habe ich mich an die Burger Collection gewandt, eine Institution zur Förderung zeitgenössischer Kunst, die 100’000 Franken für die Realisierung des Films gespendet hat. Soviel hat der Dreh gekostet. Die Migros hat mich dann in der Phase der Postproduktion mit einem Beitrag unterstützt.

swissinfo.ch: Wie hast du es geschafft, die Sache durchzuziehen?

H.K.: Viele haben gratis gearbeitet. Die Techniker konnte ich allerdings bezahlen. Die Schauspieler haben sogenannte Rückstellungsverträge unterzeichnet, bei denen das Honorar an den Markterfolg der Produktion gekoppelt wird. Ich selbst bin natürlich leer ausgegangen. 

Es war auch Glück im Spiel: Wir hatten 20 Drehtage veranschlagt und alles lief bestens, ohne irgendwelche Zwischenfälle. Die verschiedenen Szenen im Zusammenhang mit den Anhängern der Freikirche, in denen rund hundert Statisten mitwirkten, mussten alle an einem Tag abgedreht werden.

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Schauspieler Joel Basman spielt den «Büezer» als fragile männliche Figur. Milieu Pictures

Das war nicht einfach, aber wir haben es geschafft. Wenn man so wenig Geld zur Verfügung hat, ist man gezwungen, mit einem kleinen Team zu arbeiten, mit natürlichem Licht und einer auf ein Minimum reduzierten Szenografie. Das alles trägt jedoch dazu bei, die Dinge zu beschleunigen.

swissinfo.ch: Hast du ausschliesslich mit Profis gearbeitet?

H.K.: Die Techniker waren alle Profis, die Schauspieler dagegen nicht. Auf der Baustelle beispielsweise wurden echte Bauarbeiter eingesetzt. Auch die junge Farbige wurde von einer nicht-professionellen Darstellerin gespielt. Die Hauptrolle habe ich hingegen einem auch international sehr bekannten Zürcher Schauspieler anvertraut, Joel Basman, der zudem als Executive Producer am Film beteiligt war.

Warum ist dein Protagonist ein Bauarbeiter?

H.K.: Zürich ist eine reiche Stadt, eine Szenestadt, die Leute sind schick, doch hinter der Fassade gibt es viele Widersprüche. Es gibt Gesellschaftsschichten, die sich ein Leben in der Stadt wegen der unerschwinglichen Mieten nicht leisten können.

Und dann herrscht da auch ein ausgesprochenes Klassendenken: Viele meiner Freunde sind Bauarbeiter und fühlen sich in der Stadt ausgegrenzt, zum Beispiel von gewissen Frauen oder den anderen Stadtbewohnern – nur weil sie einen Beruf haben, der nicht unbedingt als cool gilt. Für mich ist «Der Büezer» ein richtiger Arbeiter, ein echter Schweizer, der noch mit den Händen arbeitet, eine Symbolfigur.

swissinfo.ch: Im Unterschied zur Klischeevorstellung ist dieser Bauarbeiter jedoch sehr fragil…

H.K.: Genau mit diesem Klischee wollte ich brechen, ich wollte eine fragile Männlichkeit darstellen, die dem Bild vom starken Mann, mehr noch, dem Image des Mannes widerspricht, das in letzter Zeit aus der Debatte rund um #metoo hervorgegangen ist. 

Dieses Fragile kollidiert mit einer gewissen Arroganz, die vor allem in einigen Zürcher Stadtteilen und Treffpunkten augenfällig ist – und auch mit einer grossen Oberflächlichkeit. In einigen Zürcher Kreisen gehört man nur dazu, wenn man einen gewissen Status besitzt.

swissinfo.ch: Der Film wurde vor allem im Kreis 4 gedreht, dem ehemals klassischen Einwandererquartier. Ist dieser nicht so etwas wie das Zürcher Kinoquartier schlechthin?

H.K.: Stimmt, das hat eine lange Tradition. Denken wir beispielsweise an «Bäckerei Zürrer», einen Film mit Figuren, die meinem Protagonisten ähnlich sind: der Bäckermeister Zürrer und der aus Italien stammende Marroniverkäufer, gespielt von Ettore Cella. 

Wenn man so will, ist «Der Büezer» so etwas wie eine moderne Variante des Spielfilms von Kurt Früh, der 1957 ins Kino kam. In den letzten Jahren hat sich der Kreis 4 jedoch dramatisch verändert und in vielleicht zehn Jahren wird es hier nur noch teure Apartments, Szene- und Trendlokale geben.

swissinfo.ch: Gibt es Kinosäle oder Verleihe, die an deinem Film interessiert sind?

H.K.: Mit diesem Aspekt konnte ich mich bisher noch nicht befassen, mir fehlte schlicht die Zeit dafür. Nach dem Festival werde ich sicher dafür sorgen, dass mein Film möglichst weit herumkommt.

swissinfo.ch: Was hast du für Zukunftspläne?

H.K.: «Der Büezer» ist ein sehr persönlicher Film und ich habe viele Aufgaben selbst übernommen, um ihn realisieren zu können, nicht nur die Regie und Produktion. Der nächste Film steckt bereits in der Pipeline. Ich würde gern weiterhin mit Joel Basman und der bisherigen Truppe zusammenarbeiten. Und dann möchte ich noch, dass es eine Milieu Pictures-Produktion wird, das heisst, ich möchte ihn ebenfalls selbst produzieren. 

Wie schon der Name der Produktionsfirma sagt, soll es ein weiterer Film werden, der in einem bestimmten Milieu spielt, also einer sozialen Gruppe oder einem spezifischen Kontext gewidmet ist. Mehr kann ich dazu nicht sagen.


(Übertragung aus dem Italienischen: Cornelia Schlegel)

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