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Sie kauften ein Haus – und entdecken 4000 Gemälde

Luigi Pericle und seine Frau Orsolina in einem Ferrari
In der Zeit zwischen 1962 und 1965 erlebte Pericle glanzvolle Jahre, unter anderem auch am Steuer eines Ferraris, der Ingrid Bergman und Roberto Rossellini gehörte. @Museo comunale di arte moderna, Ascona

Als das Ehepaar Andrea und Greta Biasca-Caroni in Ascona im Kanton Tessin ein Haus kaufte, das seit über 15 Jahren leer stand, machten sie eine sensationelle Entdeckung: In den baufälligen Mauern befanden sich über 4000 Gemälde des schweizerisch-italienischen Künstlers Luigi Pericle.

Wo soll man anfangen, die Geschichte und das Leben dieses Malers zu erzählen? Man hat die Qual der Wahl. Wir könnten am oben erwähnten Ende beginnen, als 2016 in einem Haus in Ascona, das seit 15 Jahren verfallen und verlassen war, ein wahrer Schatz gefunden wurde: mehr als 4000 Gemälde, darunter Leinwände, Tuscharbeiten und Zeichnungen eines Künstlers, der nach seinen Erfolgen in den 1960er-Jahren inzwischen völlig in Vergessenheit geraten war.

Kinderbuch Max das Murmeltier
Kinderbuch «Max das Murmeltier». Archivio Luigi Pericle

Im November nun stellte das Schweizer Generalkonsulat in Mailand das Buch «Luigi Pericle, il maestro ritrovato»Externer Link vor, das im Verlag Nino Aragno Editore erschienen ist.

Die Publikation in italienischer und englischer Sprache mit mehreren Beiträgen wurde herausgegeben von Andrea Biasca-Caroni.

Gehen wir mit unserer Geschichte nun zurück in die Zeit vor über einem Jahrhundert, als Luigi Pericle das Licht der Welt erblickte. Luigi Mascheroni, Journalist und Autor eines der Essays in dem Buch, beschreibt ihn wie folgt:

«Ein Maler, Schriftsteller und Gelehrter italienischer Herkunft, der 1916 in Basel geboren wurde, am Fuss des Monte Verità in Ascona an Alter und Weisheit zunahm und im August 2001 starb, ohne Erbinnen oder Erben zu hinterlassen, dafür ein aussergewöhnliches kulturelles Erbe in Form von Kunstwerken und Schriften.»

Die Leben des Luigi Pericle

Mascheroni sagt gerne, dass Pericle drei bis vier Leben hatte. Im ersten – wir befinden uns an der Wende von den 1940er- zu den 1950er-Jahren – hat Pericle als Illustrator Erfolg.

Eine seiner Figuren, «Max das Murmeltier», verschafft ihm internationale Bekanntheit und finanzielle Sicherheit. In diesen Jahren arbeitet Pericle als Illustrator unter anderem für die Washington Post und die Herald Tribune.

Das zweite Leben beginnt mit dem Umzug mit seiner Frau Orsolina Klainguti (einer Bündner Malerin, die er 1947 heiratete) Ende der 1950er-Jahre nach Ascona an den Fuss des Monte Verità.

Es ist der perfekte Ort, um eine Phase der Erneuerung zu beginnen. Mascheroni schreibt, dass «es sich nicht nur um einen Wohnsitzwechsel handelt, sondern um eine Veränderung der Existenz».

In diesem zweiten Leben wird Pericle vom Illustrator zum Maler. 1959 wendet er sich von der figurativen Kunst ab und der informellen Abstraktion zu. Auch wenn, wie die Kunstkritikerin Bianca Cerrina Feroni – ebenfalls Autorin eines Essays – sagt, «die Werke von Pericle nicht leicht zu katalogisieren sind».

«Pericle stellte zusammen mit Künstlern wie Antoni Tàpies, Jean Dubuffet, Sam Francis und Pablo Picasso aus.»

Angelo Crepi, Kunstkritiker

Es sind schillernde und glanzvolle Jahre für Pericle. Sein gesamtes öffentliches Leben konzentriert sich auf die kurze, aber intensive Zeit zwischen 1962 und 1965.

In London, der damaligen Welthauptstadt der Kunst, im «Swinging London», wie der Kunstkritiker Angelo Crespi in seinem Essay sagt, «dem London der Beatles und Rolling Stones, der Miniröcke von Mary Quant», hat Pericle einen durchschlagenden Erfolg.

In der britischen Hauptstadt stellt Pericle mit Künstlern wie Antoni Tàpies, Jean Dubuffet, Sam Francis und Pablo Picasso aus. In diesen Jahren werden vier Ausstellungen organisiert, zwei Einzel- und zwei Gruppenausstellungen.

1965, nach einer Wanderausstellung im Vereinigten Königreich, beendet Pericle plötzlich sein «weltliches» Leben und zieht sich in sein Haus in Ascona zurück.

Hier malt er weiter und widmet sich mit zunehmender Leidenschaft dem Studium von Lehren wie Theosophie, Kabbala, orientalischen Philosophien, Astrologie, Alchemie… Und seine Malerei folgt diesem spirituellen Weg: Pericles Kunst wird zu einer Suche nach der Wahrheit.

Pericle stirbt 2001 in Ascona. Das Haus geht in den Besitz der öffentlichen Hand über und wird 15 Jahre lang seinem Schicksal überlassen, während es einen Schatz hütet, der darauf wartet, entdeckt zu werden. Und hier beginnt unsere Geschichte und das vierte Leben des Pericle.

Die Entdeckung eines Schatzes

Pericles Haus in Ascona liegt leicht unterhalb des Gartens von Greta und Andrea Biasca-Caronis «Hotel Ascona». Das Paar möchte das Haus kaufen und zu seinem Zuhause machen. Dies wird Jahre dauern. Fünfzehn, um genau zu sein.

«Ich kannte Luigi Pericle», sagt Andra Biasca-Caroni. «Er war ein Nachbar von mir. Aber den Künstler Pericle kannte ich nicht.» Das Ehepaar fiel aus allen Wolken: In dem verlassenen Haus waren 4000 Werke ausgestellt, darunter Leinwände, Tuscharbeiten und Zeichnungen. Zudem eine Bibliothek mit über 1500 Bänden, die von Astrologie bis Theosophie reichte, von Literatur bis Ägyptologie und orientalischen Philosophien.

Die Biasca-Caronis erkennen nach und nach, dass sie einen wahren Meister entdeckt haben. So beginnt ihre Arbeit der Wiederentdeckung. Ziel ist es, einen grossen Künstler, der vergessen ging (vielleicht wollte es der Künstler selber so), in der Welt bekannt zu machen.

«Die Komplexität der inneren Suche, die darauf abzielt, sich der Wahrheit des Ganzen anzunähern, übersetzt er in der künstlerischen Praxis in einen Wechsel von unwirklichen, fast mystischen geometrischen Visionen.»

Bianca Cerrina Feroni, Kunstkritikerin

Um den Künstler wiederzubeleben, richteten sie zunächst das Luigi-Pericle-ArchivExterner Link ein, dann organisierten sie mehrere Ausstellungen: die erste 2019 in der Fondazione Querini Stampalia in VenedigExterner Link, dann im Museo d’arte (Masi) in LuganoExterner Link, und kürzlich in der Estorick Collection in LondonExterner Link:

Die Ausstellung trug den bezeichnenden Titel: «Luigi Pericle – eine Wiederentdeckung».

In der Zwischenzeit sind auch Bücher erschienen, zuletzt das eingangs erwähnte.

Sechs Jahre nach seiner Wiederentdeckung bleibt Pericle in gewisser Weise immer noch rätselhaft. Aber es war immerhin möglich, mehr über einen völlig unkategorisierbaren Künstler zu erfahren, der weder nur ein Maler noch nur ein Denker war.

«Wenn wir seine Werke betrachten», schreibt Bianca Cerrina Feroni, «blicken wir auf etwas Geheimnisvolles, das nicht sofort erkennbar, aber auch nicht völlig unbekannt ist.»

Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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