«Sie fragten, ob wir nun total durchgeknallt seien»
Kann man einfach Karriere und Erfolg in der Schweiz aufgeben, um nach Myanmar auszuwandern? Lucia und Felix Eppisser haben es getan und alle Vorbehalte ihrer Freunde in den Wind geschlagen. Offenbar zu Recht: Heute führen sie Ranguns bestes Restaurant.
Zwei Dinge fallen im Restaurnt «Le Planteur» sofort auf: Die ganzen Oldtimer, die vor dem Eingang parkiert sind und die unglaubliche Freundlichkeit der Gastgeber.
Lucia und Felix Eppisser haben in Rangun (Yangon), der grössten und wichtigsten Stadt Myanmars, ihr kleines Paradies gefunden.
Das Paar liebt Asien und seine Bewohner. «Myanmar hat noch einen sehr authentisch asiatischen Charakter. Traditionen und Spiritualität werden auf eine Weise gelebt, die in anderen Ländern dieser Region bereits verloren gegangen ist», sagt Lucia Eppisser. «Langeweile ist hier unmöglich», fügt Ehemann Felix an.
Seid ihr verrückt geworden?
Das Deutschschweizer Paar kann auf eine langjährige und erfolgreiche Karriere in der Gastronomie zurückblicken. Dabei legten Sie stets grossen Wert auf eine aussergewöhnliche und kreative Küche.
Im Kanton Zürich führten sie zuerst das historische Lokal Bären in Nürensdorf. Dann folgte das renommierte Restaurant Rigiblick in Zürich, das auch einen Michelin-Stern erhielt. Die Menus von Felix Eppisser wurden von der Fluggesellschaft Swiss für ihre Kunden in Erst- und Business-Klasse übernommen.
Trotz ihres kulinarischen und finanziellen Erfolgs beschloss das Ehepaar Eppisser, alles aufzugeben und seinen Traum vom Leben in Asien zu verwirklichen. «Wir sind diesem Erdteil sehr verbunden, denn wir lebten mehrere Jahre in Indien, Indonesien und Vietnam, wo wir auch Projekte für Strassenkinder unterstützten», erzählt Lucia.
Als sich die Gelegenheit ergab, ein Restaurant in Myanmar zu übernehmen, haben die beiden keinen Moment gezögert. «Während einer Reise traf ich zufällig den Betreiber von ‹Le Planteur›. Es war ein Walliser, der in die Schweiz zurückkehren wollte. Er schlug uns vor, das Restaurant zu übernehmen, das damals schon einen hervorragenden Ruf besass», so Eppisser.
Zuhause in der Schweiz reagierten Freunde und Bekannte mit wenig Verständnis. «Sie fragten uns, ob wir verrückt geworden seien. Niemand hat uns verstanden, auch weil dieser Beschluss in die Zeit vor den Wahlen von 2010 fiel, als noch die Militärregierung am Ruder war.»
Geburtstagsfest von Aung San Suu Kyi
Anfang 2011 hat das Schweizer Ehepaar dann das Restaurant mitsamt allem Inventar übernommen: Personal, Hühner, Oldtimer. «Diese haben wir benutzt, um unsere Kunden abzuholen», sagt Lucia.
Die Wahl der beiden Schweizer Emigranten hat sich offenbar gelohnt. Das Restaurant befindet sich in einer weitläufigen Anlage aus der Kolonialzeit der 1920er-Jahre, mitten im Zentrum von Rangun. Es wird als bestes Restaurant der Stadt bezeichnet .Es gibt so viele Reservationen, dass in der Hochsaison die Zahl der Köche, Gärtner und Arbeiter von 35 auf 50 aufgestockt werden muss.
Unter den Kunden, die für ein Menu 50 Dollar und mehr auf den Tisch legen, sind nicht nur Regierungsmitglieder, Diplomaten und Geschäftsleute. «Wir haben auch Scheiche, die Prinzessin von Kasachstan und letztes Jahr sogar die burmesische Oppositionsführerin Aung Suu Kyi bewirtet. Sie feierte hier ihren Geburtstag», verrät Lucia.
«Schweizer Schokolade» aus Bangkok
Nicht alles ging hier leicht. So musste das Personal eine lange und intensive Ausbildungsphase durchlaufen. «Manche hatten überhaupt keine Erfahrung. Wir mussten ihnen sogar erklären, was eine Karotte oder Kartoffel ist», erinnert sich Felix Eppisser.
Bis heute verbringt der Bündner Küchenchef viel Zeit damit, die Arbeit des Teams am Herd zu überwachen: «Es braucht Geduld, aber das geht schon in Ordnung.»
Für die Speisen und Weine verfügen die Schweizer über gute Kontakte, um Waren aus Europa importieren zu können. Im Vorratskeller des Restaurants lagern auch traditionelle Schweizer Produkte wie Käse und Schokolade.
«Wir kennen einen sehr guten Schokoladenhersteller, nicht in der Schweiz, aber in Bangkok», sagt Lucia Eppisser. Für die Frischwaren greift man vor allem auf das zurück, was sich auf dem Wochenmarkt finden lässt: «Da muss man sich anpassen, aber manchmal findet man selbst die einfachsten Dinge wie eine Ananas nicht.»
Gute Arbeitsbedingungen
Der Alltag ist natürlich komplizierter als in der Schweiz. Manchmal gibt es bis zu zehn Stromunterbrüche am Tag, dann geht es wieder reibungslos für eine Woche. Trotzdem wollte das Paar nie aufgeben.
Mit der vor kurzem eingesetzten Öffnung des Landes kommen immer mehr Touristen und Geschäftsleute nach Rangun. Viele Unternehmer bringen eigene Manager und Fachleute mit, weil sich vor Ort kein qualifiziertes Personal finden lässt. Die Einheimischen können nur die einfachsten und schlecht bezahlten Tätigkeiten verrichten.
Im «Le Planteur» arbeitet ausschliesslich Personal aus Burma (abgesehen von einem philippinischen Koch), und die Lohnbedingungen sind vergleichsweise gut. Die Mitarbeitenden erhalten zwei freie Tage pro Woche und vier bis sechs Wochen Ferien pro Jahr. Der Normalfall in Burma sind acht bis zehn Tage.
Die Schweizer übernehmen auch die Grundkosten für medizinische Versorgung und Fahrkosten ihrer Angestellten. Ausserdem erhalten diese drei Mahlzeiten am Tag. «Wir wollen unsere Erfahrungen teilen und zu einem positiven Wachstum der Gastronomie beitragen», sagen die beiden.
Immer etwas los
Die Erfahrungen in Myanmar beschränken sich nicht auf die Arbeit. «Wir haben auch Zeit, Freunde zu treffen, und im Restaurant führen wir häufig interessante Gespräche mit unseren Kunden. In Zürich passierte so etwas nie. Alle war eilig und introvertiert», so Lucia Eppisser.
Zudem geschieht immer irgendetwas Unvorhergesehenes. So fiel kürzlich ein Arbeiter vom Dach. Er war davon ausgegangen, einige Eichhörnchen aus dem Dachstuhl zu holen. Doch dann handelte es sich um eine Zibetkatze. Der Arbeiter erschrak beim Anblick des Raubtiers derart, dass er prompt hinunterfiel.
In dieser Nacht mussten die Wirte im Hotel schlafen. «Ich werde das Datum nicht vergessen: Es war Freitag, der 13.», sagt Lucia. Sie hat auf den Vorfall so reagiert, wie es in Asien üblich ist: Mit einem Lächeln.
Die ehemalige britische Kolonie Birmania (amtlich: Republik der Union Myanmar) erhielt 1948 ihre Unabhängigkeit. Das Land ist auch unter dem Namen Birma beziehungsweise Burma bekannt.
Ein Staatsstreich setzte 1962 der jungen Demokratie ein Ende und installierte eine Militärherrschaft. Das Land war seither international isoliert.
Im August 1988 wurden Studentenproteste vom Militär blutig niedergeschlagen. Es gab Tausende von Toten und Verletzten.
Bei den Wahlen von 1990 erhielt die Nationale Liga für Demokratie (unter Führung der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi) 80% der Stimmen. Die Militärregierung gab aber die Macht nicht ab und verhaftete Suu Kyi sowie andere Führungspersönlichkeiten der Partei.
Im September 2007 wurden Aufstände von buddhistischen Mönchen blutig niedergeschlagen.
Im November 2010 finden die ersten Wahlen nach einer Pause von 20 Jahren statt. Aung San Suu Kyi wird vom Hausarrest entlassen.
Thein Sein, ein Ex-General, wird im Februar 2011 zum ersten zivilen Präsidenten des Landes ernannt.
Am 1.April 2012 wird Aung San Suu Kyi ins Parlament von Myanmar gewählt. Angesichts der Reformen heben die Schweiz und andere Staaten die wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land auf.
Am 13.Juni 2012 empfängt die Schweiz Aung San Suu Kyi offiziell als erstes europäisches Land.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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