Schwyzerdütsch erheitert Italien

Beschimpfungen in Schweizerdeutsch erheitern seit Monaten das italienische Radiopublikum auf dem dritten staatlichen Kanal Radio 3 von RAI.
Eine halbe Million Zuhörerinnen und Zuhörer lauscht und versteht kein Wort – besser gesagt kein Schimpfwort.
Seit vergangenen September läuft auf Radio 3 des staatlichen italienischen Senders RAI jeden Samstag früh um 9.30 Uhr eine Sendung namens «Razione K». Darin eine Komik-Sequenz in Schweizer Dialekt.
Es handelt sich um eine kulturelle Sendung, die von den zwei Autoren – Gaetano Cappa und Marco Drago – als metaphysisch bezeichnet wird. Die Protagonisten sind die so genannten «Füdlibürger».
In kurzen Sequenzen von 30 Sekunden spielen zwei Schauspieler ein ergrautes Ehepaar, das sich gegenseitig beschimpft. Dies alles in bestem Züridütsch und mit einer höchst skurrilen Wortwahl.
Das Rahmenprogramm für den Schlagabtausch bildet ein fiktiver Supermarkt, in dem die beiden einkaufen. Dort besorgen sie sich ihre Ration für den wöchentlichen Krieg, eben die so genannte «razione k».
«Metaphysische» Logik
«Die Zeiten sind nun mal so, wie sie sind», sinniert Autor Gaetano Cappa im Gespräch mit swissinfo. «Der Krieg, die Unsicherheit, steigende Preise. Das Leben ist heute voll von Unbekannten. Deshalb muss man einen Vorrat an Sicherheiten anlegen. Man weiss ja nie.»
Was hat dies aber mit den 30-Sekunden-Sketches in Schweizerdeutsch zu tun, die ab und zu in die Sendung eingestreut und von eingespieltem Applaus unterbrochen werden?
«Razione K ist eine Sendung, die mit Paradoxen arbeitet», meint Cappa. Die Szenen auf Schweizerdeutsch, die niemand verstehe, erfüllten somit eine metaphysische Aufgabe.
Schweizer Paradox
Die Füdlibürger sind als Ausschnitte von Situationskomik gedacht, wie sie in den 70er Jahren im Schweizer Fernsehen liefen. Vorgestellt werden die Streitigkeiten zweier älterer und giftiger Eheleute, die sich gegenseitig nicht mehr ertragen und daher beschimpfen.
«Es wird keinerlei Archivmaterial verwendet. Alle Sequenzen sind neu erfunden», erklärt Cappa. Sie führten in eine Welt und Kultur, die einerseits unverständlich, aber zugleich auch beruhigend sei. Die Schweiz sozusagen als heile und unberührte Insel.
Der Bezug zur Schweiz ist kein Zufall. Unser Gesprächspartner machte seine Matura am Gymnasium von Chur, nachdem er die Schweizer Schule von Mailand besucht hatte. So entstand seine Leidenschaft und sein Interesse für die Eidgenossenschaft.
Schweizer Komplexität
«Wir nehmen die Schweizer und ihr Land keineswegs aufs Korn, wie uns vorgeworfen wurde», sagt Cappa. Die Dialoge seien nichts anderes als ein Vorwand, um das komplexe Schweizer System klar zu machen.
Bei den Schauspielern handelt es sich um eine Person mit Westschweizer Wurzeln (Pascal Richard) sowie einen Holländer (Jan van Lamsweerde). Eigentlich haben beide nichts mit den Deutschschweizern am Hut – und doch repräsentieren sie besonders gut die aus mehreren Identitäten und Sprachen bestehende Schweiz.
Bei den Zuhörern von Radio 3 hat dieses «Gebabbel» im Stil von Dario Fo einen riesigen Erfolg. «Die Leute sind neugierig geworden, weil sie nichts verstehen. Und weil sie nichts verstehen, fangen sie an nachzudenken», schliesst Gaetano Cappa.
swissinfo, Paolo Bertossa, Rom
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Die Sendung «razione K» auf dem staatlichen italienischen Radiokanal RAI 3 läuft jeden Samstagmorgen um 9.30 Uhr.
Die Sketche basieren auf Schimpfwörtern und Beleidigungen zwischen den beiden Schauspielern.
«ratione K» enthält jeweils eine Sequenz in Schweizerdeutschem Dialekt namens «Füdlibürger», die von einem Schweizer und einem holländischen Schauspieler interpretiert wird.
Die Sendung wird regelmässig von rund 500’000 Personen gehört.

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