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«Sie kämpften auf der richtigen Seite»

Legionari nel deserto
Erste Kämpfe bei Bir Hakeim in Libyen: Legionäre der Freien Französischen Streitkräfte (FFL) halten den Vormarsch der deutschen Truppen mehr als zwei Wochen lang auf. 27. Mai bis 11. Juni 1942. Universal Images Group Via Getty / Photo 12

Während des Zweiten Weltkriegs kämpften mehr als 460 Schweizer und Schweizerinnen in den Reihen der französischen Résistance. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wurden viele von ihnen zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie im Ausland Militärdienst geleistet hatten. Eine parlamentarische Initiative will sie nun rehabilitieren.

Mit dem Verbot in der Bundesverfassung, für fremde Mächte Militär- oder Kriegsdienst zu leisten, soll ein Wiederaufleben der Schweizer Söldnerwesens verhindert werden.

Paul Aschwanden, 1922 im Kanton Schwyz geboren, ist das jüngste von fünf Geschwistern. Seine Eltern trennten sich, als er zwei Jahre alt war, und seine Mutter brachte ihn in einem Kinderheim unter. Nach dem Abschluss der obligatorischen Schule hatte er Mühe, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Er brach eine Lehre in einer Lackiererei ab und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, als Landarbeiter, Hilfsarbeiter und Laufbursche.

Im Jahr 1940, kurz vor der deutschen Offensive an der Westfront, überquerte er in Basel die französisch-schweizerische Grenze und meldete sich in Mülhausen freiwillig bei der Fremdenlegion. Da war er 18 Jahre alt.

Nach einer sechsmonatigen militärischen Ausbildung in Algerien musste er sich entscheiden, ob er gegen die britischen Truppen im Nahen Osten kämpfen oder lieber Strassen in der Sahara bauen wollte. Paul entschied sich für die zweite Möglichkeit. Nach der Landung der Amerikaner in Marokko und Algerien im März 1943 schloss er sich mit anderen ehemaligen Fremdenlegionären den Alliierten an und trat in die Freien Französischen Streitkräfte (Forces françaises libres FFL) von General de Gaulle ein.

Paul nahm am Italienfeldzug teil und landete dann im August 1944 in der Provence. Er erhielt als Anerkennung einen «Kreuzorden» und wurde zum Unteroffizier befördert. Im September 1945 kehrte er in die Schweiz zurück. Dort wurde er zu einer viermonatigen bedingten Haftstrafe wegen fremden Kriegsdienstes verurteilt.

Paul Aschwanden
Paul Aschwanden (links) in der Sahara (Schweizerisches Bundesarchiv). Archivio federale svizzero

Genauso wie Paul Aschwanden waren die meisten Schweizer Bürger, die in der französischen Widerstandsbewegung (Résistance) kämpften, ehemalige Fremdenlegionäre, die sich der FFL angeschlossen hatten. Andere arbeiteten im besetzten Frankreich, bevor sie sich den bewaffneten Anti-Nazi-Einheiten anschlossen; die Hälfte von ihnen hatte die doppelte Staatsbürgerschaft. Andere verliessen die Schweiz, um sich den französischen Partisanenverbänden (Forces françaises de l’intérieur, FFI) anzuschliessen.

Viele Schweizer Freiwillige stiessen in Nordafrika und in England zur Résistance, wo General de Gaulle ehemalige Fremdenlegionäre für die Befreiung Frankreichs gewinnen konnte.

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Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wurden 200 dieser Kämpfer zu bedingten oder unbedingten Gefängnisstrafen verurteilt. Einige wurden aus der Armee ausgeschlossen oder verloren ihre politischen Rechte. Andere blieben in Frankreich, um den Strafen zu entgehen. Wieder andere, die in der Schweiz bereits in Abwesenheit verurteilt worden waren, starben im Kampf.

Wer waren die Schweizer Widerstandskämpfer?

«Die Schweizer Widerstandskämpfer waren keine homogene Gruppe», sagt der Schweizer Historiker Peter Huber, Autor des Buches In der Résistance. Schweizer Freiwillige auf der Seite Frankreichs (1940-1945)Externer Link  (erschienen im Jahr 2020 im Chronos-Verlag/Zürich). In diesem Werk wurden erstmals die Lebenswege von Schweizer Kämpfern in der französischen Résistance, ihr militärisches Schicksal und die Folgen ihrer Rückkehr in die Schweiz rekonstruiert und beschrieben.

In den meisten Fällen waren die Schweizer Freiwilligen proletarischer oder kleinbürgerlicher Herkunft. Sie waren jung, kamen oft aus schwierigen Familienverhältnissen; hatten Probleme in der Schule oder im Beruf. Viele von ihnen waren vorbestraft, in der Regel wegen typischer kleinkrimineller Delikte (beispielsweise Diebstahl oder Landstreicherei).

Im Gegensatz zu den Freiwilligen aus der Schweiz, die sich im Spanischen Bürgerkrieg engagierten, hatten sie jedoch kaum Erfahrungen politischer Natur.

Ausweis der FFL
Der Berner Buchhalter Louis Germiquet floh 1942 nach Algerien, um einer Verhaftung zu entgehen. Im Jahr 1943 meldete er sich freiwillig bei den Truppen von De Gaulle und kämpfte in Italien und Frankreich. (SHD) SHD

Einige der freiwilligen Widerstandskämpfer, wenn auch nicht die Mehrheit, hatten eine antifaschistische Einstellung. Andere kämpften aus patriotischen Motiven, vor allem solche mit französisch-schweizerischer Doppelbürgerschaft. Andere wiederum hofften durch ihren Einsatz, ihre Alltagsprobleme zu überwinden.

Bei den Fremdenlegionären war die Entscheidung, sich der Widerstandsbewegung anzuschliessen, auch eine Frage des Überlebens. «Bei fast allen Schweizern in der Résistance ist jedoch eine gewisse Erschütterung angesichts der Demütigung Frankreichs und des Grössenwahns Hitlers zu spüren», meint Huber.

Auf dem Weg zur Rehabilitierung

Bereits 2006 verlangte eine parlamentarische InitiativeExterner Link die Rehabilitierung ehemaliger Anti-Faschismus-Kämpfer:innen. «Die Strafurteile gegen die Schweizerinnen und Schweizer, die im Spanischen Bürgerkrieg und in der Résistance für die Demokratie gekämpft haben, seien aufzuheben», heisst es im Wortlaut der damaligen Initiative.

Drei Jahre später rehabilitierte das Schweizer Parlament diejenigen, die an der Seite der spanischen republikanischen Truppen gekämpft hatten, während diejenigen, die sich der französischen Résistance angeschlossen hatten, ausgeschlossen blieben. Dieser Ausschluss wurde mit einem Mangel an Informationen und historischer Recherche begründet, insbesondere über die Beweggründe der Freiwilligen.

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Mit der im Jahr 2020 publizierten Forschungsarbeit von Peter Huber wurde die wissenschaftliche Grundlage geschaffen, um die Frage neu zu überdenken. Zwei parallel eingereichte parlamentarische Initiativen von Stefania Prezioso, Nationalrätin des «Ensemble à Gauche» (Grüne Fraktion), und Lisa Mazzone, Genfer Ständerätin der Grünen, fordern die formelle Rehabilitierung der Schweizer Freiwilligen in der französischen Résistance ohne finanzielle Entschädigungen.

«Wie es der Bundesrat in Bezug auf die rehabilitierten Kämpferinnen und Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg sagte, decken sich die damaligen Urteile nicht mehr mit dem heutigen Gerechtigkeitsempfinden», heisst es wörtlich in der parlamentarischen InitiativeExterner Link von Stefania Prezioso, welche Lisa Mazzone als VorstossExterner Link mit gleichem Inhalt im Ständerat eingereicht hat.

Hubers Untersuchung zeigt kein einheitliches Bild in Bezug auf die Gründe, welche Schweizer Freiwillige damals bewegten. Neben noblen Motiven gab es häufig auch opportunistischen Überlegungen. Was spricht also für eine bedingungslose Rehabilitation? «Schweizer Kämpferinnen und Kämpfer in der französischen Résistance trugen, unabhängig von ihren Beweggründen, zur Niederschlagung des Nazifaschismus und damit zum Überleben der Schweiz bei», so Huber.

«In einer Zeit, in der wir ein Wiederaufleben faschistischer Gesinnungen erleben und in der unverhohlen versucht wird, Nazifaschisten mit Widerstandskämpfern gleichzusetzen, ist es wichtig, zwischen denjenigen zu unterscheiden, die auf der richtigen Seite gekämpft haben», meint Stefania Prezioso.

«Es geht nicht darum, Helden zu feiern. Aber die Rehabilitierung stellt eine Möglichkeit dar, die demokratischen Werte zu bekräftigen, die im antifaschistischen Kampf verteidigt wurden und heute in Frage gestellt werden.»

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat am 29. Oktober mit grosser Mehrheit beschlossen, der parlamentarischen Initiative Folge zu leisten. Die Schweizer Freiwilligen in der französischen Résistance könnten somit bald die gleiche verspätete Anerkennung erhalten wie die Freiwilligen in Spanien und diejenigen, die den von den Nazis verfolgten Flüchtlingen halfen.

Der versteckte Widerstand

Über die Frage der Rehabilitierung hinaus kommt Peter Hubers Recherchearbeit auch das Verdienst zu, die Aufmerksamkeit zumindest teilweise auf die Beteiligung von Zehntausenden von Ausländern an der Befreiung Frankreichs gelenkt zu haben – darunter 30’000 Soldaten aus den afrikanischen Kolonien südlich der Sahara.

«Nach 1945 geriet dieser Anteil von ausländischen Widerstandskämpfern in Vergessenheit, weil die Résistance zu Identitätszwecken ’nationalisiert› wurde», sagt Historiker Huber. «In der Schweiz hingegen fand die Geschichte der Freiwilligen in der französischen Résistance keinen Platz in einem Geschichtsbild, das sich um den Mythos von General Guisan und den Verteidigungswillen der Armee drehte.»

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In Hubers Buch tauchen von Zeit zu Zeit auch Frauen auf, die an den Aktivitäten der französischen Résistance beteiligt waren. «Da Frauen nicht verpflichtet waren, Militärdienst zu leisten, machten sie sich gemäss dem Militärstrafgesetzbuch nicht strafbar. Ihre Namen finden sich daher nicht in den Akten der Militärjustiz, sondern in denen der Konsulate», so der Historiker. «Ich gehe davon aus, dass es mehr Schweizer Frauen in der Résistance gab, als ich bei meinen Nachforschungen feststellen konnte.»

Donne della FFL
Der französische General Charles de Gaulle inspiziert am 14. Juli 1942, dem Nationalfeiertag, in London eine Gruppe junger Frauen der Freien Franzosischen Streitkrafte (FFL). Rue Des Archives/rda

Gabrielle Mayor wuchs in Le Locle im Kanton Neuenburg auf und heiratete 1928 einen Milchbauern, mit dem sie sich in Dôle, auf der französischen Seite des Juramassivs, niederliess. Zwei Jahre nach der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen kam das Paar in Kontakt mit antifaschistischen Kreisen. Ihr Bauernhof wurde zum Hauptquartier eines Widerstandsnetzes und verfügte über zwei Funkgeräte, die von britischen Geheimagenten benutzt wurden.

Im Juni 1944 wurde das Netz nach einem bewaffneten Einsatz durch die Alliierten entdeckt. Gabrielle wurde verhaftet. Ihr Bruder alarmierte sofort das Schweizer Konsulat in Besançon. Im September wurde Gabrielle nach Deutschland deportiert und kam in das Konzentrationslager Ravensbrück. Erst drei Monate nach ihrer Verhaftung setzte sich die Schweizer Botschaft in Berlin mit den deutschen Behörden in Verbindung, um Informationen über den Ort ihrer Inhaftierung und die gegen die Schweizer Bürgerin erhobenen Vorwürfe zu verlangen.

Gabrielle Mayor
Gabrielle Mayor, Schweizer Agentin eines Widerstandsnetzes in Frankreich, deportiert nach Ravensbrück (Schweizerisches Bundesarchiv) Archivio federale svizzero

Gabrielle wurde am 4. Februar 1945 entlassen und kehrte in die Schweiz zurück. Infolge ihrer Inhaftierung litt sie unter schweren gesundheitlichen Problemen. Jahrelang lebte sie in finanziellen Nöten. Im Jahr 1959 erhielt sie eine erste Finanzhilfe des Bundes im Rahmen der Zuwendungen für Schweizer Opfer des Nationalsozialismus. Der Betrag fiel jedoch geringer aus als beantragt, da Gabrielle Mayor als «militantes Mitglied des Widerstands» dafür verantwortlich gemacht wurde, was ihr widerfahren war.


(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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