Schweizer Imagepflege auf Leipziger Literaturbühne
Mit ihrem Auftritt bei der Leipziger Buchmesse will die Schweiz nicht nur das deutsche Lese-Publikum begeistern, sondern auch ihre Vielfalt zum Ausdruck bringen. Dies auch vor dem Hintergrund des Ja der Schweizer Stimmbürger zur Zuwanderungs-Begrenzung.
«Die Schweiz kommt nicht als Gast nach Leipzig.» Das hat Tim Guldimann, der Schweizer Botschafter in Berlin, von Anfang an betont. Die Schweiz sei Teil des deutschen Kulturkreises, deutschschweizerische Literatur Teil der deutschen Literatur. «Auftritt Schweiz» nennt sich der Länderauftritt der Eidgenossen auf der Leipziger Buchmesse 2014 darum – in bewusster Abgrenzung zum Konzept des Gastlandes.
Noch etwas war den Veranstaltern von Anfang an klar: «Wir wollen es anders machen, als alle Länder zuvor. Wir wollen es besser machen!», sagt Thomas Böhm, der Kurator des Länderauftritts. Mit Verve erläutert der Deutsche, wie er und seine Kollegen die Schweizer Literatur auf der zweitgrössten deutschen Buchmesse kommende Woche in Szene setzen wollen.
Die Trägerschaft besteht aus den wichtigsten beteiligten Geldgebern: Pro Helvetia, Präsenz Schweiz/Schweizer Botschaft in Berlin sowie dem Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV.
Projektpartner sind ausserdem Schweiz Tourismus, die Bildagentur Keystone sowie die «Leipziger Volkszeitung» und das Leipziger Magazin «Kreuzer». Die Projektleitung obliegt dem SBVV.
Die Planung und Organisation des «Auftritts Schweiz» liegt in der Hand einer Konzeptgruppe, bestehend aus SBVV-Geschäftsführer Dani Landolf (Leitung, Gesamtkoordination), Thomas Böhm (Kurator, 2011 verantwortlich für Island-Gastauftritt an der Buchmesse Frankfurt, zur Zeit Programmleiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin), Franziska Schläpfer (Kuratorin des Literatur-Programms), Annemarie Hürlimann (Kuratorin Ausstellungen), SBVV-Präsidentin Marianne Sax sowie dem SBVV-Messeteam (Myriam Lang und Nathalie Widmer).
Festival-Charakter
Die rund 70 Schweizer Verlage präsentieren sich in der Messehalle 4 an einem Gemeinschaftsstand, vom Atelier Oї aus La Neuveville als Lesesaal konzipiert. Hier wird ausserdem die von der Schweizerischen Botschaft Berlin initiierte elektronische Literatur-Landkarte der Schweiz gezeigt, auf der die Interessierten 140 literarische Orte in der Schweiz mit Angaben zum Werk, Autor und zur Geografie entdecken können. «So etwas hat es noch nicht gegeben», sagt Böhm.
Die Glashalle der Messe und das Schauspiel Leipzig in der Innenstadt werden zur Bühne für die rund 80 Schweizer Autorinnen und Autoren, die das Programm mit literarischem Leben füllen. Hier lesen zum Beispiel Martin Suter aus seinem neuen Krimi, Jens Steiner aus seinem preisgekrönten Roman «Carambole», für den er mit dem Schweizer Buchpreis 2013 ausgezeichnet wurde, Jonas Lüscher, Melinda Nadj Abonji und Milena Moser. Lukas Bärfuss diskutiert mit Peter Stamm über Privatheit und Gesellschaft und Peter von Matt mit ZEIT-Literaturchef Ijoma Mangold darüber, was Schweizer Literatur ist.
Dorothée Elmiger wird ihren mit Spannung erwarteten Zweitling vorstellen, der Schweizer Autor Martin Walker und die deutsche Germanistin Anica Jonas erklären Interessierten jeden Morgen die Schweiz und im Format «3 Sprachen um 3» spricht Arno Camenisch jeden Tag über die Vielsprachigkeit. Nach dem Volksentscheid vom 9. Februar sind ausserdem einige Spezialveranstaltungen zum «Unbehagen im Kleinstaat» vorgesehen.
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Buchkunst, Schreibkunst, Baukunst
Hinaus zu den Menschen
Neben Lesungen und Gesprächen umfasst das Programm unter anderem Konzerte, Theater- und Filmaufführungen, Rallyes für Kinder sowie einen Poetry-Slam-Länderwettkampf Deutschland-Schweiz. «Der «Auftritt Schweiz» ist mehr als ein Messestand», sagt Böhm.
Tatsächlich wird die Schweiz in Leipzig auch an vielen Orten ausserhalb der Messe präsent sein, und dies bereits vor dem eigentlichen Messebeginn am 13. März. Angefangen beim Bahnhof, wo Schweiz Tourismus mit dem sogenannten «Switzerball» auf deren landschaftliche Schönheit aufmerksam machen will, über die Tram Linie 16, die vom Bahnhof zur Messe führt und in der an allen Haltestellen Durchsagen des Schweizer Künstlerkollektivs «Bern ist überall» in den vier Landessprachen laufen werden.
Weitere Programmpunkte finden im Museum der Bildenden Künste statt. Überall in der Stadt, wo zur Buchmesse Schweizer Literatur und Kultur vorgestellt werden, befinden sich rote Lesebänke. Angelehnt an die bekannten Holzbänke, die in der Schweiz von «Verschönerungsvereinen» an Plätzen mit guter Aussicht aufgestellt werden, hat sie der Designer Moritz Schmid eigens für den Auftritt Schweiz entworfen. Nach Ende der Messe werden die roten Bänke der Stadt Leipzig geschenkt.
Die Leipziger ist nach der Frankfurter die zweitgrösste deutsche Buchmesse und findet jedes Jahr im März statt, dieses Jahr vom 13.-16. März.
Als erster Branchentreff des Jahres gilt sie als wichtiger Impulsgeber für den Büchermarkt. Mehr als 2000 Aussteller aus 43 Ländern präsentieren sich dieses Jahr, 2013 kamen knapp 170’000 Besucher. Im Fokus der Messe steht die Begegnung zwischen Autoren und Publikum, was unter anderem über das Lesefestival «Leipzig liest» mit mehr als 2800 Veranstaltungen an 365 Orten in der Stadt verwirklicht wird.
Wie ein Messekatalog aus dem Jahr 1595 belegt, war die Schweiz bereits im 16. Jahrhundert mit 12 Büchern auf der Leipziger Buchmesse vertreten.
Dank an die Stadt und ihre Bewohner
Alle Besucherinnen und Besucher der Messe bekommen ausserdem ein «Auftritt-Schweiz»-Lesebuch geschenkt – überreicht nicht etwa von Messehostessen, sondern von Schweizer Buchhändlerinnen und Buchhändlern. Zum Programm des «Auftritt Schweiz» gehört nämlich auch ein Buchhändleraustausch, der bereits im Februar mit dem Besuch von 20 sächsischen Buchhändlerinnen und Buchhändlern in der Schweiz begonnen hat. Über diesen Austausch ebenso wie über Lesungen an Schulen oder in den privaten Wohnzimmern von Leipzigern Bürgern erreicht der Auftritt Schweiz ein breites Publikum.
«Die Bänke, die Bücher, die persönlichen Erfahrungen – all das bleibt», ist Böhm überzeugt. «Die Schweiz will sich damit bei den Leipziger Bürgern für eine Jahrzehnte gewachsene literarische Freundschaft bedanken.» Gleichzeitig ist die Buchmesse für die Verleger natürlich eine Chance, Schweizer Bücher in Deutschland bekannter zu machen und so den deutschen Buchmarkt zu erschliessen.
Die Kosten für den «Auftritt Schweiz» betragen laut Böhm rund 650’000 Schweizer Franken und werden etwa zu je einem Drittel von der Schweizerischen Botschaft in Berlin, der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und dem Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) getragen.
Mehr als nur Sorge über Einwanderung
«Für uns ist es ein chronologischer Glücksfall, dass die Messe nach der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar stattfindet», sagt Daniela Stoffel, die Gesandte an der Schweizer Botschaft in Berlin.
«Denn das gibt uns die Möglichkeit, in Leipzig weitere Facetten der Schweiz zu zeigen. Und es zeigt auch, was Kultur alles bewirken kann.» Ob das so kommt und mit wie viel Wohlwollen die Schweizer kommende Woche in Leipzig empfangen werden, wird die Messe zeigen.
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