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Schwierige Unabhängigkeit für die tunesischen Medien

"Fass mein Radio nicht an" - Kundgebung von Journalistinnen und Journalisten im vergangenen Mai in Tunis. AFP

Tunesische Radio- und TV-Sender und die Presse bereiten sich auf die Wahlen vom 23. Oktober vor für die verfassungsgebende Versammlung. Dazu wurden zwischen Radiostationen und NGO, wie der schweizerischen Stiftung Hirondelle, Partnerschaften geschlossen.

Die Stiftung Hirondelle mit Sitz in Lausanne hat bereits mehrere Radiostationen in kriegsgeschädigten Ländern auf die Beine gestellt, so in der demokratischen Republik Kongo, in Liberia, im Kosovo. Nun unterzeichnete sie am 26. August ein Übereinkommen  mit dem offiziellen Radio von Tunesien.

«Der von der Übergangsregierung gewählte Generaldirektor des nationalen tunesischen Radios beauftragte die Stiftung Hirondelle, die Organisation bei der Berichterstattung über die Wahlen zu unterstützen. Die tunesischen Journalisten haben in diesem Bereich keine Erfahrung – in den letzten 30 Jahren der Diktatur wurde keine reelle Wahl durchgeführt. Die Unterstützung wurde ausdrücklich gewünscht für die Ausarbeitung einer Wahlcharta und die Entwicklung eines speziellen Programmrasters für die Wahlen», erläutert die Stiftung in ihrem Informationsblatt.

Und präzisiert: «Um die Finanzierung zu sichern, folgte die Stiftung Hirondelle einem Aufruf der amerikanischen Regierung. Sie unterstützt den Übergang in Tunesien mit einem Projekt, das auf fünf Säulen beruht: Unterstützung bei den Wahlen, Stärkung der Zivilgesellschaft, Öffnung der Medien, Förderung der Wirtschaft und die Durchsetzung des Rechtstaats.»

Samuel Turpin, der in diesem Projekt mitarbeitet, fügt hinzu: «Wir wollen keine neue Radiostation aufbauen, wie wir das anderswo gemacht haben, denn das Netz des nationalen tunesischen Radios mit seinen neun Sendeketten (vier nationale und fünf regionale Radiostationen) deckt das Land ab. Wir stehen beratend zur Seite und vermitteln unser Fachwissen, wohl wissend, dass Entscheide gemeinsam gefällt werden, so wie es im Übereinkommen festgelegt wurde.»

Eigene Interessen im Vordergrund

Nach dem Vorbild von Radio Hirondelle bieten mehrere Organisationen und Medienunternehmen Ausbildungen und Hilfestellungen für die tunesischen Journalisten auf ihrem Weg zur Erlernung der Demokratie.

«Ausbildung ist gut. Wir haben sie bereits von der BBC und von Radio Monte Carlo erhalten. Doch der Journalist lernt draussen im Feld immer noch am meisten. Es sind oft eigene Interessen, die sich hinter der angebotenen Hilfe ausländischer Institutionen verstecken. Die Revolution und der Übergang haben ihre Besonderheiten, wir müssen uns darin zurechtfinden und unsere eigenen Standpunkte erarbeiten», sagt der Journalist Aouatef Mzoughi von der Kulturabteilung des staatlichen tunesischen Radios.

«Seit dem 14. Januar (Sturz von Ben Ali, Anm. d. Red.), haben die Redaktionen des staatlichen Radios die Sache mit viel Ambitionen an die Hand genommen. Wir können jedes Thema behandeln, ohne Tabu, im Gegensatz zum staatlichen Fernsehen, das stärker dem Druck und dem Einfluss der Kader des ehemaligen Regimes ausgesetzt ist.»

Alte Hierarchien

Dieser Ansicht ist auch Najiba Hamrouni, Präsidentin der nationalen tunesischen Journalistengewerkschaft. «Nach der Revolution wurden neue Chefs an die Spitze des staatlichen Radios und Fernsehens gewählt. Doch die andern Kaderleute, die damals unter Ben Ali gewählt wurden, sind immer noch da, und ihr Kontrollsystem ist beim Fernsehen stärker verankert als beim Radio. Ihre Chefs versuchen immer noch, sich in die Arbeit der Journalisten einzumischen.»

Samuel Turpin vertritt eine andere Meinung. «Unsere tunesischen Partner machen folgende Feststellung: Nach dem 14. Januar herrschte Redefreiheit, die auch von allen möglichen sprachlichen Ausrutschern begleitet war. Dies führte zu Unsicherheiten und Spannungen. Korrigierende Bemerkungen wurden als Zensur aufgefasst, es ging um die Ausgewogenheit der Berichterstattung und die Offenlegung und Nennung von Quellen.»

Um die Freiheit der Journalisten besser zu gewährleisten, werden zur Zeit neue Richtlinien ausgearbeitet, die noch vor den Wahlen am 23. Oktober in Kraft treten sollen. Sie sind jedoch unter gewissen Journalisten umstritten.

Dazu gesellt sich nach Ansicht von Najiba Hamrouni ein weiterer Anreiz für die Qualitätsmedien: «Der Hunger nach Information ist riesig, und die tunesischen Bürger vergleichen die nationale journalistische Produktion mit jener von internationalen Sendern und Medien.»

Der Einfluss Libyens

 

Der regionale Kontext hat zwar keine direkte Auswirkung auf die Stärkung der Unabhängigkeit der Medien. Doch die Aussicht auf ein befreites Libyen kann den Übergang zur Demokratie des Nachbarn Tunesien nur begünstigen.

«Wenn sich Libyen stabilisiert, wird sich dies auf die Sicherheit und die Wirtschaft Tunesiens direkt auswirken», sagt Hamrouni. «Viele libysche Flüchtlinge wurden von tunesischen Familien aufgenommen, und viel Tunesier arbeiteten in Libyen. Die Wiederaufnahme des Austauschs und des Verkehrs zwischen den zwei Ländern ist doch eine sehr erfreuliche Perspektive.»

Die Stiftung Hirondelle ist eine Schweizer Nichtregierungs-Organisation (NGO) und wird von Journalisten und Berufsleuten aus dem humanitären Bereich geleitet.

Seit 1995 entwickelt und unterstützt die Stiftung bürgernahe und unabhängige Medienprojekte sowie Radiostationen in Krisengebieten, lokalen Konfliktregionen und Nachkriegsgebieten.

Die Stiftung Hirondelle entwickelt volksnahe Medien und strebt nach einer grossen Zuhörerschaft.

Die Stiftung legt grössten Wert auf Glaubwürdigkeit ihrer Medien, beruhend auf einem streng  faktenbezogenen Journalismus. Sie verbietet sich jeglichen Kommentar auf Sendung. Einzig die Mitarbeiter, die aus den Ländern stammen, aus denen gesendet wird, äussern sich im Sender.

(Quelle: Fondation Hirondelle)

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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