Schweizer Literatur: Langer Weg nach Südosteuropa
Dank Übersetzerinnen und Übersetzern findet Schweizer Literatur den Weg in andere Sprachräume. Ob und wie sie den Weg in den Südosten Europas findet, darüber sprachen an einem Podium während den Solothurner Literaturtagen fünf Übersetzer.
Das Podium hat die Schweizer Kulturstiftung zusammen mit dem europäischen Netzwerk Traduki organisiert. Traduki fördert Übersetzungen von deutschsprachiger Literatur in zehn südosteuropäische Sprachen und umgekehrt.
Übersetzer aus fünf Sprachräumen diskutierten am Podium: Dragoslav Dedovic übersetzt ins Bosnische, Fedia Filkova ins Bulgarische, Drinka Gojkovic ist Serbische, Sanja Lovrenovic ins Kroatische und Amalija Macek ins Slowenische.
Alle stimmten darin überein, dass in ihren Ländern das Interesse an deutschsprachiger Literatur hoch sei: «Ihre Präsenz war und ist sehr hoch in Serbien», sagt etwa Drinka Gojkovic. Es sei jedoch schwierig zu messen, wie hoch ihr Anteil am gesamten Büchermarkt sei.
Die Podiums-Diskussion zeigt jedoch auch, dass der Weg der Schweizer Literatur in den Südosten trotz dem Interesse ein beschwerlicher ist.
Sprachräume weichen (meist) den Landesgrenzen
In der Diskussion werden Schweizer Namen wie Max Frisch oder Daniel Goetsch in einem Atemzug genannt mit den Deutschen Goethe oder Christa Wolf. Der gemeinsame Sprachraum ist für die Übersetzer wichtiger als das Land, aus dem sie kommen.
Mit dem Netzwerk Traduki wird dieser Sprachraum gemeinsam gefördert, denn es wird von schweizerischen, österreichischen und deutschen Institutionen unterstützt. Dass eine solche Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Sprachraum nicht selbstverständlich ist, verdeutlicht Dragoslav Dedovic anhand des Serbokroatischen.
Dedovic ist Autor und Übersetzer und lebt seit 1992 in Deutschland. Er ist in Serbien geboren und in Bosnien aufgewachsen. Die Wirren um die Nachfolgesprachen des Serbokroatischen (kroatisch, serbisch, bosnisch und montenegrinisch) kennt er als Schriftsteller bestens.
Für den Literaturmarkt, und damit auch für die Übersetzungen, bringe das viele Nachteile mit sich, wie Dedovic erklärt: «Heute werden die Bücher dreifach übersetzt. Das ist das Gleiche, wie wenn man jedes Buch in Zürich, Wien und Berlin ins Deutsche übersetzen lassen würde.»
Neue Tonlage dank Diaspora
Schreiben Autoren deutsch, muss das nicht unbedingt heissen, dass sie aus einem deutschsprachigen Land stammen. Dieser Aspekt interessiert Dragoslav Dedovic besonders. Seit fünf Jahren arbeitet er an einer Anthologie. «In diesem Buch möchte ich Texte von deutschsprachigen, aber nicht deutschstämmigen Autoren versammeln», sagt er.
Die Anthologie soll unter anderem Texte von Melinda Nadj Abonji, Marica Bodrozic oder Sasa Stanisic umfassen. Alle drei schreiben nicht in ihrer Muttersprache, sondern deutsch. «Solche Autoren verleihen der deutschen Sprache eine neue Tonlage», ist Dedovic überzeugt und will sie deshalb fördern.
In Serbien, Kroatien oder Bosnien werden diese «Diaspora-Autoren» jedoch kaum wahrgenommen. Nicht nur, weil es zuerst einer Übersetzung bedarf, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen: «Viele Verlage wollen Autoren erst dann übersetzen lassen, wenn sie sehr berühmt sind, denn nur mit ihnen lässt sich auch Geld verdienen», sagt Drinka Gojkovic.
Bücher als teures Kulturgut
Der Büchermarkt hat bereits in der Schweiz einen schwierigen Stand. Die Diskussion zeigt, dass die Situation in Südosteuropa um einiges schwieriger ist, weil die finanziellen Mittel noch knapper sind als in der Schweiz.
«Früher hatten Bücher einen hohen Status. Heute ist das nur theoretisch so, denn die Menschen sind verarmt. Es werden nicht mehr viele Bücher gekauft», sagt Drinka Gojkovic. Mit früher meint sie die Zeit vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien.
Der Krieg Anfang der 1990-er Jahre hat nicht nur auf dem Büchermarkt seine Spuren hinterlassen, sondern auch in den öffentlichen Bibliotheken: «Für Neuanschaffungen fehlt das Geld und Serbien verfolgt keine Kulturpolitik», sagt Gojkovic.
Dass staatliche Unterstützung wichtig ist, zeigt das Beispiel Slowenien: «Die Bücher sind zwar teuer, aber wir haben ein sehr gutes Bibliothekensystem», sagt Amalija Macek. «Pro entliehenes Buch kriegen sogar die Übersetzer einen kleinen finanziellen Beitrag.»
Sandra Grizelj, Solothurn, swissinfo.ch
Von 2009 bis 2011 ist die Übersetzungsförderung ein Schwerpunkt der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Dafür stehen 2,4 Mio. Franken an zusätzlichen Mitteln zur Verfügung.
Damit will Pro Helvetia den literarischen Austausch in der Schweiz fördern, aber auch die Zahl der weltweiten Übersetzungen von Schweizer Literatur erhöhen.
Mit Beiträgen an Übersetzungs- und Promotionskosten sollen ausländische Verlage angeregt werden, Schweizer Buchreihen zu lancieren.
Der Fokus liegt auf dem englischen, spanischen und arabischen Sprachraum.
Belletristik, Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher werden gleichermassen gefördert.
In der Schweiz kombiniert die Pro Helvetia die Verlags- und Übersetzungsförderung. Schweizer Verlage verpflichten sich im Rahmen von zweijährigen Leistungsvereinbarungen, mindestens zwei Bücher aus einer anderen Landessprache zu publizieren.
Zum 33. Mal stand Solothurn über das Auffahrtswochenende ganz im Zeichen der Literatur. Zu den rund 70 Veranstaltungen kamen 11’000 Besucher, was einen neuen Rekord darstellt.
Insgesamt waren 92 Autorinnen und Autoren zu Gast, die aus ihren neuen Büchern oder aus noch unveröffentlichten Texten vorlasen.
Auf dem Programm standen zudem Diskussionen zu aktuellen Themen wie das Verlegen in der Schweiz, das Rezensieren im Internet, das Übersetzen in Südosteuropa sowie Frauenliteratur.
Der grosse Schillerpreis, der zum Auftakt der Solothurner Literaturtage vergeben wurde, ging an den Waadtländer Lyriker, Essayist und Übersetzer Philippe Jaccottet.
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