Schweizer Kultfigur bringt Tourismus Cash
Wenn man Heidi finden will, geht man am besten ins "Heidiland" – es ist kein Vergnügungspark, sondern ein wirklicher Ort in der Ostschweiz, umrahmt von Bergen mit Schnee bedeckten Gipfeln, mit hübschen Dörfern und Schafherden.
«Vor einer Stunde wurde ein Junges geboren! Sie können es jetzt nicht sehen, aber es ist hinter dieser Hütte», sagt die Kassiererin des Souvenirshops im «Heidiland». Ihre Aufregung scheint echt, obwohl sie wahrscheinlich schon Dutzende von neugeborenen Lämmchen gesehen hat.
Die paarhufigen Tiere gehören zum Inventar im «Heidiland» in Maienfeld, Kanton Graubünden. Von einem Dorf zu sprechen wäre übertrieben; es hat hier drei Gebäude für die Besucherinnen und Besucher sowie ein paar bescheidene Unterkünfte für die Tiere. Dennoch besuchen jährlich rund 60’000 Menschen «Heidiland». Das zeigt, dass Heidi – oder eben «Heidiland» – eine Attraktion ist.
Hauptgebäude ist das dreistöckige «Heidihaus», gefüllt mit antiken Gegenständen, die Heidi und ihr Grossvater gebraucht haben könnten. «Diese alten Sachen sind wahrscheinlich wesentlich hübscher als jene, die Johanna Spyri in ihrem Roman beschrieben hat», sagt Museumsführerin Regula Rechsteiner gegenüber swissinfo.ch und weist auf das Steingemäuer im Keller hin. Als das Gebäude für das Projekt verfügbar geworden sei, habe es die lokale Gemeinde unbedingt als Touristenattraktion gestalten wollen.
In einem anderen Gebäude ist ein Johanna Spyri gewidmetes Museum untergebracht. Die Schriftstellerin, deren erster Band von «Heidi» 1880 und der zweite 1881 erschien, war während einem Besuch bei einer Freundin in der Region auf die Idee des Kinderromans gekommen. Laut Rechsteiner basiert Spyris Heldin auf einem kleinen niedliche Mädchen, das nebenan wohnte.
«Heidiland»
Überraschenderweise liegt der Markenname «Heidiland» im «Nirgendwo» bei Maienfeld. Vater des Konzepts war Hans Peter Danuser, der damalige Verkehrsdirektor von St. Moritz. Ziel war es, mehr Sommertouristen anzuziehen, obwohl St. Moritz im über 100 Kilometer von Maienfeld entfernten Oberengadin liegt.
«Ich brauchte ein Image, das bei asiatischen Touristen einfährt», sagt Danuser gegenüber swissinfo.ch. Er wurde auch von einer Heidi-Serie, die das Schweizer Fernsehen 1979 in St. Moritz filmte, inspiriert. Die Marketingstrategie war bei den asiatischen Touristen ein Hit, irritierte jedoch viele Leute in der Schweiz, für welche die bescheidene Heidi-Figur nichts mit dem Glamour von St. Moritz am Hut hat.
«Interessant beim ‹Heidiland› ist, dass der Bezug zur Autorin, Johanna Spyri, kein Produkt sondern eine Person ist – im Gegensatz etwa zum Westschweizer ‹Watch Valley›, das einen direkten Bezug zu einem Produkt, zur Uhr, hat», sagt Monika Bandi vom Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus der Universität Bern. «Im ‹Heidiland› fehlt dieser direkte Bezug ein wenig, und das führte anfangs zu Kontroversen. Die lokale Bevölkerung konnte sich mit dem Markenzeichen nicht identifizieren», so Bandi gegenüber swsissinfo.ch.
Danuser war die erste Person, die mit «St. Moritz» einen geografischen Namen als unternehmerisch-touristische Marke respektive als einen Brand mit Nutzungsrechten registrieren liess. Er erinnert sich noch daran, dass er mit diesen Konzepten scharfe Kritik ausgelöst hatte. «Die Region Maienfeld war böse auf mich, aber es scheint, dass wir nach 30 Jahren eine Interessengruppe gefunden haben, welche die Marke ‹Heidiland›, die ein enormes Potenzial hat, bewirtschaftet», so Danuser.
Vertreter von «Heidiland» und «Heididorf» sowie die nahe gelegenen Grüsch-Danusa-Bergbahnen haben sich zu einem informellen Ideenaustausch getroffen. Es gibt sogar Pläne für einen auf Heidi-Themen basierenden Vergnügungspark, der neben Bahnen auch natürliche Attraktionen bieten soll.
Zusammenhalten
Das «Heidiland»-Marketingbüro liegt in Bad Ragaz im Kanton St. Gallen. Es bezahlt St. Moritz für das Nutzungsrecht des Namens. Die aktuelle Lizenz läuft bis 2029 und wird laut dem Direktor von Heidiland Tourismus, Björn Caviezel, sicher verlängert werden.
«Es ist schwierig, den Erfolg von ‹Heidiland› zu bemessen, aber seit der Lancierung 2009 boomt das Image der Destination, dank besserer Koordination in der Region», sagt Caviezel gegenüber swissinfo.ch.
Verstreut auf 650 Quadratkilometern bieten die 39 Städte und Dörfer im «Heidiland» eine Vielfalt von Attraktionen wie Schlösser und Burgen, Wasserfälle, Thermalbäder und Rebberge an. Laut Caviezel war 2010 ein besonders gutes Jahr, 2011 dagegen «schlecht für alle» in der Schweiz. Die Hotelnächte im «Heidiland» gingen in jenem Jahr um 7% zurück. «Eine Krise kann gut sei, um zu lernen, wie man zusammenhält.» Es gebe einen «Wir-Effekt», so Caviezel.
Monika Bandi ist der Ansicht, das Konzept funktioniere für die Region. «Zu Beginn hatte die lokale Bevölkerung vielleicht Mühe, sich mit der Marke ‹Heidiland› zu identifizieren. Aber heute, würde ich mal sagen, ist der Brand eine Erfolgsstory, und die Region hat davon profitiert.»
Ein Klischee?
Caviezel gibt zu, dass das «Heidiland»-Konzept auf den ersten Blick ein bisschen lächerlich – oder «schafkäsig» – scheinen mag. «Wir sind nicht die Region von Heidi, sondern eher der Werte der Kinderroman-Figur, die auch heute noch aktuell sind: Ehrlichkeit, Reinheit, Gesundheit, Liebe zur Natur und eine bodenständige Mentalität.»
Und obwohl Caviezel weiss, dass ein Tourist, der Golf spielt kaum erwartet, auf Heidi zu treffen, möchte er noch mehr Kapital aus dem Heidi-Charakter schlagen. «Wir versuchen, die Leute noch mehr dazu zu bringen, nach Heidi zu suchen und sie zu finden, aber dazu brauchen wir Partner mit Projekten.»
Zurück im Heidi-Haus, sehen wir das kleine Schweizer Mädchen als lebensgrosse Puppe mit Peter am Küchentisch sitzen. Heidi bringt ihm das Lesen bei. Für ein Touristenpaar aus Saudiarabien, das «Heidiland» am gleichen Tag wie swissinfo.ch besuchte, ein «absoluter Hit». Als Kind habe er einen Heidi-Comic gesehen, «deshalb wollte ich später mal ‹Heidiland› besuchen», sagt der Mann.
Das «Heidi-Haus» wurde 1998 eröffnet, zwei Jahre später folgte das Spyri-Museum.
Es gibt auch die «Heidi-Alphütte» und das «Heidi-Restaurant», die man nach einem 90-Minuten- Marsch vom Dorf bergauf erreicht.
Die Alphütte steht für den Ort, an dem Heidi und ihr Grossvater ihre Sommer mit der Schafherde verbrachten.
Es gibt eine Anzahl von Produkten zu kaufen, die das Heidi-Label tragen. So zum Beispiel Milchprodukte vom Detailhandelsgrosskonzern Migros.
Weiter bietet der Souvenirshop im «Heidiland» Kosmetik-Produkte wie Seifen und Parfums an.
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch