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Schweizer Schüler lernen Chinesisch

Das Schreiben der chinesischen Schriftzeichen ist für die Schüler eine grosse Herausforderung. swissinfo.ch

Durch das Aufwachsen in einem vielsprachigen Land ist das Erlernen einer Sprache für Schweizer Kinder oft eine Selbstverständlichkeit. Viele sind zweisprachig.

Bisher lernten sie in der Schule mindestens zwei der Landessprachen, in letzter Zeit löst Englisch vermehrt die zweite Landessprache als erste Fremdsprache ab.

Zwölf Schülerinnen und Schüler am Gymnasium (Kantonsschule) in Wettingen im Kanton Aargau haben sich selbst eine zusätzliche Herausforderung gestellt, indem sie freiwillig Chinesisch lernen, eine Sprache, die als eine der schwierigsten der Welt gilt.

In den letzten Monaten haben sie jeweils drei Stunden pro Woche damit verbracht, die Zeichen, Wörter und Intonation zu lernen. Während sie beim Sprechen bereits Fortschritte zeigen, empfinden die Schüler das Schreiben der Zeichen als schwierig.

Gabriel Hüni, einer der Schüler, erklärte gegenüber der Sendung «Schweiz aktuell» von Fernsehen DRS: «Dass Chinesisch schwierig sein soll, ist bloss ein Mythos. In Wirklichkeit ist es nicht viel schwieriger, als Französisch zu lernen. Aber wenn es ums Schreiben der Zeichen geht, dann fühle ich mich wie im Kindergarten.»

Wirtschaftsmacht

Chinesisch wird von 1,3 Mrd. Menschen gesprochen. Es existieren zahlreiche Dialekte, die Hauptsprache ist jedoch Mandarin. Rund 850 Mio. Menschen kommunizieren in Mandarin, das auch die Sprache von Fernsehen, Radios und Zeitungen ist.

Brigit Kölla lehrt Mandarin an der Universität Zürich. Sie sagt, dass die Chinesisch-Studenten nach drei Jahren Unterricht über 1000 Zeichen kennen sollten. «Nach dem Kurs sollten meine Schüler in der Lage sein, einen chinesischen Zeitungsartikel zu lesen oder wenigstens dessen Inhalt verstehen.»

Das privat finanzierte Projekt war die Idee von Rektor Urs Strässle, der die wachsende Wichtigkeit von Chinesisch als Wirtschaftssprache erkannte. «China liegt im Trend. Es ist die führende Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts,» so Strässle gegenüber «Schweiz aktuell».

«An diesem Gymnasium möchten wir unsere Schüler so gut wie möglich auf ihre Zukunft vorbereiten.» Daher finde er es wichtig, Kurse in Chinesisch anzubieten, sagt Strässle. «Insbesondere wenn ich bedenke, dass sich unsere Schule in der Region Baden befindet, die ein dynamischer Wirtschaftsraum mit vielen Exportunternehmen ist.»

Finanzierung

Eine der grossen Firmen in der Gegend ist die Zweigniederlassung des Maschinenbau-Giganten ABB. Der Konzern ist seit über zehn Jahren in China tätig.

Das schweizerisch-schwedische Technologie-Unternehmen subventioniert den frei wählbaren Chinesisch-Kurs in Wettingen mit bis zu 8000 Franken. Es ist das erste Mal, dass ein Unternehmen für einen Kurs an einem Schweizer Gymnasium bezahlt.

Rolf Schaumann, Verwaltungsrats-Präsident von ABB Schweiz, erklärt in diesem Zusammenhang: «Die wirtschaftliche Zukunft des nächsten Jahrzehnts wird sich in Asien entscheiden, insbesondere in China.»

«Für ABB Schweiz sowie für viele andere Schweizer Unternehmen ist China der grösste Exportmarkt. Deshalb denke ich, dass es für uns in der Schweiz wichtig ist, die chinesische Kultur und Sprache in Erfahrung zu bringen.»

Warnung

Aber nicht alle sind glücklich über diese Situation. Der Aargauer Lehrerinnen- und Lehrerverband hat Alarm geschlagen: «Die private Finanzierung der öffentlichen Bildung ist kein Modell, das wir kopiert sehen möchten,» sagt Verbandspräsident Niklaus Stöckli.

«Wer bezahlt, setzt die Regeln. In einer demokratischen Gesellschaft muss die öffentliche Bildung auch öffentlich finanziert werden.»

Aber Strässle erklärt, dass ABB keine direkten Gegenleistungen für die Investition erwarte. «Ich denke nicht, dass wir ABB irgendetwas schulden, und ABB hat nie irgendwelche Bedingungen gestellt.»

Für die Schüler und Schülerinnen, die den Chinesisch-Kurs belegen, ist die Frage, wer bezahlt, sekundär. Was für sie zählt ist, was sie daraus holen können.

Zum Beispiel Leonhard Braun: «Es ist ein grosser Vorteil, Chinesisch zu sprechen. Dadurch verbessern sich eindeutig die Berufsaussichten. Es könnte sogar möglich sein, eine Arbeitsstelle in China zu finden.»

Im Moment befassen sich die Schüler und Schülerinnen noch mit viel Theorie. Aber in einigen Monaten werden sie die Möglichkeit haben, ihre Chinesisch-Kenntnisse zum ersten Mal unter Beweis zu stellen, wenn die ganze Klasse nach Peking reist.

swissinfo, Julie Flood-Hunt
(Übertragung aus dem Englischen: Kieu Duy Tran)

Das Schweizer Bildungssystem ist kantonal geregelt und grundsätzlich in folgende Stufen eingeteilt: Vorschulstufe, Primarstufe, Sekundarstufe I und II, Tertiärstufe. Es gibt kein einheitliches, nationales System.
Die Kinder beginnen teilweise bereits auf der Primarstufe mit dem Erlernen der ersten Fremdsprache – bisher handelte es sich in der Regel um eine der Schweizer Landessprachen. Mehr und mehr Kantone ziehen aber Englisch als erste Fremdsprache in der Schule vor – und der Fremdsprachen-Unterricht beginnt tendenziell früher als noch vor einigen Jahrzehnten.

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