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SJW: Vom Kristinli zum Powermädchen

SJW-Hefte: "Aber, aber Kristinli" und "Wenn sich Berge zu Tal stürzen". SJW

Vor 75 Jahren wurde das Schweizerische Jugendschriftenwerk (SJW) gegründet. Schon damals sollten Kinder zu anspruchsvollem Leben animiert werden.

Wie heutige PISA-Studien dokumentieren, ist die Lesekultur der Jugendlichen noch immer verbesserungsfähig.

Am 1. Juli 1931 gründeten Lehrer, Erziehungsbehörden und gemeinnützige Institutionen in Olten das SJW. Auf dem Hintergrund des aufsteigenden Nationalsozialismus berichtete die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) damals, Jugendliche verschlängen Schundliteratur primitivster Qualität, die teilweise von nationalsozialistischem Gedankengut durchsetzt sei.

Lastwagenweise wurden aus Deutschland Titel wie «Der Vampyr von Amsterdam» oder «Das Frauenhaus in Kairo» in die Schweiz gekarrt und auf Schulhöfen und geheimen Börsen flächendeckend verhökert und von Jugendlichen aller Schichten verschlungen.

Die Gründer des SJW setzten sich zum Ziel, den nationalsozialistischen Blut- und Bodenschund zu bekämpfen und die Schweizer Jugend mit unterhaltsamer, anspruchsvoller und preisgünstiger Literatur zu versorgen.

Am Anfang belächelt

Das Schweizerische Jugendschriftwerk setzte der Schundliteratur Titel wie «Die Pfahlbauer am Moossee» und «Jonni in Südafrika» entgegen. Der am Anfang belächelte Verlag hatte wider Erwarten Erfolg: Die Jugendlichen stürzten sich auf die Klammerhefte mit Abenteuer-Geschichten und Biografien (Thomas Edison, Albert Schweitzer). Die neue SJW-Reihe war auch seit Beginn ein Forum für Schweizer Autoren und Illustratoren.

1935 erschien das erste SJW-Heft in französischer Sprache, 1940 eine erste Ausgabe auf Italienisch.

Einen verlegerischen Grosserfolg erzielte der Verlag 1941: Das Bundesfeierkomitee gab zum 650. Jahrestag der Eidgenossenschaft ein SJW-Heft zum Thema auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Ladinisch und Surselvisch in Auftrag. 614’000 Hefte wurden den Schweizer Schulkindern im ganzen Land als «Festgabe» überreicht.

Im Trend bleiben

Das Schweizerische Jugendschriftenwerk hat sich in den vergangenen 75 Jahren thematisch immer wieder neu ausgerichtet, um das Zielpublikum der jungen Leserinnen und Leser zu erreichen. In den siebziger Jahren profilierte sich das SJW mit Themen aus Ökologie und Umweltschutz, später kamen aktuelle Fragen wie Migration und Rassismus, Sexualität und Sekten dazu. 1988 publizierte das SJW den ersten Comic.

Der Weg vom SJW-Heft «Aber, aber Kristinli» (Autorin:Lisa Wenger, Illustration: Meret Oppenheim) aus dem Jahr 1935 bis zum Multimedia- und SMS-Zeitalter war weit.

Im Jahr 2001 lancierte das SJW das Projekt «Simultanes Lesen und Verstehen». Die Reihe besteht aus drei SJW-Heften sowie einer CD-ROM mit Übersetzungen in die wichtigsten Migrationssprachen (Tamilisch, Serbisch, Albanisch, u.a.). Die Hefte und ausdruckbaren Übersetzungen sind als sprachübergreifende, interkulturell anwendbare Unterrichtsstoffe konzipiert.

Trotz SMS wird mehr gelesen

Die Leseförderung erlebt in der Schweiz eine Renaissance. Behörden, Lehrerschaft und Eltern haben verstanden, dass Lesen und Verstehen in der eigenen Sprache eine wichtige Voraussetzung für die Aneignung von Fremdsprachen bilden.

Die finanziellen Beiträge der öffentlichen Hand und privater Sponsoren ermöglichen dem SJW, auch neue Hefte preisgünstig herauszugeben. Das Verteilkonzept für die SJW-Hefte, das sich hauptsächlich auf den Einsatz von Lehrerinnen und Lehrern abstützt, braucht neue Impulse. «Der zunehmende Erwartungs- und Leistungsdruck schmälert Raum und Zeit der Lehrerschaft, sich für zusätzlichen Lesestoff im und außerhalb des Klassenzimmers einzusetzen», erklärt Margrit Schmid, die Verlagsleiterin des SJW gegenüber swissinfo.

Vom Gesamtdienstleister zur Nische

Das Schweizerische Jugendschriftenwerk (SJW) wandelt sich vom Gesamtdienstleister im Bereich der Leseförderung zunehmend zum Spezialisten, der eine Brückenfunktion zwischen den Landessprachen wahrnimmt. Der Verlag hat erkannt, dass vor allem junge Lehrerinnen und Lehrer das SJW zu wenig genau kennen.

Auf die neuen Verhältnisse auf dem Verlagsmarkt wird das Schweizerische Jugendschriftenwerk in den kommenden Jahren auf dem Gebiet der Leseförderung neue Bündnisse eingehen müssen. Die Weichen für die multikulturelle Sprachkompetenz hat das SJW schon gestellt.

Englisch wurde – als Teil der interkantonalen Schulpolitik – als «fünfte Landessprache» mit dem SJW-Heft Nr. 2235 ins Programm aufgenommen.

swissinfo, Erwin Dettling

1. Juli 1931: In Olten wird das Schweizerische Jugendschriftenwerk (SJW) gegründet.
1935: Erstes SJW-Heft auf Französisch.
1940: Erste Ausgabe auf Italienisch.
Bisher sind mehr als 2300 SJW-Titel in allen vier Landessprachen erschienen, in Auflagen von rund 20’000 Exemplaren erschienen.
Auch englische SJW-Hefte wurden ins Programm aufgenommen.
Die Reihe «Simultanes Lesen und Verstehen» wurde auch in die wichtigsten Migrations-Sprachen (Tamilisch, Serbisch, Albanisch u.a.) übersetzt.
Insgesamt über 50 Millionen Hefte.

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