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Schwere Steine, starke Männer, rote Köpfe

Keystone

Steinstösser, Schwinger, volkstümliche Chöre, Tanzgruppen, ein bombastischer Trachtenumzug: Interlaken beging dieses Wochenende ein würdiges 200-Jahr-Unspunnen-Jubiläum.

Und obwohl die Organisatoren alle Veranstaltungen als gleich wichtig anpreisen, ist das traditionelle Unspunnenstein-Stossen die Königsdiziplin.

Allein beim Aufheben des 83,5 kg schweren Unspunnensteins würden die meisten schon aufgeben. Einige Wettkämpfer hatten denn auch sichtlich Mühe, den feuchten, mit Sand bedeckten Brocken in die Höhe zu wuchten.

Dieses Ungetüm aber über 4 Meter weit zu werfen, das gelang bisher nur einem einzigen Mann, dem 35-jährigen Schreiner Markus Maire aus Plaffeien im Kanton Freiburg. 2004 stiess er ihn am Eidgenössischen Schwingfest in Luzern 4,11 Meter weit.

Am diesjährigen Unspunnenfest konnte er seinen Rekord nicht egalisieren. Nach einem Flug von 3,89 Metern hinterliess der Stein seinen Abdruck im Sand. Trotzdem ist das die grösste Weite, die je an einem Unspunnenfest erzielt worden ist.

Maire meinte gegenüber swissinfo, Erfolg hätte er dieses Jahr nur dank seinem jahrelangen Training gehabt. Denn: «Die Vorbereitungen waren nicht optimal, ich musste Verletzungen auskurieren. In einem solchen Fall ist es jeweils eine Gratwanderung zwischen Schonung und Training.» Aber dank seiner Routine konnte er trotzdem als Sieger vom Platz gehen.

Uralte Kraftsportart

Steinstossen war eines der beliebtesten Kraftspiele der Hirten und Sennen in der Urschweiz. Bereits im Jahre 1508, wie in Diebold Schillings Chronik nachzulesen ist, übten sich beim Klosterdorf Einsiedeln ausländische Söldner beim Steinstossen.

Und 1315 sahen sich die Luzerner Behörden gar veranlasst, das Steinstossen im Kirchhof zur Kapelle zu verbieten.

Aus dem Spiel der alten Eidgenossen konnte aber auch blutiger Ernst werden, wie die Schlachten beim Morgarten 1315, Laupen 1339 und Näfels 1388 zeigten. Dort spielten Steine gar schlachtentscheidende Rollen.

Neuer, nicht so kriegerischer Aufschwung

Seit Ende der 1980er-Jahre erlebt das Steinstossen einen neuen Aufschwung. Es werden auch Schweizermeisterschaften ausgetragen – nicht nur von Männern, denn Frauen messen sich inzwischen auch gern in dieser urchigen Sportart.

Je nach Kategorie werfen die Steinstoss-Athletinnen Steine von 4 bis 12,5 kg, und ihre männlichen Kollegen versuchen sich an Brocken von 8 bis 40 kg.

Schwingerkönig wird man nicht einfach so

Swiss Wrestling, wie das traditionelle Schwingen im englischsprachigen Ausland betitelt wird, wird oft als die schweizerische Nationalsportart bezeichnet. In Interlaken traten aber nicht nur die grossen «Bösen» gegeneinander an.

So zeigte das Jugendschwingen, dass sich früh üben muss, wer ein Schwingerkönig werden will. Die jugendlichen Nachwuchs-Champions versuchten ihre Kontrahenten mit demselben Ernst ins Sägemehl zu hebeln wie ihre erwachsenen Kollegen.

Denn das Ziel bleibt dasselbe: So vielen besiegten Gegnern wie möglich das Mehl von den Schultern klopfen zu können.

«Ja, auch volkstümliche Musik …»

«Brav» in Trachten volkstümlich gekleidet traten am Samstag die Kinderjodler-Chörli auf. Einmal von der Bühne, blieben sie zwar brav gekleidet, aber nicht mehr so artig. Man merkte: Hier waren «richtige» Kinder am Werk.

Erkundigte man sich bei den jugendlichen Jodlern, ob sie nur an volkstümlicher Musik interessiert seien, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: «Nein, genauso mögen wir Punkrock und Hiphop».

Viele sind dabei, weil ihre Eltern auch aktiv Volksmusik machen. Für Nachwuchs in der Szene ist also gesorgt.

Alpenländische Exotik

Die sonst eher als reserviert und zurückhaltend geltenden Schweizerinnen und Schweizer brachen in Interlaken immer wieder aus diesem Klischee aus. Trachtengekleidete Menschen vollführten auf den für einmal autofreien Strassen spontane Tänzchen.

Und sofort scharten sich Menschen um sie. Ganz vorne dabei: Japaner, Russen, Amerikaner. Und sie staunten!

Sogar ein südkoreanischer Fernsehsender war vor Ort. Der zierliche Reporter wirkte neben den voluminösen Unspunnenstein-Stössern wie ein kleiner Junge. Und wenn seine Sendung zur Ausstrahlung gelangt, wird man seinen Bericht bestimmt als ziemlich exotisch empfinden.

Sichtlich fasziniert verfolgten die aus der ganzen Welt nach Interlaken gereisten Menschen das für sie fremdartige Spektakel. Wer aber machte ihnen klar, dass dieses fröhliche Brauchtum nur eine Seite der Schweiz repräsentiert? Und ob dieser Seite staunten übrigens auch viele Schweizerinnen und Schweizer.

swissinfo, Etienne Strebel, Interlaken

Tausende von Trachtenleuten, Alphornbläsern, Jodlern, Steinstössern, Schwingern und Zehntausende von Zuschauerinnen und Zuschauern: das Unspunnenfest ist der wohl bedeutendste Folkloreanlass der Schweiz.

Die 200-Jahrfeier wurde nach dem Hochwasser vom August 2005 um ein Jahr verschoben.

Das erste Hirtenfest auf der «Unspunnenmatte» bei Interlaken im Berner Oberland wurde am 17. August 1805 durchgeführt.

Zum ersten und 1808 zum zweiten Fest erschienen mehr als 3000, auch blaublütige Gäste aus ganz Europa: in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht ein Erfolg, schrieben die Organisatoren damals.

Die Unspunnenfeste markierten den Beginn des Tourismus im Berner Oberland.

Während 100 Jahren blieb die Unspunnenmatte indes vom Festtrubel verschont. Im Jubiläumsjahr 1905 wurde das Fest denn auch aus touristischen Gründen wieder belebt.

Weitere Grossanlässe folgten 1946, 1955, 1968, 1981 und 1993.

Zum letzen «Unspunnen» vor 13 Jahren strömten etwa 60’000 Besucherinnen und Besucher auf die Interlakner Höhenmatte.

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